weniger gefährlich geworden. Die Kinder und alten Leute sind namentlich zur Sommerszeit
Diarrhöen ausgesetzt. Blinde giebt es nur 38, von welchen 17 nicht von Geburt an blind sind,
sondern es erst später in Folge von Zwischenfällen wurden. Die Zahl der Taubstummen beträgt
nach der letzten Volkszählung 26. Etwas grösser ist die Zahl der Idioten: sie beträgt 42. Auffallend
gering ist dagegen, wie überhaupt auf allen Balearen, die Zahl der Irrsinnigen, wozu die
ruhigen Verhältnisse sicher viel beitragen; sie .beläuft sich auf Menorca auf nur 11. Ein hohes
Alter erreichen auf Menorca ziemlich viele Leute; die Individuen beider Geschlechter, welche über
60 Jahre leben, belaufen sich nach der Volkszählung von 1860 auf 3052, so dass man einen Greis auf
je 10 oder 1 1 Einwohner rechnen kann. Es ist noch hinzuzufügen, dass die über 80 Jahre alten
Leute auf Menorca einen bedeutenden Theil der Bevölkerung bilden. Verhältnissmässig viele Leute
sind dort schon über 100 Jahre alt geworden.
Die Religion der Menorquiner ist schon seit alter Zeit die katholische. Bereits im 5. Jahrhundert
war die christliche Religion auf Menorca sehr verbreitet, das einen Bischof Namens Severus
besass, der im Jahre 418 540 Juden bekehrte. Der König Alfons III. von Aragon liess, nachdem
er im Jahre 1287 die Mauren von Menorca vertrieben hatte, Kirchen errichten und dotiren, und
der katholische Glaube erhielt sich rein bis auf unsere Tage. Wohl bestand im Jahre 1507 eine
Synagoge in Mahon; die Zahl der Juden war jedoch nur eine beschränkte. Zur Zeit der ersten
englischen Besetzung der Insel wurden einige Kirchen dem anglikanischen Cultus gewidmet; auch
hatte man in neuerer Zeit nach der Bekanntgabe der Glaubensfreiheit in Mahon mehrere protestantische
Bethäuser, namentlich presbyterianische, eingerichtet, die jedoch nur wenige Proselyten
(etwa 100) machten und bis auf ein einziges, das ein englischer Pastor leitet, wieder aufgehört
haben, denn die Menorquiner haben stets an ihrem Glauben festhalten wollen. Allerdings ist, namentlich
in Mahon, ein gewisser Indifferentismus in Bezug in religiösen Dingen vorhanden, der sich auch
am Lande, namentlich im östlichen Theile der Insel, geltend macht; auf der Seite von Ciudadela ist
wohl in Folge des grösseren Einflusses der Geistlichkeit wenigstens die äussere Religiosität grösser.
Unter den Gewerbetreibenden auf Menorca sind 21 Aerzte und Wundärzte, ro Advokaten,
12 Apotheker, 1469 Grundbesitzer und Halbpächter, 2155 Schuhmacher, und 8505 Personen betreiben
verschiedene Gewerbe.
Wie ihren Glauben, so haben die Menorquiner im Laufe der Jahrhunderte sich auch ihre
Moralität bewahrt, und diese bildet einen Hauptzug ihres Charakters. Dieser.ist sanft und gutmüthig,
daneben ist ein gewisser Emst in ihnen, welchen die vielen Wechselfälle des Schicksals verursacht
haben mögen, denen ihre Heimath ausgesetzt w a r, die in weniger als einem Jahrhundert siebenmal
ihren Beherrscher wechselte. Die Liebe zu ihrem Vaterlande ist bei den Menorquinern, wie
bei allen Insulanern, hoch entwickelt; ich möchte aber fast sagen: bei ihnen in noch stärkerem Grade,
als bei den anderen Balearen-Bewohnern, so dass dieser Zug in gewissen Fällen geradezu als eine
Schwäche angesehen werden kann. Namentlich macht sich dies in dem Selbstgefühle Mallorca
gegenüber geltend^ durchschnittlich gebildeter und sozusagen civilisirter, möchten die Menorquiner
in allen Dingen eine gewisse Superiorität Menorca’s behaupten, so dass einer meiner Bekannten
mir einmal sarkastisch bemerkte, dass die beiden Inseln mehr Schwager- als Schwesterinseln
seien. Ausserordentlich ist ihre Freude, wenn man an ihrer Insel die guten Seiten ausfindig macht,
und man sieht sie mit Wohlgefallen in ihrem Selbstgefühl schwelgen. Ich erinnere mich immer
an den Ausspruch einer Dame mir gegenüber, die, auf mich hinweisend, sagte: „Ja, Menorca ist
schön; wäre dem nicht so, würde er nicht unser Land auf die Weise bereisen“ ; und ich muss
gestehen, ich bejahte diese Behauptung nicht nur aus Courtoisie, sondern aus Ueberzeugung.
