Titel eines Pueblo oder Villa mit dem Namen Escorca verlieh, obwohl sie nur aus der Kirche,
dem anstossenden Collegium, dem kleinen Estanco und noch ein paar isolirten Häusern besteht.
Zunächst sei einiges Geschichtliche hierüber mitgetheilt.
Kurze Zeit nach der Eroberung der Insel durch Jaime I., um das Jahr 1239, soll ein junger
Hirtenknabe, Namens Lluch (Lucas), als er seine Heerde bei anbrechender Dunkelheit durch das
Thal führte, Lichter und Glanz auf dem Abhange eines der Berge von Escorca gesehen haben. Er
gab einem Cisterziensermönch, der damals Rector der Pfarre von SD Pedro oder von Escorca war,
sofort davon Kenntniss. Der Geistliche überzeugte sich davon, sah ebenso wie der Knabe die
Lichter. Um volle Klarheit hierüber zu erlangen, begab er sich zu der erleuchteten Stelle des Berges
und fand eine Statue der heiligen Jungfrau mit dem Jesuskinde auf dem Arme vor. Diese aus
braunem Stein ausgehauene Figur trug ein ciselirtes Kleid mit vergoldeten Lilien, einen seltsamen
Mantel und ein Scapularium von grünem Damast, mit rothen Garnituren bedeckt. Er gab sofort
den Jurados und dem geistlichen Kapitel (Cabildo) des Königreichs von dieser Thatsache Kenntniss,
in Folge dessen dieselben mit dem Clerus und dem Adel in feierlicher Procession zur betreffenden
Stelle zogen. Die Virgen de Lluch wurde nun zur Beschirmerin und Patronin Mallorca’s erhoben.
Nahe an dieser Stelle wurde auf Kosten des Capitels eine kleine Kapelle gebaut. Für die Bewachung
derselben ernannten sie zwei Prohombres, von denen der eine eine Militärperson, der
andere ein Handelsmann war. Es währte aber nicht lange, so wurden zwei an die Kirche an-
stossende Wohnungen für einen Geistlichen und einen Kirchendiener angebaut. Durch milde
Stiftungen und Almosen der Gläubigen wurde es möglich, das Gebäude zu vergrössern, und im
Jahre 1456 wurde die Pfarre von Escorca dem Sanctuarium von Lluch einverleibt. Man stiftete
dort eine Congrégation von aus mallorquinischen Familien stammenden Geistlichen, welche ausser
der Verpflichtung, sich dem Cultus der heiligen Jungfrau zu widmen, gleichzeitig zwölf armen in
der Anstalt zu erziehenden Kindern den nöthigen Unterricht zu ertheilen hatten. Diese Anstalt besteht
.heute noch, und gegenwärtig leitet ein Rector, der gleichzeitig Vorsteher der Pfarre von Escorca
ist, das Collegium, in welchem die Kinder Unterricht in den Elementarfächern und in Musik,
namentlich im Kirchengesang, empfangen.
Zum Collegiums-Gebäude führt eine achtreihige Nussbaum-Allee, in deren Mitte, sich ein
Springbrunnen befindet. Zu beiden Seiten stehen niedrige Gebäude, die als Stallungen dienen, und
eine von achteckigen Säulen getragene Holztreppe, unter welcher bei kircblichen Festen die Pferde
und Maulthiere der Wallfahrtspilger angebunden werden.
Ich habe solche Pilger gesehen. Sie fahren meist mit einer Galerita nach Caimari, lassen
dort das Fuhrwerk, und, abwechselnd auf dem gesattelten Pferde sitzend, ziehen häufig allé
Glieder einer Familie nach Lluch. An dem Orte der Einkehr, knieen sie erst vor dem Tische nieder,
verrichten ihre Gebete und nehmen dann, fromme Lieder singend, ihr einfaches Mahl ein. Leute
aus allen Ortschaften Mallorca’s, viele auch aus Palma, unternehmen solche Pilgerfahrten, nicht
wenige zur Erfüllung gemachter Gelübde. So oft ich solche Leute, vom reinsten und wärmsten
Glauben beseelt, sah, konnte ich mich einer inneren Rührung nicht erwehren. Das alte Collegium,
welches gleichzeitig als Hospederia dient, ist ein schmuckloses, zweistöckiges Gebäude, dessen
Fenster nur schlecht durch morsche Läden geschlossen werden können; das milde Klima muss
einen Ersatz für diesen Mangel abgeben, wiewohl es wegen der hohen Lage im Winter dort auch
recht kalt sein kann. Ausser den Wohnungen für die Pilger sind in demselben Gebäude noch die
Wohnungen des Rectors, der Colegiales und der Kinder, sowie der Bediensteten. Es enthält
ferner einen grossen Speisesaal oder Refectorium, eine geräumige Küche etc. Der Rector und die
Colegiales haben jeder einen Garten, für dessen Pflege sie zu sorgen haben. Die Erträgnisse aus
den gewonnenen Producten verbleiben ihnen. Das Colegio de Lluch bezieht eine Jahresrente von
2000 Duros und besitzt noch einige Predios. Ausserdem hat man ihm die in die Sammelbüchse
am Fusse der Mutter-Gottes-Statue gespendeten Almosen der Pilger und alle Einkünfte aus den unter
den Gläubigen manchmal veranstalteten Sammlungen überlassen.
Das Leben im Collegium ist gewöhnlich, namentlich aber im Winter, wo nur selten Wallfahrer
eintreffen, sehr einsam, und die Colegiales sind nur auf sich und die Gesellschaft der Zöglinge
angewiesen. Selten kommen sie mit den wenigen Arrendadores der Umgebung zusammen.
