Diese Kreutzungen sind gewifs nicht ohne wichtige
Bedeutung. Es wird, glaube ich, noch eher möglich
seyn, dafs sich in ihnen eine Erklärung des Ueber-
einstimmens der umgekehrten Darstellung der Bilder
auf der Netzhaut mit den Eindrücken auf unsere
übrigen Sinneswerkzeuge einst findet, als dafs sich
diese aus andern. Gründen ergiebt, worin man sie
gesucht hat. So kann ich diese nicht mit Ber thold*)
und Shaw**) darin annehmen, dafs, um den obern
Theil eines Gegenstandes zu erblicken, das vordere
Ende der Augenaxe nach oben, um den linken Theil
desselben wrahrzunehmen, nach der linken Seite u. s. w.
gerichtet werden mufs. Die Bewegungen des Augapfels
entsprechen freilich der wirklichen Lage der Gegenstände.
Man mag aber dieses Factum drehen und
wenden wie man will, so bleibt es doch unerklärt,
wie Eindrücke auf die rechte Hälfte der Netzhaut als
gleichseitig mit Eindrücken auf alle übrige Nerven
der linken Seite empfunden werden, und dabei pafst
der angegebene Grund nicht auf die einfachen Augen
der Insecten, die gar keine Beweglichkeit haben,
und wodurch doch auch die Bilder der Gegenstände
umgekehrt dargestellt werden, während diese in den
zusammengesetzten Augen derselben Thiere aufrecht
erscheinen.
$J Das Aufrechterscheiuen der Gesichtsobjecte trotz dem umgekehrt
stehenden Bilde derselben auf der Netzhaut. Von A. A.
Be rth o ld . Göttingen. 1830.
**) The Journal of the Royal Institution. Nro. 5. Decbr. 1831.
p. 350.
Ganz unanwendbar sind die Gesetze des Verlaufs
der Hirnfasern auf die Erklärung der höhern geistigen
Functionen. Es läfst sich daraus nichts über die Entstehung
der Vorstellungen, der Associationen derselben,
der Operationen der Einbildungskraft u. s. w. begreiflich
machen. Unsere Vorstellungen sind nicht etwa
verblichene Abdrücke von Empfindungen, sondern jede
ist ein Abstractum von einzelnen Empfindungen, bei
deren Entstehung sehr verschiedene Nervenfasern gerührt
wurden. Associationen finden unter Vorstellungen
statt, die sich auf die verschiedensten Sinnesempfindungen
beziehen, auf Reizungen von Nervenfasern,
die weder in Contiguität noch in Continuität mit einander
stehen können. Es läfst sich denken, dafs die
Einbildungskraft, indem sie gewisse Erzeugnisse hervorbringt,
gewisse Hirnfasern in Schwingungen versetzt.
Aber sie mufs dann diese Fasern in sehr verschiedenen
Gegenden des Gehirns aufsuchen. Denn wras können,
wenn sie z. B. eine Lilie mit dem Duft der Rose
bildet, die Fasern, die einst von dem Eindruck der
Lilie gerührt wurden, mit denen gemein haben, wrelche
die Empfindung des Geruchs der Rose erweckten?
Es findet übrigens auch ein faseriger Bau keines-
weges in jedem Gehirn oder in jedem Theil desselben
statt. In mehrern, ganz frischen Thiergehirnen konnte
ich unter dem Vergröfserungsglase bei einer SOOmaligen
\ ergröfserung im Durchmesser wieder in der Rinde noch
im Mark wirkliche Fasern entdecken. Ich sähe z. B,
in Scheiben sowohl des Marks als der Rinde eines