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und nicht selten eignet dieser dem Theophrastos zu, was jener für
ein aristotelisches Werk ausgiebt.
Ueberhaupt ruht auf dem Verhältniss des Theophrastos zum
Aristoteles als Schriftsteller ein wunderbares Dunkel, was noch
niemand, so viel icli weiss aufzuklären versucht hat. Viele Schriften
sehr verschiedenen Inhalts sollen beide unter ganz gleichen Titeln
verfasst haben, so dass es scheint als hätte der Schüler einen
grossen Theil der Werke seines Lehrers zum zweitenmal geschrieben.
Das wäre bei abweichenden Grundansichten beider
leicht möglich, bei ihrer, so weit wir darüber urtheilen können,
fast durchgängigen Uebereinstimmung lässt es sich schwer begreifen.
Einige Schriften werden von verschiedenen späteren
Schriftstellern bald diesem bald jenem zugeeignet. Dazu kommt,
dass Theophrastos selbst den Aristoteles niemals citirt, auch dann
nicht, wenn er mitunter dessen Aussprüche fast Avörtlich wiederholt.
Sollte Theophrastos den Aristoteles absichtlich geplündert,
oder gar ganze Werke desselben mit unerhörter Frechheit für die
seinigen ausgegeben haben? Das hätte niclit unbemerkt bleiben
vönneu, und streitet mit allen Zeuo-nissen ü O ber das innipO- e Verlältniss
des Schülers zu seinem Lehrer und Meister. Jene Uebereinstimmung
der Titel und jenes Schwanken in der Angabe ihrer
Verfasser ward schon oft bemerkt, man darf nur das Verzeichniss
der Werke beider Philosophen bei Fabricius durchgehen, um sich
davon zu überzeugen. Für die Wiederholung aristotelischer Angaben
bei Theophrastos finden sich ein paar auffallende Belege
gleich im ersten Kapitel der Pflanzengeschichte, von dem ich
unten eine vollständige Uebersetzung mittheilen werde. In der
aus Aristoteles mitgetheilten Stelle Nr. 105 lasen wir die Vergleichung
des Laubfalls mit dem Verlust der Federn und Haare
bei den Thieren, ganz dasselbe werden wir in jenem Kapitel des
Theophrastos wiederfinden; ebenso die Lehre von den homöomeren
oder gleichartigen Theilen, die wir bei Aristoteles aus Nr. 50 ff.
besonders Nr. 52 kennen lernten. Hier nannte Aristoteles als Beispiele
ungleichartiger Theile bei den Thieren das Gesicht die
Hand den Fuss, genau derselben Beispiele zur Erläuterung der-
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selben Sache bedient sich Theophrastos. Was Aristoteles Nr. 147
von einer rauchfarbenen Weintraube erzählte, welche Einige Kapion
nannten, dass sie nicht selten in die schwarze Farbe überginge,
und dass man das, weil es oft vorkäme, nicht zu den
Missgeburten oder Vorzeichen rechnete, dasselbe lesen wir zweimal
bei Theophrastos, in der Pflanzengeschichte Buch II, Kapitel
3, und von den Ursachen der Pflanzen Buch V, Kapitel o. Und
solcher Beispiele könnte ich viele häufen.
Ich glaube hier daran erinnern zu müssen, dass Theophrastos
die Bibliothek seines Lehrers erbte, und das Vertrauen desselben,
wie eben daraus erhellt, bis zum letzten Augenblick in vollem
Maasse besass. Unter der Bibhothek haben wir ohne Zweifel den
gesammten schriftlichen Nachlass zu verstehen; denn damals sonderte
man ja nicht Avie wir Bücher uud Handschriften; doch dürfen
wir, wie mir scheint, dreierlei Bestandtheile darin wohl unterscheiden:
1. bereits öffentlich herausgegebene Bücher, die sich im Besitz
Vieler befanden, 2. angefangene, noch nicht vollendete, oder gar
erst im Entwurf vorhandene Bücher, und 3, Collectaneen, theils in
früheren Schriften schon benutzte, theils noch unbenutzte. Schon
aus dieser Erbschaft musste eine gewisse SoHdarität des Erben
und des Erblassers hervorgehen, dergleichen wir sogar in der
neuern Literargeschichte nicht sehen antreffen, obgleich sich de)-
Begriff des hterarischen Eigenthums nach und nach immer schärfer
entwickelte, der bei den Alten noch viel Schwankendes hatte.
Dass' Aristoteles aber weitläuftige Collectaneen besitzen musste,
verräth die Beschaffenheit vieler seiner Werke, ihr Reichtimm an
Specialien und die stete Rücksicht auf die Meinung der Vorgänger;
und dass er manches unvollendet oder nur im Entwurf
hinterlassen, ergiebt sich mit grosser WahrscheinHchkeit aus der
plötzlichen Unterbrechung seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu
Athen durch politische Ereignisse. Solche Arbeiten zu vollenden
imd bekannt zu machen, war ohne Frage des Schülers erste Pflicht,
und es wäre leicht möglich, dass er dazu noch besondern Auftrag
empfangen hätte. Jene Collectaneen dabei zu benutzen war aber
sein gutes Recht. Fand ein solches Verhältniss statt, so genügte
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