II. Vergleichender Teil.
Am Schädel von Megaptera ist im Laufe der Entwicklung eine starke Veränderung der
Gesamtform nachweisbar. Der bei sehr jungen Stadien relativ breite Schädel wird bald viel schmäler
(Stadium V und IX), um .sich dann schließlich wieder langsam zu verbreitern. Ich will keine
Zahlen angeben, da es wenig Sinn ha t, hier Messungen vorzunehmen, wo noch gar keine Basis für
zahlenmäßige vergleichende Betrachtung gegeben ist.
So viel aber s teht fest, selbst wenn man die starken Schwankungen im Längen-Breiten-
quotienten bei erwachsenen Bartenwalschädeln (vgl. T r u e , 1904, Taf. 32) in Betracht zieht: das
Knorpelkranium von Megaptera V ist relativ schmäler als der erwachsene Schädel.
Aus diesem entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge einen Rückschluß auf die Schädelform
der Vorfahren der heute lebenden Furchenwale zu ziehen, erscheint mir aber doch völlig unstatthaft,
obgleich manche fossile Waltiere, wie z. B. das schon sehr balaenopteridenähnliche Cetotherium,
in der Tat außerordentlich schmale Schädel besessen -haben (vgl. G e r v a i s und B e n e d e n,
1880, Atlas, Tafel 17, Fig. 6).
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Schwankung im Längen-Breitenverhältnis während
der Entwicklung des Schädels wahrscheinlich als typische Heterochronie aufzufassen ist. Diejenigen
Teile nämlich, die im Laufe der Stammesgeschichte am stärksten modifiziert wurden, werden offenbar
auch in der Ontogenese am frühesten abgeändert. Bei den Bartenwalen ist das nun die enorme
orale Verlängerung der Regio ethmoidalis, besonders des Rostrums und der Kiefer.
1. Regio ethmoidalis.
Rostrum, Septum nasi.
Während die Homologisierung der basalen Nasenknorpel zuweilen recht schwierig ist, besteht
kaum ein Zweifel über die Auffassung des für alle Cetaceen so charakteristischen Rostrums. Es
zeigt sich auch bei den jüngsten Stadien als völlig homokontinuierliche Fortsetzung des Septum
nasi. Nirgends bietet sich ein Anhalt für die Vermutung, daß nicht-septale Knorpelgebilde mit dem
Rostrum verschmolzen sind, eine Hypothese, die F r e u n d (1908) für den einem Rostrum ähnlichen
Processus incisivus der Sirenen auf stellte (vgl. M a t t h e s 1912, 1).
Ein wichtiger U nterschied zwischen den Primordialkranien von Zahn- und B artenwalen besteht
darin, daß bei Zahnwalen ein oraler freistehender, vom Septum losgelöster Teil des Nasendaches
fast völlig fehlt, da das Tectum nasi hier gänzlich rückgebildet ist. Eine gewisse freilich nur
äußerliche Ähnlichkeit mit der Überlagerung des freien Septums oder Rostrums durch Reste des
Nasendaches findet sich beim Primordialkranium von Lagenorhynchus albirostris (d e B u r l e t
1914, 2), wo sich eine in der Medianebene liegende Öffnung unter dem oralen Ende des Dachrestes
befindet.
Die Gründe der so radikalen Rückbildung des Tectums bei Zahnwalen werden später
besprochen werden.
Die so auffallend starke Sichtbarkeit des Nasenseptums (von der Seite) im Gegensatz zu
Landsäugetieren h a t d e B u r l e t (1914, 1) ausreichend erklärt; ich verweise auf seine Ausführungen,
denen ich nichts hinzuzufügen habe.
Umformung der oralen Teile des Nasendaches während der Primordialentwicklung.
Während der Embryonalentwicklung treten am vordersten Teil des Nasendaches bei Megaptera
starke Umbildungen auf, die ein Bild von den Änderungen geben, die sich im Laufe der Zeit bei
den Vorfahren der rezenten Bartenwale abgespielt haben müssen.
Gehen wir von der Betrachtung der beiden vordersten Knorpelfortsätze am Tectum anterius
aus, die mit den Cartilágines cupulares am Primordialkranium der Landsäugetiere zu homologisieren
sind, so können wir feststellen, daß diese Bildungen, die beim Embryo IX s tark gehoben sind und
komplizierte Verbindungen mit lateralen Knorpelteilen besitzen (Fig. 22—23), beim Stadium V
noch viel einfacher und niedriger sind, d. h. in sehr flachem Winkel ins Nasendach übergehen. (Tafel -
fig. I u. 3). In einer vorläufigen Mitteilung über diesen Gegenstand (1915, S. 118) habe ich die Ansicht