Den Himmel dachten übrigens die Aegypter sich als ein weibliches
Wesen r), und als die Mutter der Welt. Darum bezeichnet der Geier auf
dem Haupte aller weiblichen Gottheiten die Mütterlichkeit, gleichsam den
alles umfassenden und aus sich gebährenden Schoofs des Himmels. Aus
dieser Vorstellung erklären sich die langgezogenen weiblichen Gestalten,
welche die Thierkreise von Latopolis und Hermonthis einfassen 2); es ist der
Himmel selbst dadurch symbolisirt. Neben der nach Paris versetzten Sphäre
von Tentyris befand sich dasselbe Wesen, aber naturgemäfs dargestellt, wegen
seiner gröfseren Proportion zu dem übrigen. Ein anderes Bild bezeichnet
jene Naturansicht noch deutlicher 3): Eine weibliche Gestalt biegt sich, auf
Händen und Füfsen ruhend, mit schwebendem Leibe über einer anderen in
ähnlicher Stellung, unter welcher eine dritte in wunderbarer Verschränkung
ausgestreckt liegt; wobei jedoch der Zweck gerade dieser Lage ins Auge
springt. Von der umfassenden obersten Gestalt fahren Strahlen herab auf
die mittlere, und von dieser auf die zu unterst von beiden eingeschlossene,
Die Hieroglyphe kann nicht sprechender seyn! Es ist der Himmel dargestellt,
von dem die Befruchtung der Mondessphäre oder der Luft, und yoiT
dieser der sehnsüchtig auf Empfangnifs harrenden und immer empfangenden
Erde mitgetheilt wird. Eben darum ist Venus Urania, der Himmel selbst! die
Mutter der Dinge 4). Zu noch gröfserer Deutlichkeit finden sich neben der obersten
Figur ein Käfer und Sterne; ja Sonne und Mond fahren, nach ägyptischer
W eise personificirt, in ihren Schiffchen über den Bücken derselben, Yvie auf
der schönen weiblichen Mumie, mit welcher der Herr Kammerherr m
Pourtalks den Königlichen Sammlungen ein unschätzbares Geschenk gemacht
1 ) H o r a p o l lo l. c.
2 ) Descript. de VEg. I . p l. 79. Auch in einem Gemälde der Königsgräber bei Theben.
Die lang gezogenen Figuren zu Tentyris bedeuten vielleicht das Meer. Ibid. IV . pl. 20.
3) Ibid. I . p l. io.
4) y ttin u t, roiros S-eS»; der ägyptische Name der Venus, A th y r i, soll
bedeuten. P l u t a r c h de Is. e t Osir. c. 56. Allen diesen Ausdrucken liegt eine höchst energische
Sinnlichkeit der Auffassung zum Grunde, die genannten Bildwerke erklären sie.
hat. Ganz allgemein bedeutet in allen ägyptischen Tempeln die Decke den
Himmel, und ist als solcher mit Sternen oder siderischen Bildwerken verziert;
bei der Auslegung wird man durch diese Annahme sich oft sehr gefördert
sehen.
Unmittelbar unter der Decke läuft oben an den Wänden ein symbolischer
Bilderstreifen umher, der zugleich als Verzierung benutzt ist. Aber
'wie bedeutsam! Heilige Falken *), mit der vom guten Genius belebten
Sonnenscheibe über jedem von ihnen, huldigen mit gesenkten Flügeln dem
Gnadenscepter der Götter, neben welchem ein verzierter Hieroglyphenschild
einen hochverehrten Namen enthält, oder vielleicht eine Lobpreisung des
thronenden Ammon, dem die Falken und Scepter von beiden Seiten her
' zugekehrt sind. Solche Schilder pflegen immer zwei verschiedene Gruppen
i von Hieroglyphen zu enthalten, die sich eine um die andere wiederholen 2). >
Das Scepter fanden wir schon in der Hand Ammons, als Zeichen der
Erhörung 3); es fordert indefs hier noch eine nähere Aufmerksamkeit. Der
aufgesetzte Kopf ist der eines unbekannten ägyptischen Vogels, den Horapollo
Kukupha nennt, und von ihm erzählt, er nähre seine kraftlosen Eltern,
baue ihnen Nester und pflege sie; deshalb sey er das Symbol der Dankbarkeit
und kindlichen Liebe, und die Ehrenauszeichnung der heiligen
Scepter *). Bei Griechen und Römern trat an die Stelle jenes Vogels, als
Zeichen der kindlichen Liebe, der Storch, dem man diese Tugend in
hohem Grade zuschrieb s). Offenbar ist aber der Kukupha von diesem
verschieden. In der Einfassung der bembinischen Isistafel zu Turin kommt
jener in ganzer Gestalt vor, neben dem trauernden Cerkopithecus, dem
Leichnam des erschlagenen Osiris gegenüber. Es ist ein krummschnabliger
Wasservogel mit langer herabhangender Krone am Hinterkopf, ziemlich
1) Man sehe oben pag. 107.
2) Man sehe Ta fel X IV . X V I . X X . X X I I . X X I I I . , nebst den Erklärungen.
3) Tafel X . Fig. 2. cf. p . 102. 4) H o r a p o l lo . I , 55.
5) P l in iu s H. N. X , 32. Auch schon bei den Aegyptern. H o r a p o l lo I I , 58.