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00 B l i c h 1. Kap. 2. §. 9.
ten, indem er nach Anführimg anderer Fortpflanzungsarten der
Bänme hinzusetzt: „Dazu kommt die Entstehung aus freien Stücken,
wie es die Physiologen nennen. So behauptete Anaxagoras, die
Luft enthiehe die Samen von allem, und wohin dieselben durch
das Regenwasser gebracht würden, da entständen Pflanzen." Dasselbe
scheint Nikolaos Damaskenos i) den Anaxagoras sagen zu
lassen, doch in so verderbten Worten, dass ihr wahrer Sinn sich
nur errathen lässt. Wahrscheinlich lauteten sie: „und so sao-t
Anaxagoras, ihr Same 2) käme aus der Luft, und darum sage man
überhaupt••5), die Erde sei die Mutter, die Sonne der Vater der
Pflanzen."
Das Leben der Pflanze und des Thiers scheint er kaum unterschieden
zu haben. Dahin deutet schon der aristotelische Ausspruch,
nach Anaxagoras und Diogenes athme alles''); und noch
bestimmter sagt Nikolaos •'): „die Pflanze hat keinen Athem, obschon
Anaxagoras sagt, sie habe Athem." An einer andern Stelle6)
1) Nicol. Dam. de plant. I, cap. 6.
2) Im lateinischen Text steht ihre Kälte. In meinem Commentar
habe ich gezeigt, wie leicht die arabischen Worte, welche Kälte und welche
Samen bedeuten, verwechselt werden konnten.
3) Im lateinischen Text steht, wie öfter, wenn sich der üebersetzer nicht
anders zu helfen wusste, ein sehr zweifelhaftes arabisches Wor t : et ideo dicit
l e c h i n e o n . Albertus Magnus hielt es für den Namen Lykophron, „quem
Arabes corrupte Leucineom vocent." Jourdain wollte lieber Leukippos lesen.
Meine Erklärung aus dem Arabischen, nach der es heissen würde: „und so
sagten
die Philosophen seiner Schule^^^ niuss ich als übereilt und. sprachwidrig
zurücknehmen. Aus der Parallelstelle des Aristoteteles de gener. animal.
I, cap. 2. pag. 716 a {3io xal h lu) dlqj t^v rijs yfjg (f^aiy cog d-ijXv xal /LirjT^Qa
vofjtXovaiy, ovqavov dk xal ^Xior xi tmv allojv riov toiovtüjv cog yevvMVrag
xal nca^Qag nqogayoQivovaip), Avelche Nikolaos allem Anschein nach wiedergeben
wollte, ergiebt sich, dass das arabische lechineon dem griechischen Iv
TW oXm entspricht. Sollte es daher nicht aus einer der vielen Nebenformen
des Wortes , essentia, existentia, und der inseparablen Partikel J zusammengesetzt
sein? ungefähr wie das sehr ähnliche in gleicher Art gebildete
i - j v / i j propterea?
4) Ar ist. de respir. cap. 2. pag. 470 in fine.
5) Nie ol. Damasc, /, cap. 5.
6) L. c. 7, cap. 2.
B u c h L Kap. 2. §. 9. 6 i
sao-t er: „Anaxagoras, Demokritos und Empedokles behaupteten
die Pflanzen hätten Verstand und Einsicht." Und eine dritte. Stelle
bei ihmi) lautet: Anaxagoras und Empedokles sagen, die Pflanzen
würden von Verlangen getrieben, sie fühlten, trauerten und freueten
sich. Ja Anaxagoras behauptete, sie wären Thiere, und zum
Beweise dass sie sich freueten und trauerten, berief er sich auf
die Bewegungen (flexus) der Blätter (vielleicht nach dem Lichte).
Wie wir aber diese Behauptungen zu verstehen haben, erläutern
am besten zwei anaxagoreische Aussprüche, die uns Simplicius 2)
aufbewahrte: „Was Seele hat, Grösseres und Kleineres, alles dessen
ist der Geist mächtig;" und: „Aller Geist ist sich gleich, der
grössere, wie der kleinere." Man sieht, wie dem Anaxagoras der
einige Geist doch wieder zur Weltseele zusammenschrumpfte. Aufs
Besondere der Naturlehre scheint er sich nicht eingelassen zu
haben.
Ueberhaupt rückte der gänzliche Umschwung, den die ionische
Philosophie durch die Eleaten, und bald darauf die gesammte
Philosophie erfahren sollte, immer näher. Um das Jahr 458 v. C.
kam der schon greise Parmenides mit seinem damals vierzigjährigen
Schüler Zenon, den Aristoteles als Begründer der Dialektik
betrachtet, nach Athen, und kehrte seitdem öfter dahin zurück,
während Anaxagoras die Stadt verlassen musste. Schon
damals soll sich der philosophische Geist des Sokrates verrathen
haben; doch lange bevor er als Lehrer einer reineren Sittenlehre
auftrat, hatten die Sophisten in Athen ihr Wesen zu treiben
begonnen, der Physik wie der Sittenlehre gleich unerspriesslich;
und die letzten Physiker bereiteten ihnen die Wege durch ihre
Verirrung in Atomistik und rohen Materialismus, womit sich wenigsten
bei einem der folgenden, bei Demokritos, noch eine nicht
geringe Portion Aberglauben verbunden zu haben scheint.
Ich lasse, wie Krüger und Brandis, nach Anaxagoras zunächst
den D i ogene s von Apollonia auf der Insel Kreta fol-
1) L. c. IT, cap. 1.
%) Bei Brandis 7, 263. AnmerK b. und d.
3) Clinton fasti Hellen, edid. Krüger ad annum 465.
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