
tiv geringe Breite ihres Schädels im Vergleich zu einer relativ beträchtlichen
Länge. Einige andere polynesische Stämme sind geradezu ausgezeichnet durch
die geringe Breite des Schädels bei einer ungewöhnlichen Höhe und Länge
(Hypsistenocephali).
Man ist daher für unsere Schädel darauf angewiesen, andere Verwandtschaften
aufzusuchen, und die nächste Frage, welche sich hier aufwirft, ist d ie : ist
es eine malaische Bevölkerung gewesen, mit der wir es zu thun haben ? Auch für
die malaische Rasse im Ganzen liegen die angeführten Verhältnisse ausser aller Erfahrung.
Esgiebt allerdings ein paar Punkte im Gebiete der Malaien, an welchen
erheblich breite Schädel gefunden worden sind. We l c k e r (Archiv für Anthropologie
ü . S. 154— 156) hat die extremsten Verhältnisse an den von Madura, einer
nördlich von Java gelegenen Insel, hergebrachten Schädeln nachgewiesen, bei denen
aber doch solche Verhältnisse nicht Vorkommen, wie wir sie hier vor uns finden.
Nach seinen Mittheilungen betrug der Breitenindex der Maduresen, der übrigens
dem Höhenindex gleich war, 82*). Nächstdem stehen in der Liste von W e l c
k e r die Menadaresen mit einem Breitenindex von 80 und einem Höhenindex
von 81. Für die Javanesen berechnet er einen Breitenindex von 79, während
freilich andere Autoren 82— 84 haben. Immerhin ist durch die neuere Untersuchung
constatirt. dass innerhalb der malaischen Reihe eine gewisse Breite der
Schwankungen nach Stämmen existirt, und dass man bei einzelnen derselben zu
Breitenindices kommt, welche denen der Lappen nahezu analog sind.
Unter den vorhegenden Schädeln stammt nur einer, derjenige nämlich,
welchen Herr J a g o r am Ysarog auf der Insel Luzon ausgegraben hat, nach den
Nachrichten, welche er erhielt, von einem der heutigen Eingebomen ; es war bekannt,
dass der betreffende Mann, ein Cimarrone, durch einen Hieb am Hinterhaupte
sein Leben verloren hat. Dieser Schädel ist unglücklicherweise der einzige
unter den von Herrn J a g o r mitgebrachten, von welchem man sicher ist,
dass er einer noch jetzt bestehenden Race angehört, und da wir auch sonst wenig
Nachrichten über die Cramologie der Philippinen**) haben, so bin ich nicht in
der L a g e , etwas Bestimmtes über seine Stellung zu sagen. Sein Breitenindex
beträgt 76,9, der Höhenindex 76,1, der Breitenhöhenindex 98,9, die Capacität
1 3 15 Cub.-Cm. Auch wenn man die einzelnen Schädelknochen mit denen der
Lanang- und Nipa-Nipa-Schädel vergleicht, so sind seine Verhältnisse so wesentlich
abweichend, dass in der That keine Beziehungen des modernen Schädels
zu den Höhlen-Schädeln aufgefunden werden können. Dagegen kann ich allerdings
nach den sonst vorhegenden Messungen sagen, dass der Cimarronen-
Schädel eine gewisse Aehnlichkeit mit Malaien-Schädeln von den benachbarten
Sunda-Inseln. namentlich mit Dajak-Schädeln ***} darbietet.
*3 Für zwei Schädel von Madura bei J. v a n d e r Ho e v e n (Catal. craniorum p. 38) berechne
ich den Breitenindex zu 80,4 und 78,4, den Höhenindex zu 79,7 und 84,6.
**} Me y e n (Nova Act. Acad. Leop. Car. 1834. Vol. XVI. suppl. L p. 47), der auch
den Schädel einer Tagalin von Manila abbildet, rechnet diesen Stamm nebst den Bewohnern
der Carolinen, Marianen u. s. w. zur Rasse der Oceanier. S c h e t e l i g (Transact. Ethnol.
Soc. 1868. Vn.,' stellt die Luzonesen bestimmt zu den Malaien. Nach seinen Messungen hat
ihr Schädel einen Breitenindex von 83,5 bei'einem Höhenindex von 77; D a v i s habe bei Bi-
sayer-Schädeln 80 und 79 berechnet.
***) W e l c k e r berechnet für diese einen Breitenindex von 75 bei einem Höhenindex von
77. Einer der Dajak-Schädel bei v a n d e r H o e v e n hat einen Breitenindex von 75,z, ein
zweiter von 78,7.
