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388 B u c h IV. Kap. 2. §. 57.
wieder eine vorn wenig verstümmelte Inschrift die in vier Zeilen
also lautet:
(v) ITßUVlO
(polli) ONL ARCH
JUS. CLASSIC
G. P. M.
Eine einnehmende Gestalt hatte ihm, wie er selbst gestellt, die
Natur versagt-), Vermögen besass er nicht und nichts an ihm
vcrräth einen vornehmen Stand; auch fehlt ihm, wie sein ganzes
Werk zeigt, die in Eom so hoch geschätzte, fast für unerlässlich
gehaltene, grammatisch rhetorische Bildung jener Zeit, Seine Darstellung
hat etwas Unbeholfenes, seine Schreibart strotzt von Gräcismen
und Ausdrücken, deren sich der feinere Ilömer enthielt;
neuere Kritiker sprechen von seiner plebejen Sprache, und dass
er calefaciuntur statt calefiunt sagt, scheint ihnen der Gipfel der
Koliheit. Uns Botanikern, denen wohl einmal etwas ähnhches
begegnet, ziemt es, ihn mit einem andern Maass zu messen, uns
seiner vielseitigen Kenntniss, seiner eigenen Beobachtungen, wie
seiner Belesenheit zu erfreuen, und ihm die höchste Achtung da-
:'ür zu zollen, dass er, was er mit den Sinnen wahrgenommen,
hinterdrein auch mit der Vernunft zu begreifen strebte. Steht er
doch darin unter den Römern neben Lucretius beinahe allein.
Man könnte ihn nach dem allen für einen geistreichen Autodidakten
halten, rühmte er nicht voll Dankbarkeit den Unterricht,
den ihm seine Aeltern ertheilen Hessen, und zwar vorzüglich in
derjenigen Kunst, welche eine wissenschaftliche Bildung, ja eine
Uebersicht aller Wissenschaften voraussetze^), in der Baukunst.
1) Bekannt gemacht''im Rheinischen Museum für Philoloyie^ von Welcher
lind RitschL Neue Folge, Jahrg. III, S. 467,
2) Vitruv, 11^ praefai,' Mihi staturain non iribuit natura,
3) Idem VI, praefat.: Potiiis tenuiiaiem cum bona fama, quam abundantiam
cum infamia seqiiendam prohavi»
•4) Ifague ego maxivias infinitasque parentihas ago atque habeo gratias, quod.. .
rue arte erudiendum curaverant, et ea, quae non potest esse probata sine literatura
e'lcyclioque doctrinar am omnium disciplina. Ibidem.
B u c h IV. Kap. 2. §. 57. 389
Sein Werk widmete er dem Kaiser Augustus, doch schon
Julius Cäsar (ermordet 44 v. Chr.) war auf ihn als Architekten
aufmerksam geworden*), was schwerlich lange vor dem 30. Jahr
seines Lebens geschehen konnte. Augustus selbst hatte ihn zur
Anfertigung von Kriegsmaschinen gebraucht, und liess ihm, als
diese Beschäftigung aufhörte, auf Verwendung seiner Schwester
Octavia seinen Gehalt als Pension. Den Namen Augus tus , mit
welchem Vitrnvius den Kaiser bezeichnet, indem er von einem
Tempel desselben zu Colonia Fanestris redet, nahm derselbe erst
im Jahr 27 v. Chr. an. Früher schrieb Vitruvius also nicht; und
nicht später als 13 v. Chr. Denn bis zu der Zeit besass Kom
nur ein einziges steinernes Theater, jetzt bekam es auf einmal
noch zwei der Art; Vitruvius spricht aber von dem steinernen
Theater zu Rom so, dass man sieht, es sei zu seiner Zeit noch
das einzige gewesen. Hirt2), dem ich diese Zeitbestimmungen,
welche allgemeine Anerkennung fanden, entnehme, geht noch
M^eiter. Den Tempel des Quirinus zu Rom, sagt er, nenne Vitruvius
als einen solchen, der zur Gattung Dipteros gehöre.
Dieser Tempel aber ward nach Dion Cassios ^ ) erst im Jahr IG
vor Chr. von Augustus erbauet und eingeweihet. Folglich muss
Vitruvius sein Werk zwischen den Jahren 16 und 13 v. Chr. geschrieben
haben. Dagegen bemerkt Sachse Augustus hätte
1) Ich setze die Stelle, woraus sich dies und mehreres folgende ergiebt,
ganz hierher: Ideo quod primuni parenti tuo (dein Cäsar) de eo (es war von
Bauten die Kede) fuerani notus, et ejus virtiitis studiosas; cum autem concilium
coelestium in sedibus immortalitatis euni d.edicaoisset, et Ìnij)eriuw parentis in tìiani
potestateni transtulisset : idem Studium nicum in ejus memoria permanens in te coutulit
favorem, Itaque cum M. Aurelio et .P. Numisio et Ca. Cornelio ad apparaiioueni
balistarim et scorpionum reliquorumque tormentorum perfectionem fui praesto , et ciim
eis commoda accepi. Qitae cum primo mihi tribuisti^ recognitionem per sororis commendationem
servasti. Vitruv. f praefat.
%) Hirt über die Zeit, ivorin Vitruvius schrieb; iìti Museum der AUerthurns^-
Wissenschaft von Wolf Band 1 {1806) Seite 219 ff,, besonders Seite 22H und 220
3) Dio Cass, LIV, cap. 19,
4) Sachse, Geschichte und Beschreibung der alten Stadt Rom ( Band J, lö24 ;
I I , 1828) II, Seite 100.
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