360 B l i c h IV. Kap. 1. §. 52. B u c h IV. Kap. 1. §. 52. 361
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Wie gross seine schriftstellerische Thätigkeit von früh auf
Avar, ergiebt sich aus den zahllosen Titeln, unter denen seine Werke
citirt werden, noch bestimmter aus einem von Gelliusi) aufbewahrten
Fragment der Vorrede zu seinen Hebdomaden, einer Sammlung
von hundert mal sieben Bildnissen berühmter Dichter und
anderer Schriftsteller Künstler und Staatsmänner mit beigefügtem
Text. Auch er, sagt Varrò hier von sich selbst, wäre bereits in
die zwölfte Hebdomade der Jahre getreten (also über 77 Jahr alt),
und hätte bis auf den Tag siebzig Hebdomaden (also 490, Bücher
geschrieben. Sein letztes Werk war das aber nicht; wir
hörten schon, dass Plinius eins aus seinem acht und achtzigsten
Lebensjahr citirt, und Mde viele mochten noch dazwischen erschienen
sein! Die meisten waren, nach den Titeln und Fragmenten
zu urtheilen, antiquarisch-historischen oder literar-historischen Inhalts.
Sein Werk de formis philosophiae scheint eine Geschichte
der Philosophie gewesen zu sein. Roms Alterthümer (de vita populi
Romani, de gente populi Romani, de initiis urbis Romae etc.)
füllten eine ganze Reihe von Schriften, wozu noch die Alterthümer
des gesammten menschlichen Geschlechts (antiquitates rerum humanarum)
und der göttlichen Dinge (antiquitates rerum divinarum)
kommen. Andere betrafen die Erziehung (Catus seu de liberis
educandis), die Verfassung (z. B. Tribuum hbri), die Grammatik
(de lingua latina), die Nautik (ephemeris navalis), das Theater
(z. B. de actionibus scenicis). Noch andere scheinen sehr gemischten
Inhalts gewesen zu sein, wie die disciplinarum libri, die epistolicae
quaestiones, die satirae Menippeae, die zum Theil in Versen
geschrieben waren. Mehrere Bücher, von denen es zweifelhaft
ist, ob sie Werke für sich oder nur Theile grösserer Werke
bildeten, übergehe ich. Schwer zu errathen ist, was das Buch de
aestuariis enthielt, ob es naturwissenschaftlichen Inhalts war, oder
nicht. Auch über sein Buch de admirandis steht uns nach den wenigen
Fragmenten, die wir davon besitzen, keinUrtheil zu. Ueber die
drei Bücher de re rustica habe ich noch besonders zu sprechen.
1) Gellt i noci. Attic. IJI, cap. 10 ad finem.
Bähri) ist geneigt in den meisten dieser Werke eine praktische
Tendenz zu finden. Varrò müsste kein Römer sein, hätte
er nicht auf das Leben zu wirken beabsichtigt; unter den Römern
früherer Zeit dürfte jedoch keiner mehr unmittelbares Interesse an
den Dingen und am Wissen derselben kund geben als er. Cicero
schildert ihn in einem vertraulichen Briefe an Atticus als einen
mürrischen, argwöhnischen, schwer zu behandelnden Mann; dazu
war aber ein besonderer Anlass, den wir im Geist jener Zeit und
jener Männer zu würdigen kaum fähig sind. Varrò wollte sein
grosses Werk über die lateinische Sprache dem Cicero dediciren,
wünschte aber lebhaft in gleicher Weise von diesem öffentlich anerkannt
zu sein. Dazu war auch Cicero bereit, aber keiner von
beiden übereilte sich, jeder hätte es gern gesehen, dass ihm der
andere zuvorkäme. Varrò hatte vollgültige Entschuldigung, er arbeitete
lange an seinem Werk, und gab unterdessen nichts anderes
heraus ; Cicero Hess manches erscheinen ohne Bezug auf
Varrò. Darüber war dieser empfindlich, und Atticus unterhandelte
förmlich für ihn mit Cicero über die Dedication, die derselbe niemals
ablehnte, doch so lange wie möglich hinausschob, unterandern
auch einmal unter dem Vorwande, er werde ihn doch nicht befriedigen
können 2). Es ist klar, wie viel Gewicht darauf zulegen
ist; mir scheint daraus nur hervorzugehen, dass im Gelehrtendünkel
keiner dem andern nachstand, dass Cicero wusste, wie er in der
Kunst der Darstellung, Varrò, wie er im Reichthum der Kenntnisse
dem Nebenbuler überlegen war. Wie musste es diesem Manne
schmeicheln, als endlich Asinius Pollio in Augustus Auftrage die
grosse öffentliche Bibliothek zu Stande brachte, welche einzurichten
früher er selbst beauftragt war; als er sie geschmückt fand
mit den Bildsäulen aller der grossen Verstorbenen, deren Werke
1) Bahr Gesch. der röm. Literatur II, Seite 30 ff. und 551 ff., wo auch
mehrere von Schneider übergangene Schriften Varro's vorkommen.
2) Cicero ad Atticum IV, epist. 16; XIII, episf. 12, 13, 18, 19, 23, 25, 44.
Bekanntlich sind Ciceronis académica posteriora dem Varrò, und das Werk dieses
de lingua latina jenem gewidmet.