Die Erzählung, dafs man hier einst den Strom durch eine Kette gesperrt
habe, wird für eine Fabel gehalten, auch bemerkt man von Befestigungs-
werken, die zur Deckung einer solchen Anstalt erforderlich waren, keine
Spur; gewifs ist indefs, dafs die hier durch die von beiden Seiten vortretenden
Sandsteinfelsen gebildete Stromenge gleichsam den Schlüssel des
Flufsgebiets ausmacht, und in alten Zeiten die Aegypter, im Fall eines
Angriffs von Nubien her, zur Vertheidigung einladen mufste; sollte auch
der arabische Name Gebel-El-Silsili, der Kettenberg, nicht sowohl aus jener
Erzählung, als vielmehr die Tradition aus dem mifsdeuteten Namen entstanden
seyn, was indefs schwer zu entscheiden ist. Jetzt findet sich hier wirklich
die politische Grenzscheide zwischen Aegypten und Nubien, die im
Alterthum bekanntlich weiter gegen Süden lag. Schon zu Psammetichus
Zeit standen die ägyptischen, wie zu der des Herodot die persischen*), und
später die römischen Grenzposten zu Elephantine, dehnten sich aber zu
Zeiten noch jenseits aus **).
Von Silsilis besuchte ich Koum-Ombu am rechten Ufer, von welchem
Ort einst der ombitische Nomos benannt wurde. Die Ruinen der Stadt liegen
an und auf einer Anhöhe, wo der fast ganz vom Sande verschüttete
grofse Tempel, der von vortrefflicher Arbeit ist, sich dadurch auszeichnet,
dafs er, der Länge nach in zwei Hälften getheilt, der Verehrung zweier verschiedenen
Götter geweiht war. Dafs der eine derselben Horus gewesen sey,
lehrt eine erhaltene griechische Inschrift über dem Eingänge, und aus dem
häufigen Vorkommen einer Menschengestalt mit einem Krokodilskopf läfst
sich schließen, dafs der andere der von Horus besiegte Typhon war, welchem
Götterfeind man das Krokodil geweiht hatte, das, so wie Typhon, in
mehrern ägyptischen Städten verehrt wurde, unter denen auch Ombos genannt
wird ***). Die Gestalten beider Gottheiten, des Horus und Typhon, kommen
indefs in beiden Abtheilungen des Tempels ziemlich gleich häufig vor,
und beiden .werden Opfer dargebracht
*) H e r o d o t. I I , 30. ♦*) Tacitiu Annal. I I , 61. ***) A e l ia n . H. A n im . X , 2t
Der Eingang dieses Tempels ist, wie der aller gröfsern ägyptischen,
gegen den Nil gerichtet; parallel mit dem Laufe des Stromes dagegen liegt
ein kleinerer, den man nach hergebrachter Unrichtigkeit ein Typhonium
nennt, obgleich auf dessen Ueberresten jene Pygmäengestalt, die für Typhon
gilt, nirgends vorkommt, und auch das Krokodil in den Bildwerken gänzlich
fehlt. Dagegen erblickt man an den Säulenknäufen ein menschliches
Angesicht. Ein grofser Theil dieses Tempels ist in den Nil gestürzt, der
dem ganzen Gebäude einen baldigen Untergang droht; die noch erhaltene
eine Hälfte der vorliegenden Tempelflügel, mit schönen Figuren geziert, steht
jetzt unmittelbar am Uferabhang und wird über kurz oder lang dem schon
hinabgestürzten Theile nachsinken.
Wegen der allmähligen Abschüssigkeit seines libyschen Ufers nimmt der
Nil in der ganzen Länge seines Laufes durch Ober-Aegypten immer mehr
I eine östliche Richtung gegen die steil sich absenkende arabische Bergkette,
die er an vielen Stellen schon erreicht hat, und zerstört bei diesem Vorrücken
die gröfstentheils auf der bedrohten rechten Seite belegenen Denkmäler alter
Städte, deren viele schon vernichtet sind, wovon wir zu El-Gau ein ganz
neuerliches Beispiel fanden, dessen kolossale Tempel seit wenigen Jahren
bis auf die letzten Trümmer in den Strom versanken *). Auch diese Verwüstungen
sind eine Folge des vemachläfsigten Kanalsystems, wodurch im
Alterthum die Wucht der übertretenden Gewässer vertheilt und gebändigt
wurde; indem die meistens am sicheren linken Ufer gezogenen Kanäle
den Strom ausschöpften, während andere längs der arabischen Kette die zwischen
liegenden bedrohten Landestheile zugleich befruchteten und schützten.
Auch die alten Uferbefestigungen der rechten Seite, wahre Riesenwerke,
die Griechen und Römer sorgfältig unterhielten und besserten, sind grofsen-
theils vernichtet und wehren nur noch an wenigen Stellen, wie zu Luxor,
dem Andrang der mächtigen Wasser. Die gänzliche Vernachläfsigung
begann aber erst seit der türkischen Eroberung zu Anfang des sechzehnten
*) Oben p. 243.