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Buch 1. Kap. 2. §.10.
§. 10.
P s e u d o - H i p p o k r a t e s von der Natur des Fötus.
Wichtiger als viele Philosophen, von denen ausser ihres Na-
B u c h I. Kap. 2. §. 10. 65
mens Ruhm wenig au uns gekommen, scheint mir für die Geschichte
der Botanik ein nicht einmal dem Namen nach bekannter
Arzt, dessen kleine Schrift von der N a tur des Fötus , eigentlich
eine vergleichende Entwickelungsgeschichte des menschlichen
Embryo's, gewisse Theile der Pflanzenphysiologie ziemlich ausführlich
und mit philosophischer Färbung behandelt. In Handschriften
und Ausgaben führt sie den Namen des Hippokrates
doch schon zu Galenos Zeiten zweifelte man, ob sie wirklich von
Hippokrates oder von dessen Schwiegersohn Polybos verfasst
sei. Neuere Kritiker sprachen sie dem erstem, der neueste, Petersen
2), auch dem letztern entschieden ab, und dieser zeigte
zugleich, dass sich die Philosophie des Verfassers, so weit sie sich
aus einer Schrift so geringen Umfanges und keineswegs der Hauptsache
nach philosophischen Inhalts erkennen lässt, sehr nahe an
die des Diogenes Apolloniates anschliesst, und dass Aristophanes
in den in den Jahren 423 und 422 v. Chr. aufgeführten Wolken
neben jenem vermuthlich auch diesen bespöttelte. Daher die
Schrift desselben etwa um 424 zu setzen sein möchte, in dieselbe
Zeit, in der nach Petersen auch die ächten hippokratischen
Schriften, theils etwas früher, theils etwas später entstanden.
Aus vielen Aeusserungen lässt sich abnehmen, dass unser
Pseudo-Hippokrates (denn es sind mehrere zu unterscheiden) gleich
Diogenes keine Grundverschiedenheit der Elemente annahm, sondern
eins in das andere sich wandeln Hess. So scheint er den
stets mehr oder minder feuchten Athem (jcvEviiiay Grimm übersetzt
es durch Luftgeist) wie eine wasserartige Luft, und die Nässe
{iKftdg^ bei Grimm Feuchtigkeit), die sich als Niederschlag des
1) Hipp 0 er at es de natura pueri; in Ejusd, operibus cura Kühn^ torn, / ,
1825. 8. pag. 382 sqq.
2) Petersen L c. pag. SO sqq. et pag. 49.
Dam])fes bildet, als ein luftartiges Wasser zu betrachten. Entsprechende
deutsche Ausdrücke für jene beiden griechischen in
diesem Sinne giebt es nicht, was ich nicht zu übersehen bitte,
wenn in der Uebersetzung, die ich gleich mittheilen werde, auch
dasjenige Athem^ genannt wird, was wir Duns t , und das Nässe,
Avas wir Saf t nennen Avürden. Von Kr a f t ist öfter die Rede,
zumal wo sich ein Neues bilden oder eine lebhaftere organische
Thätigkeit regen soll; aber auch von leichter und schwerer, von
etter und dichter Kraft, so dass sie, wie bei Diogenes, dem Stoff'
nicht entgegengesetzt, sondern ihm inhaftend gedacht zu sein
scheint, weshalb auch hier der deutsche Ausdruck dem griechischen
(dvva/.iig) nicht recht entspricht. Ich lasse jetzt die Hauptstellen
in einer mir selbst am wenigsten genügenden Uebersetzung
:-olgen. Doch hoffe ich dem Original etwas näher gekommen zu
sein, als Grimm in seiner sonst so gelungenen Uebersetzung.
„Alles, was erwärmt wird, bekommt Athem. Der Athem aber
bricht durch, bahnt sich selbst einen Weg, und tritt aus; w^ogegen
das Erwärmte wiederum neuen kalten Athem, von dem es sich
ernährt, durch den entstandenen Riss einzieht. Das geschieht
auch mit Holz Blättern Speisen und Getränken, w^enn sie stark
erwärmt werden, wie man an brennendem Holze sehen kann; denn
alles Holz macht es so, vornehmlich das grüne. Durch einen
Spalt stösst- es den Athem aus, und sobald er ausgetreten ist,
Avirbelt er um den Spalt; so zeigt es sich allemal. Offenbar verlält
sich also der Athem so, dass er, Avenn er sich im Holze
erwärmte, anderen kalten anzieht, von dem er sich ernährt, und
von dem er selbst ausgeht. Denn zöge er nicht etwas an, so
würde der ausgehende Athem nicht warbein. Alles Warme ernährt
sich von mässig Kaltem, und so wie sich das Feuchte im Holz
erwärmt, so wird es Athem und tritt aus; und so wie das im Holz
befindliche Warme herausgeht, so zieht es neues Kaltes an, wo-
1) Hippokrates Werke. Aus dem Griecli. übers, it. mit Erläuterungen von
J* F. C. Grimm. Revidirt u. mit Annierhungen versehen von L, Lilienhain. //,
S. 272 u. 281 ff.
Meyer , Gesch. d. Botanik. I. 5
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