
merklich verrücken dürfte. Anders ist es mit Spanien, das die Kolonie wie
ein ererbtes Gut besitzt, ohne sie zweckmässig bewirthschaften zu können.
Schonungslos gehandhabte Regierungsmonopole, kränkende Zurücksetzung
der Kreolen und reichen Mestizen und das Beispiel der Vereinigten
Staaten waren die Hauptveranlassungen des Abfalls der amerikanischen
Besitzungen. Dieselben Ursachen drohen auch in den Philippinen. Von
den Monopolen ist hinreichend im T e x t die Rede gewesen. Mestizen und
Kreolen werden zwar nicht wie ehemals in Amerika von allen Aemtem
ausgeschlossen, fühlen sich aber tief verletzt und geschädigt durch die
Schaaren von Stellenjäg em, welche die häufigen Madrider Ministerwechsel
nach Manila führen. Auch der Einfluss des amerikanischen Elementes ist
wenigstens am Horizonte erkennbar und wird mehr in den Vorgrund treten,
wenn die Beziehungen beider Länder zunehmen. Gegenwärtig sind diese
noch g e r in g , der Handel folgt einstweilen seinen alten Bahnen, die nach
England und den atlantischen Häfen der Union führen.
W er indessen versuchen will sich über die künftigen Geschicke der
Philippinen ein Urtheil zu bilden, darf nicht einseitig ihr Verhältniss zu Spanien
ins A u g e fassen, er wird auch die gewaltigen Veränderungen berücksichtigen
müssen, die sich seit einigen Jahrzehnten auf jener Seite unseres
Planeten vollziehn. Zum ersten male in der Weltgeschichte beginnen die
Riesenreiche zu beiden Seiten des Riesenmeeres in unmittelbaren Verkehr
zu treten: Russland, für sich allein grösser als zwei Welttheile zusammengenommen,
China das ein Drittel aller Menschen in seinen engen Grenzen
einschliesst, Amerika mit Kulturboden genug um fa st die dreifache G e -
sammtbevölkerung der Erde zu ernähren. — Russlands künftige Rolle im
stillen Ozean entzieht sich zur Zeit jeder Schätzung. D e r V erkehr der beiden
ändern Mächte wird voraussichtlich um so folgenschwerer sein, als
der Ausgleich zwischen unermesslichem Bedürfniss an menschlichen A r beitskräften
einerseits und entsprechend grossem Ueberfluss daran auf der
ändern Seite ihm zur Aufgabe fallen wird. (s. S. 176).
Die Welt der Alten war der Rand des Mittelmeeres, unserem Welthandel
genügten der atlantische und indische Ozean. Erst wenn das stille
Meer vom lebhaften Verkehr seiner Gestade wiederhallt, wird von Welthandel
und Weltgeschichte im wahren Sinne die Rede sein können. Der
Anfang dazu ist gemacht. V o r nicht langer Zeit war der grosse Ozean eine
Wasserwüste, den die einzige Nao alljährlich Einmal in beiden Richtungen
durchzog. Von 1603 bis 1769 hatte kaum ein Sch iff Califomien besucht,
jenes Wunderland, das vor 25 Jahren, mit Ausnahme weniger Stellen des
Küstensaumes, eine unbekannte Einöde w a r , heut mit blühenden Städten
bedeckt, von Eisenbahnen durchschnitten, dessen Hauptstadt unter den
Häfen der Union bereits den dritten Rang einnimmt, schon jetzt ein Zentralpunkt
des Welthandels, und wahrscheinlich bestimmt bei Erschliessung
d'es grossen Ozeans, eine der Hauptrollen zu übernehmen.
In dem Maasse aber als die Schifffahrt der amerikanischen Westküste
den Einfluss des amerikanischen Elementes über die Südsee ausbreitet,
wird der bestrickende Zauber, den die grosse Republik auf die spanischen
Kolonien ü b t[168], nicht verfehlen sich auch in den Philippinen geltend zu
machen. Die Amerikaner scheinen berufen, die von den Spaniern gelegten
Keime zur vollen Entfaltung zu bringen. A ls Conquistadoren der Neuzeit,
Vertreter des freien Bürgerthums im Gegensatz zum Ritterthum folgen sie
mit der A x t und dem Pfluge des Pioniers, wo jene mit Kreuz und Schwert
vorangegangen.
Ein beträchtlicher Theil des spanischen Ame rikas gehört bereits den
Vereinigten Staaten an und hat seitdem eine Bedeutung erlangt, die weder
unter der spanischen Herrschaft noch während der auf sie und aus ihr folgenden
Anarchie geahnt werden konnte. A u f die Dauer kann das spanische
System nicht neben dem amerikanischen bestehn. Während jenes
die Kolonien durch unmittelbare A u sb eu tu ng , zu Gunsten bevorzugter
K la s sen , die Metropole durch Entziehung der besten Kräfte, bei ohnehin
schwacher Bevölkerung erschöpft, zieht Amerika aus allen Ländern die
thatkräftigsten Elemente an sich, die auf seinem Boden von jeglicher Fessel
befreit, rastlos vorwärtsstrebend, seine Macht und seinen Einfluss immer
weiter ausdehnen. Die Philippinen werden der Einwirkung der beiden
grossen Nachbarreiche um so weniger entgehn, als weder sie noch ihre
Metropole sich im Zustande stabilen Gleichgewichtes befinden.
Für die Eingeborenen scheint es wünschenswerth. dass die oben ausgesprochenen
Ansichten nicht schnell zu Thatsachen werden, denn ihre bisherige
Erziehung hat sie nicht genügend vorbereitet um den Wettkampf
mit jenen rastlos schaffenden. rücksichtslosesten Völkern zu bestehn: sie
haben ihre Jugend verträumt.
168 Ich erlaube mir ein Beispiel anzuführen: Als ich mich 1861 an der Westküste von
Mexico befand, bestand der zur Zeit durch die Invasion europäischer Mächte vereitelte
Plan ein Dutzend nordamerikanischer Hinterwaldlerfamilien im Yaquithal-[Sonora], einer Oase
in der Wüste, anzusiedeln. Grosse einheimische Hacenderos erwarteten die Ankunft dieser
Einwanderer, um sich unter ihrem Schutz anzusiedeln. Der Bodenwerth war nach Verlautbarung
des Projektes beträchtlich gestiegen.
J a g o r , Philippinen. 4 9