Es bleibt aber noch eine Reihe von Schädeln, 6 an der Zahl, zu betrachten,
welche zwar sämmtlich aus einer anderen Höhle genommen sind, als die bisher
besprochenen, aber doch von demselben Felsencomplex von Nipa-Nipa stammen,
in welchem die eine der vorhin erwähnten Höhlen liegt. Diese Schädel (Taf. II,
fig. 1— 3) haben namentlich durch die häufige Erhaltung der Unterkiefer einen
besonderen Werth. Sie gehören ihrer ganzen Erscheinung nach einer anderen
Kategorie an und machen, namentlich durch ihre gute Erhaltung, den Eindruck
einer mehr modernen Gruppe. Für das chronologische Datum, Welches man
ihnen beilegen kann, tragen sie noch ein besonderes Indicium an sich: es sind
nämlich zwei derselben exquisit syphilitisch, so dass sie wirklich als Musterspe-
cimina in einem pathologischen Museum aufgestellt zu werden verdienen. An
dem einen findet sich eine Durchbohrung des harten Gaumens und eine Zerstörung
im Umfange des Naseneinganges an dem Oberkiefer und den Nasenbeinen,
welche jedoch offenbar geheilt gewesen ist; der andere (Taf. ü . fig. 3)
bietet ein mustergültiges Beispiel von Caries sicca, welche die Gegend der Stirn
einnimmt und von da auf die Nasenwurzel übergreift, so dass kein Zweifel sein
kann, dass es sich um eine chronische Periostitis gummosa des Stirnbeines und
der Nasenbeine gehandelt hat.
Nun giebt es freilich über das Alter der Syphilis verschiedene Meinungen,
indess ist bis jetzt weder die Meinung aufgestellt worden, dass die Syphilis ursprünglich
auf den Philippinen geherrscht habe, noch ist irgend eine Thatsache
an einem alten Schädel entdeckt worden, welche darthäte, dass syphilitische
Veränderungen in der alten Zeit bestanden hätten. Man wird also immerhin annehmen
können, dass diese Schädel erst zu einer Zeit in die Höhle gebracht
worden sind, als schon ein längerer Contact mit europäischen Völkern stattgefunden
hatte, also wahrscheinlich nach dem Anfänge des 16. Jahrhunderts.
Andererseits darf man nicht wohl annehmen, dass eine christianisirte Bevölkerung
noch diese Höhle benutzt habe, da, wie Herr J a g o r berichtet, die christlichen
Priester mit grösser Heftigkeit gegen diese Ueberreste gewüthet haben. Es lässt
sich daher wohl mit ziemlicher Sicherheit schliessen, dass die Zeit, innerhalb
deren diese Leichen in der Höhle von Nipa-Nipa deponirt worden sind, nicht
allzu lange nach demjenigen Zeitpunkte zu suchen ist, in welchem eine häufigere
Beziehung mit Europäern hergestellt worden war, und man wird vielleicht annehmen
dürfen, dass die Schädel dem Ende des 16. oder dem Anfänge des 17.
Jahrhunderts angehören; denn diese Zeit ist es, wo die spanische Herrschaft sich
ausbreitete, und es ist nicht wahrscheinlich, dass derartige Bestattungs-Gebräuche
von dieser Zeit ab gerade unter der Küstenbevölkerung, von der ein grösser
Theil vorher muhamedanisirt worden war, weiter fortbestanden haben.
Da nun die Stämme, welche an der Küste ihren Sitz haben, mit denjenigen
im Innern des Landes in loserer Berührung stehen, so wird in der Regel wohl
der Fundort der Schädel dem Sitze der Bevölkerung, von welcher sie stammen,
entsprechen. Handelt es sich also, wie bei der Höhle von Nipa-Nipa, um eine
Küsten-Lokalität, so wird man auch annehmen können, dass der betreffende
Volksstamm an der Küste gewohnt hat. Es liegt daher nahe zu schliessen, dass
diese Gruppe von Schädeln eine Beziehung zu den noch jetzt vorhandenen
Stämmen der Küste hat, und in der T h a t, wenn man diese Schädel betrachtet
und damit die Physiognomien der Leute auf den Abbildungen des Herrn
J agor vergleicht, so zeigen sich gerade bei den Bisayos gewisse Eigenschaften,
welche an allen diesen Schädeln wiederkehren: die verhältnissmässige Kürze bei
relativer Breite der Schädel findet sich bei der Vergleichung der Profil- und