Die ersten Excremente eines neugeborenen Kindes werden sorgfältig
aufbewahrt und uifter dem Namen Triaca (Theriacum) als ein besonders
auch gegen den Biss von Schlangen und tollen Hunden wirksames Universalheilmittel
aufbewahrt. E s wird auf die Wunde gelegt und zugleich eingenommen.
Eine grosse Anzahl Kinder stirbt in den ersten beiden Wochen nach
der Geburt. Es fehlen darüber alle statistischen Daten, aber nach Ansicht
eines cj^r ersten Aerzte in Manila kommt wenigstens ein Viertel um. Die
Ursache soll allein in der grossen Unreinlichkeit und schlechten Luft liegen,
da in den Stuben der Kranken und Wöchnerinnen Thüren und Fenster so
dicht verschlossen werden, dass vor Gestank und Hitze Gesunde krank
werden, Kranke schwer genesen. Früher verstopfte bei Geburten der Mann
alle Oeffnungen des Hauses, damit P a t i a n a c nicht eindringe, ein böser Geist
der den Wöchnerinnen Unheil bringt und die Geburt zu hindern sucht. Der
Gebrauch hat sich fort erhalten, bei Vielen wohl auch der Aberglaube ohne
eingestanden zu werden; wo dieser erloschen, hat man in der Furcht vor
Zugluft eine neue Erklärung fiir einen alten Brauch gefunden: Beispiele
solcher Anpassungen finden sich bei allen Völkern. Eine sehr verbreitete
Krankheit ist die K rä tz e , doch soll sie nach Versicherung des bereits erwähnten
Arztes weniger allgemein se in , als Nichtärzte glauben, die jene
Bezeichnung auf Hautausschläge überhaupt anwenden; an solchen haben
die Eingeborenen in Folge schlechter Diät sehr zu leiden, Bicolindier mehr
als Tagalen. [75] Unter gewissen Verhältnissen, welche die darüber befragten
Aerzte nicht genauer zu bestimmen vermochten, können die Eingeborenen
weder Hunger noch Durst ertragen (davon bin ich mehreremale
Zeuge gewesen). Sie sollen, wenn sie in solchem Zustande gezwungen sind,
das Bedürfniss ungestillt vorüber gehn zu lassen, bedenklich erkranken und
oft an den Folgen sterben.
Die krankhafte Sucht des Nachahmens, in Java Sakit-latar genannt,
kommt auch hier vor und heisst Mali-mali» In Java glauben Viele, dass die
Krankheit nur Verstellung sei, weil die angeblich damit Behafteteten es
vortheilhaft finden, sich vor neu angekommenen Europäern sehn zu lassen.
Hier aber beobachtete ich ein Beispiel, bei dem wohl keine Verstellung
vorausgesetzt werden konnte; meine Begleiter benutzten den krankhaften
Ziistand einer armen Alten, die uns hegegnete, um auf offener Strasse rohe
75) Im Lande glaubt man, dass Fleisch von Schweinen, die sich auf die S. 124 angegebene
Weise nähren, oft diese Krankheit hervorrufe; ein befreundeter Physiologe vermuthet die
Ursache eher in reichlichem Genuss sehr fetten Schweinefleisches — die Indier essen aber gewöhnlich
nicht viel Fleisch und die Schweine sind selten sehr fett.
Spässe mit ihr zu treiben. Die Alte ahmte alle B e le g u n g en nach, wie von
einem unwiderstehlichen Drang getrieben, und äusserte zugleich ihren lebhaftesten
Unwillen über die Leute, die ihre Schwäche missbrauchten.
In R. Maak’s Reise nach dem Amur (IlyTeiiieeTBie Ha |ÄMypi. pg. 83)
heisst e s : » Nicht gerade selten, leiden auch die Maniagrer an einer höchst sonderbaren
Nervenkrankheit, mit welcher wir schon gründlich bekannt warert durch
die Beschreibungen vieler Reisenden.*) Man begegnet dieser Krankheit bei der
Mehrzahl der wilden Völker Sibiriens, so wie auch bei den dort angesiedelten
Russen. Im Gebiete der Jakuten, wo dieses Leiden sehr häufig vorkommt, sind
die damit behafteten, sowohl bei den Rüssen als den Jakuten unter dem Namen
Emiura bekannt; hier aber (d. h. in dem Theile Sibiriens, wo die Maniagri
wohnen) werden dergleichen Kranke von den Maniagrern » Olon «, Von den Ar-
gurischen Kosaken »Olgandshi« genannt. Die Anfälle der von mir hier besprochenen
Krankheit bestehn darin, dass ein daran leidender Mensch, wenn er
in Schrecken oder Bestürzung geräth, unbewusst und oftmals ohne das geringste
Schamgefühl alles nachahmt, was vor ihm geschieht. Wird ein solcher
Mensch geärgert, so geräth er in eine Raserei, die sich dadurch äussert, dass er
ein wildes Geschrei ausstösst, auf andre Weise wüthet und sich sogar mit einem
Messer oder irgend einem ändern Gegenstand, der ihm gerade in die Hände
fällt, auf diejenigen losstürzt, die ihn in diesen Zustand versetzten. Bei den Maniagrern
leiden vorzugsweise Frauenspersonen an dieser Krankheit, besonders
sehr alte; übrigens sind mir auch Beispiele von Männern bekannt, welche damit
behaftet waren. Bemerkenswerth ist, dass die von diesem Leiden heimgesuchten
Weiber dessen ungeachtet kräftig waren, und sich in allen übrigen Beziehungen
einer guten Gesundheit erfreuten.«
Es ist vielleicht nur ein zufälliges Zusammentreffen, dass in den Ma-
layenländern Sakit latar und A m o k , wenn auch nicht bei demselben Individuum
, doch bei denselben Völkern neben einander bestehn. Beispiele
von Am o k scheinen auch in den Philippinen vorzukommen.**) Folgenden
Bericht finde ich im Diario de Manila vom 21. Februar 1866: In Cavite
drang am 18. Februar, ein Soldat vom 8. Regiment in das Haus eines
Schullehrers, gerieth mit diesem in Streit und erstach ihn, mit einem zweiten / o '
Dolchstoss tödtet er den Sohn des Lehrers, stürzt auf die Strasse, ersticht
zwei junge Mädchen von 10 bis 12 Jahren, verwundet eine Frau in der Seite,
einen neunjährigen Knaben im Arm, einen Kutscher (tödtlich) im Unterleib,
ferner' noch eine Frau, einen Matrosen, drei Soldaten. A n seiner Kaserne
angekommen, und von der Schildwache angehalten, stösst er sich selbst den
Dolch in die Brust . . . Leider steht der Fall nicht vereinzelt da . . .
E s ist eine der grössten Beleidigungen über einen schlafenden Einge-r
borenen zu schreiten, oder ihn schroff zu wecken. Sie wecken einander,
*) Vergl. A. Erman Reise um die Erde durch Nordasien. Abth. I. Bd. 3, S. 191.
**] Nach Semper S. 69 in Zamboanga und Basilan.