Auflösung- der schmeckbaren Dinge in einer geschmacklosen
Flüssigkeit, und Wirkung der Auflösung auf eine
nervenreiche Fläche, die sich am Eingang des Nahrungscanals
befindet und der Durchdringung durch Flüssigkeit
fähig ist. Mit Hülfe dieser Charactere allein läfst
sich indefs auf die Gegenwart des Geschmacksinns
noch nicht schliessen. Wenn Bestandtheile der Speisen
in einem geschmacklosen Speichel aufgelöst werden,
so kann die Auflösung eine sonstige Beziehung als auf
den Geschmack haben. Eine nervenreiche Fläche kann
auch blos des allgemeinen Gefühls wiegen vorhanden
seyn, und ob eine solche leicht Flüssigkeiten annimmt,
ist oft schwer auszumachen. Die Handlungen der Thiere,
die vom Geschmack herrühren, sind meist so zweideutig
, dafs sie ebenfalls keinen Aufschlufs geben
können. Um über die Verbreitung des Geschmacksinns
im Thierreich etwas auszumachen, ist es daher noth-
wendig, die Analogie der Geschmackswerkzeuge des
Menschen als derer, worin dieser Sinn von gröfserer
Schärfe als bei den übrigen Thieren zu seyn scheint,
zu Hülfe nehmen.
Das Hauptwerkzeug des Geschmacks beim Menschen
ist bekanntlich die Zunge. Aber sie ist nicht
das einzige. Es giebt mehrere zuverlässige Fälle von
Menschen, denen die Zunge ganz fehlte und die doch
schmecken konnten.*) Es fand hier nicht etwa, wie
Rudolphi**) vermuthet, mehr ein Riechen als ein
*) Biologie. B. 6. S. 226.
**) A. a. O. B. 2. Abth. 1. S. 98.
Schmecken statt: denn B 1 u m e n b a c h *) bemerkt ausdrücklich,
ein von ihm beobachteter Mensch, der ohne
Zunge gebohren war, habe von Salzen, Zucker und
Aloe, also geruchlosen Substanzen, bei verbundenen
Augen den Geschmack richtig angegeben, und nach
W. H o rn ’s**) Versuchen w'erden viele Materien bei jedem
Menschen auch am weichen Gaumen geschmeckt.
Nach G u y o t’s und Admy r au l t ’s Erfahrungen soll,
zwar dieser Theil, so wie die ganze inwendige Fläche
der Lippen und Wangen, der Geschmacksempfindung
fremd seyn und nur ein kleiner Theil des Gaumensegels,
der keine bestimmte Gränzen hat, das Vermögen
zu schmecken besitzen, f) Allein bei Versuchen,
die ich an mir selber mit einem Süfsholz-
decoct machte, empfand ich in mehrern Fällen deutlich
den Geschmack dieses Holzes, obwohl sehr schwach,
wenn ich einigeTropfen dieser Flüssigkeit gegen die inwendige
Fläche der Wangen drückte. In andern Fällen
bemerkte ich ihn nicht. Der Erfolg dieser Versuche
hängt aber sehr von der Stimmung der Geschmacksorgane,
der Menge des Speichels, womit sie befeuchtet
sind, und dem Grad des Eindringens der angewandten
Substanz in die Nervenwärzchen ab. Sobald diese beim
Offenhalten des Mundes trocken werden, verliehrt sich
die Empfänglichkeit für Geschmackseindrücke selbst
auf der Zunge.
Die menschliche Zunge zeichnet sich im Äussern
Handbuch der vergleichenden Anatomie, lte Ausg. S. 830.
**) Ueber den Geschmackssinn des Menschen. Heidelb. 1885.
f ) Notizen aus dem Gebiet der Natur- u. Heilk. 1830 No. 681.