Leichensteine, oft noch so gut erhalten, dafs die goldene Schrift auf
blauem Grunde in hellem Lichtglanze hervortritt, mahnen an die vergrabene
und verschollene mohamedanische Welt unter uns. Die auf der obersten
Kante der Leichenplatten ausgemeifselten und bemalten neutürkischen
niedrigen Fefs oder die hohen alttürkischen Turbane trennen die Todten
der Neuzeit von den türkischen Altvorderen. Schlanke, dunkelgrüne Cy-
pressen, der Baum der Freiheit, die bei den Morgenländern erst im besseren
Jenseits beginnt, überschatten die Hügel der Todten, auf denen
Hunde, lang ausgestreckt in behaglicher Ruhe, fern vom Treiben der Strafse
und den Fufstritten zwei- und vierbeiniger Pflastertreter, der süfsen Gewohnheit
des Schlafes obliegen. Der Weg über die Friedhöfe bei der
nassen Witterung geht durch unbeschreibliche Kothstege bergab. Beim
Anblick des Doppelthurmes von Galata (Galata-kule) ringt sich ein „Gott
sei Dank!“ aus der Brust hervor.
Der stattliche Bau, ein Werk der Genuesen, gegenwärtig nur als
Feuerwacht und Signalthurm benutzt, gehört denselben Zeiten wie die Mauer-
Befestigungen in der Nähe a n , welche halb zerfallen, sich malerisch genug
aus der Umgebung neuerer Bauten hervorheben, aber dennoch, wie so manches
andere, die heutigen Zustände der Türkei düster genug symbolisiren.
Auf einer alten Treppe von Stein- und Holzstufen gewannen wir den
überdachten Rand des Thurmes. Eine Wache türkischer Soldaten hockte
auf dem Fufsboden und liefs sich weder im Rauchen des schibuks noch
bei der Zubereitung des Mittagessens stören. Nach Verabreichung des
unvermeidlichen Bakschisch hatten wir indefs die Erlaubnifs, nach allen
Seiten über Stadt und Meer hin uns des wundervollsten Panorama’s , freilich
bei nicht ganz günstiger Beleuchtung zu erfreuen.
Zu unseren Füfsen breitete sich die Vorstadt Galata aus, gegenüber,
am jenseitigen Ufer des goldenen Hornes, die eigentliche Türkenstadt,
hügelig aufsteigend, mit ihren Moscheen und zahllosen Minarets. Auf der
anderen Seite des Meeres lag Asien. Wie schwarze Felsblöcke tauchten die
Prinzeninseln aus der Fluth hervor. So dunkelfarbig sich das cypressen-
reiche Scutari in das blaue Meer hinabzusenken schien, so fröhlich heiter
schwammen im Hintergründe schneebedeckte Berge, darunter der Ida, in
dem reinen Aethermeere des Himmels. Im Hafen lagen und kamen zahlreiche
Dampfer und Segelschiffe. Die ersteren sich bis zu der dicht besetzten
Brücke herandrängend, welche Galata mit Stambul verbindet, und
von unserer Vogelschau aus gesehen, wie die alte Rheinbrücke zwischen
Deutz und Cöln in langer Linie die blinkende Fluth des Meerarmes durchschneidet.
Der Anblick ist wunderbar schön, der Feder eines poetischen
Reisenden würdig.
Nach halbstündiger Weile verliefsen wir den Thurm. Durch winklige,
holprige Strafsen und Gassen Galata’s , wo italienisch-griechisch-französische
Volkswirthschaft mit all’ den sauberen und unsauberen Beigaben zu Hause
ist kommen wir endlich an die hölzerne Brücke, an deren Eingang zunächst
eine Kopfsteuer von fünf Para entrichtet werden mufs. So eine
Brücke existirt wohl nur einmal in der Welt. Aus Holz aufgeführt enthält
sie einen Doppelweg sowohl für die Wagen und Reiter als für die
Fufsgänger. Die Holzdielen sind morsch und faul, voller Unebenheiten
und Löcher. Auf den vollständigen Halbkreisbogen, die mehrmals die
ebene Brücke unterbrechen, müssen Wagen und Fufsgänger auf- und abklettern,
für Wagen und Reiter bin gefährliches Unternehmen. In der
langen Reihe zahlreicher, dickleibiger, vergoldeter Kutschen sahen wir in
aller Ruhe türkische Haremsschönheiten vorbeipassiren. Der dünne, durchsichtige
Schleier stand in sonderbarem Contraste zu den begleitenden Eunuchen,
und wenn jeder verliebte Blick, der zwischen den Türkinnen
und Europäern gewechselt wird, mit fünf Para besteuert würde, so möchte
die Stelle als Brückeneinnehmer am goldenen Horn die einträglichste im
ganzen türkischen Reiche sein. Neben solcher Haremspracht bieten die
allerwärts auf den Holzkanten der Brücke sitzenden Bettler ein abschreckendes
Bild menschlichen Elends und bitterster Armuth dar. Die Strafsen
Stambul’s , welche wir in der Nähe der Walide-Sultan-Moschee durchstreiften,
waren wo möglich noch kothiger und holpriger als die Gassen Pera s.
In stillschweigender Uebereinkunft machten wir bald Kehrt, um nach der
Brücke des goldenen Hornes zurückzupilgern. „Hier sind 15 Para für
drei Personen“, sagte unser Dragoman zu dem Brückeneinnehmer am
Steuerhause. Sehr höflich erwiederte der Angeredete, ein alter Türke:
„Maschallah! für drei Personen? für drei Effendis mufst du sagen.“
Die drei „Effendis“ befanden sich bald wieder in Pera, das ihnen
nach dem genossenen Vorschmack der alten Türkenstadt viel ordentlicher
und angenehmer als in den vorigen Tagen erschien.
Der Abend war inzwischen hereingebrochen. Einzeln und in langen
Zügen, nüchtern und langweilig, berauscht und ausgelassen, trieben sich