In diesem Zimmer war es auch, wo die französischen Gelehrten der
Expedition an mehreren Tagen, bald nach Sonnenaufgang, einen hellen Ton
vernahmen, wie von einer gesprungenen Saite, den sie mit Recht der sich
gegen die erwärmte äufsere Luft plötzlich ins Gleichgewicht setzenden Temperatur
des ringsumher eingeschlossenen Granits beimessen *). Diese Erscheinung
wiederholt sich, wenigstens im Sommer, alle Morgen; der Uebergang
von der sehr kühlen Nacht zum drückend heifsen Tage jst dann fast urplötj-
lich. Mit welchem Gefühl mufste nicht einst der Aegypter, von tausendfacher
Götterfurcht gebändigt, diesen magischen Klang vernehmen! "Was konnte
er ihm anderes verkünden, als die unmittelbare Gegenwart der Gottheit in
diesem geweihten Raum 2)?
Zu Lüxor im Tempelpalast des Königs, der bekanntlich in Aegypten
als ein neuer Osiris oder Göttersohn verehrt wurde, befindet im Innern
sich ebenfalls ein solches Zimmer aus Granit mit ähnlichen Darstellungen,
ausgenommen die Weihe. Im äufseren Umgange sind Kostbarkeiten und
Geräthe dargestellt, wahrscheinlich hier aufbewahrte Weihgeschenke, die
auch zu Karnak Vorkommen. Es war ohne Zweifel für die tägliche Privaten-
dacht des Königs und der ihm dienenden priesterlichen Räthe bestimmt A. d
D as Verhältnifs Ammons zu Mendes, dem Gott der Zeugung, und zu
Venus, der Mutter des Lebens, wäre sonach erklärt; aber zugleich vieles
andere. Nach Curtius (VI, 7.) war das mystische Bild des Ammon im
1 ) Description, T/iebes p . 234.
2 ) Bei dem Bau der neuen Sternwarte zu Königsberg bemerkte man, dafs der Granit gleichsam
eine höhere Vitalität habe, als andere Steine. Man hatte die Beobachtungsinstrumente auf einer
granitenen Base errichtet, die man für am wenigsten verrückbar hielt. Es zeigte sich aber das
Gegentheil. Der Granit änderte beim Wechsel der Lufttemperatur so auffallend sein Volum, daß
die Beobachtungen ungenau wurden, und man mufste die Base verändern. Hieraus erklärt sich
zugleich das Klingen des Memnon, der im Alterthum nicht frei stand, wie jetzt, sondern umgeben
von einem Mausoleum, das an Ausdehnung und Pracht wenig Tempeln nachstand.
3) Unsere T a fe l X V . Fig. \. E . und Description, Thebes p . 199.. etc. Planches IIIßg.
1., pl. 8- ß g - 2., p l. 10.' fig . 1. 2 / Man sehe was Diodor. I , 70. über das von Stunde an
Stunde an ein strenges Ceremoniel gebundene Leben der ägyptischen Könige sägt.
Weissagetempel in Libyen, zu welchem wir hiermit zurückkehren, von
[ höchst ungewöhnlicher Gestalt: Aus Smaragden und Edelsteinen zusam-
[mengefügt, glich es am meisten einem Nabel! Eben so war aber in dem
1 berühmten Tempel der Venus zu Paphos in Cypern das mystische Bild dieser
Göttin gestaltet. Es glich nach Tacitus einem unten breiten, oben immer
| mehr zusammenlaufenden Kegel 1)! Auch Paphos war ein alter Orakelort,
[.und Mysterien wurden dort begangen, wobei die Geweihten einen Phallus
und ein Maafs Salz erhielten; die cyprischen Tempelmädchen sind bekannt 2).
[ Bei dieser wunderbaren Uebereinstimmung des paphischen und ammonischen
Dienstes ist die dunkle Spur nicht zu übersehen, dafs auch dieses Heiligthum
[von Aegypten aus gestiftet 3), und eine Kolonie Aethiopier in Cypern ansäfsig
»war 4), die sich wahrscheinlich während einer der Eroberungen Aegyptens
[durch dieses Volk, dessen Ammonsdienst oben berührt ist, hier niedergelassen
hatten. Wir haben auch Nachricht, dafs die mystische Tempelgottheit
jder Cyprier nicht, die Venus, sondern ein männlicher Gott von ähnlicher
Bedeutung gewesen sey s). Wahrscheinlicher giebt man indefs dem paphi-
Ischen Gottesdienst einen phönizischen Ursprung 6).
Vieles, was hier zur Erklärung sich darbietet, übergehen wir (z. B. den
[Aegipan als Spielgenossen des heranwachsenden Jupiter), um noch ein Wort
¡über einen vielbesprochenen Punkt in der Geschichte Alexanders des Grofsen
Ihinzuzufügen. Bekanntlich wurde dieser Eroberer im Tempel des libyschen
Ammon von dem Hohenpriester für einen Sohn Jupiters erklärt, und in
[Aegypten und Asien machte er diese Würde geltend. Ohne Zweifel geschah
[dabei nichts anderes, als was wir zu Karnak im Umgange des erwähnten Hei-
iligthuips dargestellt sehen. Alexander erhielt die Königsweihe eines Sohnes
1) T a c it. Hist. I I , 3. Man sehe M i l l i n ' s mythologische Galerie Tafel 43. Fig. 172. 173.
2) H e ro d o t. I , 199.' J u s t in . X V I I I , 5.. 3) T a c i t . Annal. I I I , 62.
4) H ero d o t. V I I , 90.
B 5) Macrob. S a tu r n . I I I , 3. Ein Deus V en u s, 3-tos ’a ^ o^ tos; Aristophanes soll ihn
[erwähnt haben und andere.
t 6) Hero d o t. I , 105.