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368 Buch IV. Kap. 1. §. 32.
Der grammatischen Kichtung Varro's verdanken wir eine Keihe
botanisch-terminologischer Bestimmungen, die nicht ohne Einfluss
auf die Vorstellungen vom Bau der Pflanzen bleiben konnten. Nicht
die aus Rinde bestehenden Galbuli sind die wahren Samen der
Cypresse, sondern in diesen befinden sie sich, und sind unscheinbar
klein Der natürliche Same des Feigenbaums (im Gegensatz
gegen Stecklinge und Ableger, die man im weitern Sinn auch
zu den Samen rechnete) befindet sich inwendig in der Feige, die
wir essen, und besteht aus so kleinen Körnern, dass kaum Pflänzchen
daraus erwachsen können; denn alle sehr kleinen und trockenen
Samen keimen schwer. Besser erzieht man daher die Feige
aus Stecklingen als aus Samen, ausgenommen wenn man sie über
Meer kommen lässt. So sind die Feigen aus Chios , Chalcidica,
Lydien und Afrika eingeführt-). Die Aehre des Weizens nnd der
Gerste besteht aus drei Theilen, dem Korn, der Spelze, und
der Granne, und anfangs, während sie entsteht, auch noch aus
der Scheide. Korn nennt man das Innere, Harte; Spelze dessen
Schlauch; Granne, was wie eine lange dünne Nadel aus der
Spelze hervorragt. Die Granne und das K o r n kennt fast jedermann,
Wenige kennen die Spelze; nur Ennius gedenkt ihrer in
seiner Uebersetzung des Euhemerus (von der Natur der Götter
Mit der nun folgenden Etymologie dieser Kunstausdrücke, die
nicht immer zum Besten gelingt, wollen wir uns nicht aufhalten.
Auch an Beobachtungen über das Wachsthum und die normale
Bewegung der Blätter und Blumen fehlt es nicht. Sind Boden
und Wetter günstig, so pflegt die Gerste nach sieben Tagen,
monströse Wort c or n oc er a s um kommt nicht weiter vor). Doch wollen "wir
eins bei diesem Zeugniss nicht vergessen, dass die gleiche Bedeutung des
griechischen yjqag und des lateinischen cornu dem Grammatiker vermuthlich
bedeutsamer vorkam, als uns Naturforschern, und ihn erfindsam gemacht
haben könnte.
1) Varrò de re rusU cap, 40 sect, 1,
2) Ibidem cap. 41 sect, 4—6.
3) Ibidem cap. 48,
Buch IV. Kap. 1. §.52. 369
der Weizen etwas später, die Hülsenfrüchte nach vier bis fünf
Tagen zu keimen, ausgenommen die Bohne, die etwas mehr Zeit
erfordert. Eben so halten Hirse, Sesam und andere Samen ziemlich
regelmässig ihre Zeit. Zuerst entwickeln sich die Wurzeln.
Einige strecken sich weiter, andere nicht so weit aus, theils ihrer
eigenen Natur gemäss, theils nach dem Grade der Lockerheit des
Bodens 1). Fünfzehn Tage lang, sagt man, befinde sich das Getreide
in den Scheiden, fünfzehn Tage lang blühe es, fünfzehn
Tage lang trockene und reife es 2). Die Blätter einiger Bäume,
wie des Oelbaums der weissen Pappel der Weide, kehren sich
zur Zeit der Sommergleiche um, so dass man an ihnen die Jahrszeit
erkennen kann. Auch nennt man gewisse Blumen Heliot
r o p i a , weil sie sich bei Sonnenaufgang gegen die Sonne richten,
und bis zum Abend ihrem Laufe folgen 3). — Das sind die
erheblichsten, nicht die einzigen Beobachtungen solcher Art. Hie
und da sucht Varrò sogar die physiologischen Gründe des agronomischen
Verfahrens auf, z. B. beim Weinschnitt ; doch kommt
das seltener vor, und recht charakteristisch lässt er einmal, freilich
erst bei der Viehzucht, einen seiner Interlocutoren sagen:
„so ist es; warum es sei, das ist eure Sache, die ihr
den Aristoteles lesetSj"
Die Pflanzenwissenschaft überhaupt machte demnach durch
Varrò keinen Fortschritt, kaum dürfte sich etwas bei ihm finden,
was nicht die Griechen lange zuvor eben so oder besser gelehrt
hätten; im Vergleich mit Cato aber ist Varrò, nicht bloss als Landwirth,
sondern auch als Botaniker beträchtlich hoher zu stellen;
und was er auch den Griechen verdanke, das Verdienst, die Römer
damit bekannt gemacht zu haben, bleibt ihm gewiss.
1) Varrò de re rust. I, cap. 45.
2) Ibidem cap. 32.
3) Ih idem cap. 46.
4) Ibidem ca,p. 31.
5) Ibidem II, cap. 5 sect. 13.
Meyer, Gesch. d. Botanik. I.