Ein anderer charakteristischer Zug der Menorquiner ist ihre Freundlichkeit; ich kann sagen,
dass ich bei meinem wiederholten Aufenthalte auf der Insel und bei meinen vielen Wanderungen
nach allen Richtungen, durch welche ich mit Personen von jeglicher Bildungsstufe und aus verschiedensten
Kreisen zusammenkam', nicht einem einzigen Menschen begegnet bin, der mich nicht
gastfreundlich aufgenommen hätte. Ganz überraschend ist die Freundlichkeit, mit der man namentlich
im inneren Lande bewirthet wird; überall werden freundliche Anerbietungen gemacht, überall ladet
man freigebig zum Essen oder zum Trinken ein. „No som entre Moros'1 (wir sind nicht unter Mauren),
sagte mir einstmals ein Bauer, „nehmen Sie nur, was Sie wünschen“ . Besonders unter den jungen
Mädchen findet man in den verschiedenen Landhäusern nichts von jener falschen Scheu, der man
in vielen anderen Gegenden begegnet, sondern eine natürliche Freundlichkeit und Lebhaftigkeit,
die nur eine freie, aber sittsame Erziehung zu geben vermag. Gar herzig sind auch die kleinen
Kinder, wenn sie mit gekreuzten Armen Einem entgegenkommen (Plegar ses mans, wie man hier
zu Lande sagt), damit man sie segne. Auch selbst die auf der Gasse, namentlich in Ciudadela,
spielenden Kinder sind heiter und liebenswürdig.
Es herrscht zwischen den Bewohnern beider Städte eine grosse Rivalität; diese geht so
weit, dass manche Leute aus Ciudadela sich in Mahon nur so lange aufhalten, als nöthig ist, um
sich einzuschiffen, oder gar von Ciudadela aus direct mit einem Segelschiffe abfahren. Dies findet
wohl in dem Umstande seine Erklärung, dass Ciudadela gewissermafsen in seinem historischen
Range in Folge des guten Hafens von Mahon von den Engländern herabgesetzt wurde. In Ciudadela
findet man viel mehr Localpatriotismus, als in Mahon; wenn dortige Leute anderswo reich
geworden sind, kehren sie dorthin zurück. Früher waren in Ciudadela nur Adelige (Cavallés)
und Arme; erstere führen heutzutage eine sehr zurückgezogene Lebensweise. Die Leute aus
Mahon sind viel mehr kosmopolitisch; wo sie reich werden, bleiben sie meistens. Sie zeigen entwickeltere
Ideen,
was wohl von
ihrer stetigen Berührung
mit den
Fremdenherrühren
mag; die vorherr -
' sehende Staatsgewalt
ist die
republikanische.
Grosse Vorliebe
haben sie für das
Militär, und viele
Mahoneserinnen
heirathen Officiere
der Garnison; freilich
mag auch der
Mangel an guten
Partien im Lande hierauf von Einfluss sein. Eigenthümlich sind die Spitznamen, welche die
Leute auf Menorca sich nach den verschiedenen Ortschaften einander geben. So nennt man
die Leute aus Mahon Inglesos (Engländer), die aus Villa Carlos auf der Seite von Cala Corp
Sulleres und auf der Seite von Calas Fonts Cranquets (kleine Krabben). Die Bewohner von
S “ Clemente heissen La Judea, die von Mercadal Verros (Eber), die Leute aus Ferrerias Bavays,
diejenigen aus S» Cristóbal Cutrelluts (mit starkem Scheitel) und die aus Ciudadela Gent des Cap
des Mistral (Leute vom Nordwest-Ende). Nur die Bewohner von Sn Luis und Fomells haben keine
derartigen Spitzname.
Die Menorquiner sind ein gewecktes, intelligentes Volk mit sehr guten Anlagen, namentlich
zeigen sie eine grosse Vorliehe für Musik; viel mehr, als die anderen Balearen-Bewohner, erlernen
sie dieselbe mit Leichtigkeit und excelliren. darin. Jährlich gehen aus den Musikschulen von Mahon
Zöglinge hervoi;, die nach verschiedenen Gegenden und namentlich nach Amerika als Musiklehrer
ziehen und von denen manche ein hübsches Vermögen zusammenbringen. Für die mechanischen
Gewerbe zeigen die Menorquiner ebenfalls grosse natürliche Anlagen, und man findet eine ansehnliche
Anzahl von Werkleuten, welche ohne Gewerbeschule oder sonstige Vorbildung, nur
vermöge ihrer. Intelligenz, merkwürdig gute Arbeiten zu Stande bringen. Für die Schifffahrt
besitzen sie eine nicht minder grosse Vorliebe, so dass sie zu allen Zeiten treffliche Seeleute ab-
gaben. Geringe Neigung zeigen die Menorquiner zur militärischen Laufbahn, und es sind nur die
Balearen ü . 37