in . Kapitel.
T a g e b u c h b l ä t t e r a u s S tam b u l.
Den 19. Februar.
Gestern Nachmittag haben wir dem Regen und Winde Trotz geboten
und einen Ausflug nach dem Theile Pera’s unternommen, der nach dem
grofsen Campo hinführt. Eine Reihe von Läden, meist mit französischen
Luxus-Artikeln, überrascht durch die Gröfse und Pracht der äufseren und
inneren Einrichtung, von den mächtigen Spiegelscheiben der Eingangs-
thüren an bis zu den geschmackvollsten Kronenleuchtem im Laden. Zu
den auffallendsten Aushängewaaren gehören gegenwärtig. Masken und Maskenanzüge.
Man lebt noch'im Fasching, der mit ächt südländischer Heiterkeit
und Ausgelassenheit sogar in Pera gefeiert wird, und eine Menge
grofsgedruckter Zettet an den Strafsenecken laden zu französisch-italienischen
Vorstellungen ein, vor allen zu einem „grand bal masqué au palais
des fleurs“.
Der Schnee fiel heute nach sonnenklarem Morgen in dichten Flocken
vom winterlichen Himmel hernieder. Wir besuchten in der Frühe den
Gottesdienst der evangelischen Gemeinde in dem Gebäude der K. preufsi-
schen Gesandtschaft. Etwa 30 Kirchgänger hatten sich eingefunden, darunter
der vortreffliche Minister Graf von der Goltz und das Personal der preufsi-
schen Legation, welche der Predigt des Pastors Pichon mit würdiger Andacht
zuhörte. Die èvangelische Gemeinde in Konstantinopel zählt bei
80 Familien, etwa 400 Seelen umfassend.
Bei der Heimkehr begegneten wir einigen seelensvergnügten Masken,
die von dem lärmenden Janhagel Pera’s und Galata’s begleitet waren.
Dicht d ah in te r, welch’ bittere Ironie! geleitete man eine junge Griechin
zu Grabe. Mit Blumen und vergoldeten Citronen geschmückt, lag die
Todte offen im Sarge da, nur leicht mit bunten Tüchern bedeckt. Vier
Männer trugen sie auf den Schultern. Der Priester mit der Monstranz
schritt dem Sarge voran. Leidtragende bemerkte man unter den Fufs-
gängern im Gefolge nicht. Sanft ruhe ihre Asche ! Wir entblöfsten unser
Haupt und liefsen den Zug an uns vorüberziehen. Eine zerlumpte Zigeunerin,
etwa dreifsig Jahre alt, näherte sich uns, um ein Almosen bettelnd.
Es war die erste, die ich sah. Die Farbe ihres sehr regelmäßig geformten
Gesichtes war schmutzig braun, ihre Augen grofs und schwarz, der freundlich
lächelnde Mund zeigte eine Reihe schöner, blendend weifser Zähne.
Das Haar hing struppig und wild auf die Stirn herab, vermehrte aber
trotz der Unordnung das Malerische der in braune Lumpen gehüllten Gestalt
~ Viel widerwärtiger mufste uns ein türkisch gekleideter Ebraico
erscheinen, der, im Dienste der Aphrodite Pandemos stehend, frech genug
war, uns in eine Seitengasse zur Besichtigung eines neuangelegten Bazares
locken zu wollen. '
Ein prüfender Blick auf die Gebäude der europäischen Vorstädte läfst
sehr bald den Unterschied der älteren und neueren Bauten erkennen. Die
ersteren, einstöckig, seltener zweistöckig, sind aus Holz und Fachwerk
hergerichtet, ebenso wackelige als luftige Wohnungen, daneben äufserst
feuergefährlich. Die grünen Jalousien, zum Schutze gegen die Sonnenhitze
angebracht, so wie die hervorspringenden Erker geben den Häusern ein recht
freundliches Aussehen. Die Privat- und offiziellen Gebäude neueren Datums
sind solid aus Stein gebaut, jedoch in dem bekannten ächt orientalischen Kasernenstil,
d. h. viereckige Kasten mit Fensteröffnungen. Eines der schönsten
Gebäude Pera’s , weithin sichtbar vom Meere aus, ist der, riesige Palast
der russischen Gesandtschaft, mit einer Säulen-Façade, die sich von der
blauen Wand am Hintergründe scharf und beinahe zu grell hervorhebt.
Der grofse Ballsaal soff 3000 Gäste bequem fassen können. Im Krimkriege
hatten sich die Franzosen hier einquartiert; die verdorbenen Wände
und Mobilien hat Kaiser Napoléon IIL mit einem Kostenaufwandë von
zwei Millionen Francs herstellen lassen; so wurde dem Schreiber dieses aus
sehr zuverlässiger Quelle versichert.
Den 20. Februar.
Wir haben heute den ersten Spaziergang in das Innere der alten Genueser
Republik von Galata und über die lange Brücke des goldenen
Homes nach den ersten Strafsen Stambuls gemacht.
In der Nähe des Klosters, in welchem türkische Dreh-Derwische voll
religiösen Wahnsinnes ihre berüchtigten Tänze aufführen, bogen wir von
der Hauptstrafse unseres Quartieres seitwärts ab und schlugen einen Seitenweg
über ältere türkische Friedhöfe ein. Hohe, grad aufrecht stehende