114 Von Tiflis nach Dschulfa.
Inschriften versehen is t, die an der Felswand eingemeifselt sind. Wenn
nicht Menschenhand oder besondere Naturereignisse die Züge der Buchstaben
zerstören, so werden diese Felsentafeln nach Jahrtausenden vielleicht
ein ähnliches Aufsehen erregen, als die Felsenstelen mit trilinguen
Keilinschriften im alten Assyrien, Medien und Persien. Den Kirchhof
zeichnet kein besonderes Grabdenkmal aus, vielmehr dienen grofse, gewöhnliche
Feldsteine, platt und ziemlich ordnungslos auf der Erde liegend,
als Merkmale und Erinnerungszeichen an die Todten darunter. Auf einem
der Steine sah ich weder Inschrift noch sonst etwas an den Tod mahnendes,
vielmehr als sonderbare Hieroglyphe, von mir nicht verstanden, einen
— Mann zu Pferde.
Der nächste Morgen, es war der zweite April, sah uns früh 6 Uhr bereits
auf den Beinen. Unser Weg, nicht weniger anmuthig durch seine
Natur, als es der gestrige gewesen war, führte durch einen lieblichen Thalgrund,
durch welchen sich ein rauschendes Bächlein in allen möglichen
Windungen durchschlängelte. An seinem Ufer sah’s wohnlich und erquicklich
für das Auge der deutschen Reisenden aus. Da gabs Wassermühlen,
Holzsägereien, saubere Häuser, fleifsige Menschen. Man fühlt gleich den
ersten Augenblick, dafs hier das Gebiet- der Malakanen beginnt, deren
Dörfer und Kolonieen zu den besten und reichsten Wohnplätzen des Kaukasus
zählen.
Keine Kirche der Welt hat bekanntlich so viel Secten aufzuweisen,. als
die russische. Unter Druck und Verfolgungen haben sich die Anhänger
derselben mit einer Zähigkeit zu behaupten gewufst und ihre Lehren, oft
von der sonderbarsten Art, imgeheim zu predigen und zu verbreiten verstanden,
dafs der russischen Regierung eigentlich gar kein anderes Mittel
übrig geblieben ist, als die Secten zu verbannen und am Verbannungsorte
zu dulden. Von den im Kaukasus weilenden Sectirern haben wir bereits
oben die sehr eigenthümlichen Skopsis genannt; hier müssen noch aufser
den friedlichen Malakanen die „Springer“ und die „Sonnabendsfeierer“ .erwähnt
werden. Der Name der Malakanen bedeutet so viel als Milchesser.
Wir werden später Gelegenheit haben, noch einmal diesen russisch - kaukasischen
Galaktophagen zu begegnen.
Der Weg wurde allmählig steiler, die Luft immer dünner und schneidender
, und die Bergvegetation spärlicher an den Abhängen des engen
Thalgrundes, durch den laut rauschend eine Quelle der Akstafa über Geröll
und losgerissene Steinblöcke in die Tiefe dahinstürzte. Bald wurde der
Weg so schlüpfrig und gefährlich-, denn Schnee und Glatteis bedeckte die
gewundene Bergstrafse; dafs wir genöthigt waren aus unseren Fuhrwerken
zu steigen, die- ein jedes von acht dampfenden Pferden gezogen wurden.
Wie sie auf die Höhe des Berges kamen, schien mir ein wahres Wunder.
Auf unserer Fufsreise nach dem Kamm des hohen Gebirges begegne-
ten wir einer grofsen Zahl von Kameelen, welche mit schweren Lasten
bepackt auf dem eisigen Boden unter ihren Füfsen wie Anfänger im Schlittschuhlaufen
hin und her rutschten. Nach zweistündiger Wanderung hatten
wir den Ischak - Meidan, die Höhe des Gebirges, das uns mit dem Namen
des Bambaks bezeichnet wurde, erreicht. Anfänglich zeigte Sich nichts als
ein Kreis von Schneeköpfen, die uns von allen Seiten umgaben und jede
Aussicht absperrten. Die weifse blendende Schneedecke zu unseren Füfsen,
der blaue Himmel über unseren Häuptern, das war die ganze" Augenweide.
Der höchste Punkt, ein riesiger Schneekegel, mit einer Stange auf seiner
Spitze, soll 7000 Fufs über dem Meeresspiegel gelegen sein.
Eine kurze Strecke dahinter wird der Boden ebener, die Strafse breiter.
Mitten in einem unendlichen Moraste lag das heimisch aussehende
Dorf Semionowka, von Malakanen bewohnt, reinlich aussehende Holzhäuser
mit Strohdächern, steinernen Hofmaüern und breiten Thorwegen, die alle
die Hauptstrafse entlang gelegen sind. Wir betraten von nun an Armenien,
eine ganz neue Natur begleitet uns auf unserer Weiterfahrt.
Wenn irgendwo eine Grenze zwischen Europa und Asien im kaukasischen
Lande anzunehmen ist,' so sollte sie nicht an den Wasserstreifen
des Kuban und Terek, sondern hier auf der Höhe des Bambak zu setzen
sein. Welche Gegensätze der Natur und des landschaftlichen Lebens! Hier,
auf der asiatischen Seite , alles öde und tödt, eine vulkanisch- zerklüftete
vegetationsleere Gebirgslandschaft, dort, in Europa, Leben und üppige Fülle
I der Pflanzenwelt in ihren mannigfachen Erscheinungsformen. Dieser Charakter
verwischt sich nicht, so weit man von nun an sich dem iranischen
Reiche nähert.
Trotz der Eigenthümliehkeit der erstarrten, doppelt todten Natur in
unserer Umgebung auf der Höhe der Strafse von Semionowka, wenig
geeignet, das Gemüth frisch und fröhlich anzuregen: mufs jener Passage
über den Berg mit besonderer Dankbarkeit für einen unbeschreiblich schönen
Naturgenufs gedacht werden, der sich uns bald genug darbot. In über-
8*