390 B u c h IV. Kap, 2. §. 57.
diesen im Jahre 49 v. Chr. abgebrannten Tempel nur wieder erneuert,
wahrscheinlich hätte derselbe schon vor seiner Zerstörung
der Gattung Dipteros angehört, und andere „oben angegebene"
Gründe schienen überwiegend dafür zu sprechen, dass Vitruvius
sein Werk nicht erst gegen das Jahr 14 v. Chr. geschrieben habe.
Vergebens bemühete ich mich die hier angezogene frühere Stelle
in dem weitschichtigen Werk zu finden, es müsste denn die Stelle
Band I, Seite 518 gemeint sein, wo beiläufig und ganz ohne
Beweis die Behauptung vorkommt, Vitruvius hätte sein Werk
ungefähr gegen 30 v. Chr. geschrieben. Wie aber, frage ich,
konnte sich dieser um jene Zeit auf ein Gebäude als Beispiel
berufen, Avelches vom Jahre 49 bis 16 v. Chr. gar nicht existirte?
Giebt es keine besseren Gegengründe, so müssen wir Hirts Zeitbestimmung
vollkommen beitreten. Allein einen andern Irrthum
bei Hirt darf ich nicht unbemerkt lassen. Aus einer oben angeführten
Stelle folgert er, schon unter Julius Cäsar hätte Vitruvius
als Kriegsbaumeister gedient, und von Augustus als Veteran
seines Vaters einen Kuhegehalt bekommen. Das würde zu
der Zeit, da Vitruvius schrieb, ein sehr hohes Greisenalter voraussetzen;
und doch lässt sich aus mehreren Stellen seines Werks
nicht verkennen, dass er sich, wiewohl bei Jahren, doch noch zur
Ausführung grösserer Bauten dem Kaiser zu empfehlen wünschte.
Vitruvius sagt aber auch in jener Stelle keineswegs, was Hirt ihn
sagen lässt. Als Baukünstler war er zwar schon dem Cäsar bekannt,
zur Anfertigung von Kriegsmaschinen benutze ihn erst
Augustus selbst. Er spricht von Abnahme seiner Kräfte durch
Krankheit; darin, nicht in seinem hohen Alter, scheint der Grund
der Fortdauer seines Gehalts zu liegen. Vorausgesetzt, er hätte
bei Casars Tode 30 Jahr gezählt, so war er im Jahr nach der
Wiedererbauung des quirinischen Tempels 59 Jahr alt; und weit
l ) Vitruv. II, praefat.: Mihi, imjjerator, statiiram non trihuit natura, fadem
deformavit aetas, valetudo detraxit vires. Itaque, quoniani ab his praesidiis suvi
desertiis, per auxilia scientiae scriptaqne, ut spero, perveniam ad commendationem. —
Und so in den Vorreden mehrerer Bücher.
B u c h IV. Kap. 3. §.58. 391
dürfte sich diese Annahme gewiss nicht von der Wahrheit entfernen.
Das ist aber auch alles was wir von dem Leben dieses
merkwürdigen Mannes wissen oder mit Grund vermuthen können.
Drittes Kapitel.
Die Heilmittellelire der Römer.
§. 58.
U e b e r s i c h t ihrer Geschichte nach Plinius.
Auf diesem in Griechenland mit Vorliebe angebauten Felde
wird unsere römische Aehrenlese fast leer ausgehen. Die
Wissenschaft der Medicin stand bei den älteren Römern in sehr
geringer Achtung. Bei einfacher Lebensweise, kriegerischer Abhärtung
bedurfte man ihrer selten, und auf der Stufe der Geistesbildung,
auf welcher der ächte alte Römer stand, genügte ihm im
Nothfall ein einfaches Hausmittel, eine Beschwörungsformel oder
ein Orakelspruch seiner Priester, und ward ihm der Schmerz einer
Krankheit unerträglich, verlor er die HoiFnung der Wiederherstellung,
so galt ein freiwilliger Tod nicht nur für erlaubt, sondern
ehrenvoll^). Zwar lockte Gewinnsucht griechische Aerzte schon
zu Cato's Zeiten nach Rom; dass aber einer dem andern wMersprach
und entgegenhandelte, untergrub das Vertrauen zu ihrer
Kunst, und dass sie dieselbe um Lohn ausübten, galt für Wucher.
Es ist merkwürdig, was Cato darüber an seinen Sohn schreibt:
„Ueber diese Griechen werde ich an seinem Ort sagen, mein Sohn,
was ich zu Athen erfahren habe, und werde zeigen, dass es gut
sei ihre Schriften zu durchblättern, nicht zu studiren. Es ist ein
nichtswürdiges unverbesserhches Geschlecht. Und dies lass dir
1) Vergl. Stäudlin Geschichte der Vorstellungen und Lehren vom Selbstmorde
{1824) Seife 52 ff.
) PI in. hist. nat. X X I X , cap. 1 sect. 7.