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94 Bucli 11. Kap. 1. 16.
16.
F r a g m e n t e aristotelischer Phytologie, nach Wimmers
A u s g a b e derselben übersetzt.
I. Verwandtschaft des Thiers und der Pflanze.
1. So geht die^ Natur allmälig über von den unbeseelten
Dingen zu den Thieren, so dass sich, wo die Grenze und wo die
Mitte sind, in der Reihenfolge verbirgt. Denn auf die Gattung
der unbeseelten Dinge folgt zunächst die der Pflanzen, und unter
diesen unterscheidet sich eine von der andern darin, dass die eine
mehr die andre weniger Antheil am Leben zeigt. Vergleicht man
aber diese Gattung im Ganzen mit jenen andern Dingen, so zeigt
sie sich offenbar wie beseelt, wenn mit den Thieren, wie unbeseelt;
und gleichwohl ist der Uebergang von ihnen zu den Thieren,
wie gesagt, ununterbrochen. Denn bei einigen, die im Meere
wohnen, möchte man zweifeln, ob sie Thiere oder Pflanzen seien.
Sie sind nämlich angewachsen, und losgerissen kommen viele derselben
um Ueberhaupt gleicht die ganze Gattung der Schalthiere
den Pflanzen, wenn man sie gegen die beweglichen Thiere
hält, . . . . der Schwamm aber gleicht völlig den Pflanzen.
2. Die Austern unterscheiden sich ihrer Natur nach wenig
von den Pflanzen, doch sind sie thierhafter als die Schwämme;
diese haben ganz das Wesen einer Pflanze. Denn ununterbrochen
geht die Natur über von den unbeseelten Dingen zu den Thieren
durch diejenigen, welche zwar leben, doch noch nicht Thiere sind,
so dass die einander nahe stehenden sich nur sehr wenig von
einander unterscheiden
1) Histor. animai. Vili, cap. 1. pag. 588 h.
2) De partib. animai. IV, cap. 5. pag. 681 a.
a) Im Griechischen bedeutet ò]?/, athmen, und dann überhaupt leben.
Davon abgeleitet ist fwr/, das Leben, und l,d)ov, das Thier, so dass beide
Wörter sich nur durcli das grammatischG Gcschlecht und dön Accent unterscheiden.
Das war wohl nicht ganz ohne Einfluss auf die Untersuchung des
Pflanzenlebens.
Buch 11. Kap. 1. 16.
II. Das Leben.
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3. Alle Dinge sind entweder von Natur, oder aus einer andern
Ursache. Von Natur sind die Thiere und deren Theile,
ferner die Pflanzen, und die einfachen Körper, als Erde Feuer
Luft und Wasser; von diesen und dergleichen sagen wir, sie sind
Yon Natur. Alle genannte aber unterscheiden sich von den nicht
von Natur bestehenden oflTenbar dadurch, dass sie das Princip
der Bewegung und der Euhe soAvohl dem Ort nach, wie auch
in Hinsicht auf Wachsthum und Abnahme und auf Umwandelung
(der Qualität nach) in sich selbst haben.
4. Einige Naturkörper haben Leben, andere nicht. Leben
aber nennen wir Ernährung Wachsthum und Abnahme durch
sich selbst.
5. Demnach ist die Seele die erste wirkliche Vollendung
(Entelechie) des der Möglichkeit nach Leben habenden Naturkörpers,
dergestalt dass er auch ein organischer sei. Soll ich
daher etwas Allgemeines über die Seele im Ganzen sagen, so
sage ich, sie sei die erste wirkliche Vollendung des organischen
;iiaturkörpers.
III. Leben und Seele der Pflanzen.
6. Wir sagen . . . . das Beseelte unterscheide sich von dem
Unbeseelten durch das Leben. Da aber Leben in verschiedenen
Bedeutungen gesagt wird, so nennen wir Leben dasjenige, worin
auch nur eins von folgenden vorhanden ist: Denken, Empfinden,
Bewegung und Euhe dem Ort nach, oder Bewegung rücksichtlich
der Ernährung Abnahme und Zunahme. Demnach scheinen auch
alle Gewächse zu leben, da sie offenbar die Kraft und das Princip,
vermöge deren sie an entgegengesetzten Orten zu- und abnehmen,
in sich selbst haben. Denn sie wachsen nicht etwa nur nach
3) Physic, auscult. I I , cap. 1. pag. 192 b.
4) De anima I I , cap. 1. pag. 412 a.
5) Ibidem.
6) Ibidem, cap. 2. pag. 413 a.
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