Die Geistlichen essen gemeinsam im Refectorium, bei welcher Gelegenheit das tiefste Schweigen
beobachtet wird. Die Zöglinge spielen bei Tische die Dienerschaft; es sind liebenswürdige, interessante
Knaben, und es macht einen eigenthümlichen Eindruck, in diesen alten- Sälen die ernsthaften
Geistlichen von diesen Engelsköpfchen umgeben zu sehen. Das grosse Gebäude, wo namentlich
Abends der dumpfe Gesang der Geistlichen ertönt und nur selten ein Fusstritt hörbar wird,
hat etwas Unheimliches, man glaubt sich geradezu in eine Gespensterwelt versetzt. Speisen muss
man sich im Estanco, wenn man nicht gerade von den Geistlichen eingeladen wird, kaufen oder
solche mitbringen. Für jeden Gegenstand, den man sich zum Gebrauche borgt, wie Krüge,
Schüsseln, Kochgeschirr etc., muss man ein Pfand niederlegen, welches man bei Rückgabe in unversehrtem
Zustande wieder erhält; wird der Gegenstand zerbrochen oder gar nicht, we il verloren
gegangen, abgeliefert, so verfällt das Pfandgeld dem Collegium.
An der Seite der felsigen Hügel grenzt die Kirche an das Gebäude des Collegiums.. : Aüf
der Vorderseite ist die Kirche mit einer Fensterrose und einem Portal mit Suredas-Wappen geschmückt.
Das Innere bildet ein lateinisches Kreuz, ist zierlich mit mallorquinischem Marmor Verziert
und macht einen ernsten Eindruck, und zwar am wirkungsvollsten Abends, wenn sich die
Geistlichen und Zöglinge, sowie die anwesenden Pilger zum Rosenkranz versammeln. Ueber dem
Transsept erhebt sich eine runde und über dieser wieder eine von Fenstern durchbrochene
und mit kleinen Säulen verzierte Kuppel. Bemerkenswerth ist die sich verengende Hochaltarkapelle
mit reicher Vergoldung. Der Schlussstein trägt die Jahreszahl 1657. Auf beiden Seiten des Trans-
septs liegen die ziemlich kurzen Kreuzesarme mit einem Altar zur Rechten; das Längsschiff wird
von Rundbogen gestützt, die auf einem starken, von Pfeilern getragenen Gesimse ruhen. Die Kirche
hat zwei Seitenkapellen und über dem Eingänge eine Empore mit der Orgel. Die Mare de Deu
de Lluch steht am Renaissance-Hochaltar verdeckt da; auf Verlangen wird sie aber gezeigt. Hinter
dem Altar ist ein doppelter Treppenaufgang mit eisernem Geländer; sieben Stufen führen zu der
Stelle, wo das Mutter-Gottes-Standbild und die Opferbüchse sich befinden. Links von der Hoch-r
altarkapelle werden in einem Gange alle Exvotos aufbewahrt: Kleider, Matrosenhüte, Bänder und
allerhand andere Sachen. In der Sacristei ist eine schöne gothische Monstranz mit Fussgestell
vorhanden.
. Im Osten des Collegiumsgebäudes ist ein von Mauern eingesehlossener Garten. Dem
Colegio gegenüber liegt Cä l ’Amidje, ein dazu gehöriges Bauernhaus und auf einem kleinen bewaldeten
Hügel Son Amer. In der Mitte des Thaies fliesst der von den Abhängen des Puig Mayor
herabkommende Torrent de Lluch. Zwei andere Bäche entspringen in dem Figueral de Son Amer
und ein dritter in dem Thale des Guix, die sich dann mit einander verbinden. Der Torrent des
Pont del Guix, welcher aus dem Thale der Coma Freda kommt, fliesst dagegen; .südwärts gegen
Campanet zu, denn ein Vorsprung von Kalkhügeln trennt die beiden Thäler von einander.
Von Lluch aus kann man nach verschiedenen Richtungen sehr schöne Ausflüge unternehmen.
Die höchste Höhe der Nachbarschaft ist der Puig Mayor de Lluch oder de Masanella. Links liegt
der Caragoli del Guix; wir überschreiten eine Barrera und gelangen in das Kesselthal von Coma
Freda. Jetzt folgt ein wildes Hochthal, auf dessen beiden Seiten mit Carritx bedeckte Höhen
emporragen. Der Puig Mayor bietet ringsum steile Abstürze dar bis auf einen kleinen Pass gegen
den Comellar der Casas de Neu zu, durch welchen ein schlechter Weg führt. Der beste Pass ist
auf der Westseite, Es Pas d’en Argentö genannt. Oben, gegen Osten zu, ist ein Plateau mit
Trümmern der Casa de Neu d’amunt, zu welcher man am leichtesten vom Bosch de Masanella mit
Maulthieren gelangen kann. Rings um das Thal ist eine Erhöhung. Man hat hier Aussicht auf das
untere Thal mit dem Coli der Casas de Neu, die Thäler gegen La Calobra und Lluch mit dem
Puig Roig und dem Puig Caragoli, auf das Thal von Pollenza, umrahmt von den Höhen von
Ariant und dem Castell del R e y , begrenzt vom Puig Tumi, dann im Hintergründe auf das Cap
Formentor mit der Abercuixspitze, auf Cap del Pinar mit Manresa und Alcanada, auf den Vorsprung
von Farrutx, die Ebene mit all ihren Höhen, die Bucht von Palma und das liebliche
Gebirgsland bis Calafiguera. Schöne Steine lagern auf der ganzen Höhe des Puig de Masanella;