Formen sogar zweifelhaft ist, ob sie besser zu den Huftieren oder zu den Raubtieren oder zu den
Insektenfressern oder zu den Affen zu stellen sind, und daß es der scharfsinnigsten Argumente
gewiegter Spezialforscher bedarf, sie einer dieser Gruppen zuzuweisen.
Es scheint mir die Annahme gerechtfertigt, daß die Trennung der verschiedenen großen Gruppen
pflanzenfressender Placentalia von einander (Primates, Ungulata, Rodentia, Edentata), die heute
sich vollständig fremd einander gegenüberstehen, und ihre Abzweigung von dem gemeinsamen Stamm
der tierfressenden Säugetiere nicht sehr lange vor Beginn der Tertiärzeit stattgefunden hat, vielleicht
erst in der oberen Kreide.
Die geringe Größe der paleocänen Säuger und ihre doch verhältnismäßig wenig weit fortgeschrittene
Differenzierung machen es nicht nötig, einen größeren geologischen Zeitraum dafür in
Anspruch zu nehmen, wenn man damit die Fortschritte vergleicht, die in dieser Beziehung in der
Zeit zwischen dem Paleöcän und dem unteren Eocän oder zwischen diesem und dem mittleren Eocän
eingetreten sind.
Mit der Erschließung des Pflanzenreichs als Nahrungsquelle is t der erfolgreichste Schritt
getan worden, den die Geschichte des Säugetierstammes zu verzeichnen ha t. Wie verlockend und
aussichtsreich es für landbewohnende Tiere ist, sich der Pflanzennahrung zuzuwenden, zeigt der
in der Stammesgeschichte der Säugetiere bei den verschiedensten Gruppen von Tierfressern immer
und immer wiederkehrende Versuch, die speziell für animalische Nahrung angepaßten Teile ihres
Gebisses abzuändem und dafür Anpassungen für vegetabilische Nahrung zunächst an den hinteren
Backzähnen vorzunehmen, soweit diese überhaupt noch dazu geeignet sind. Bei jeder Gelegenheit
wird der Trieb zur Pflanzenkost zum Leitmotiv einer neu entstehenden Tiergruppe, die in dieser
Richtung versucht, sich weiter zu entwickeln. Unter den lebenden wie unter den ausgestorbenen
Säugetieren finden sich zahlreiche Beispiele dafür.
Solche Versuche sind wiederholt unabhängig voneinander bei den modernen Carnivora u n te rnommen
worden und abgesehen von unbedeutenderen Fortschritten in dieser Richtung mindestens
in 3 verschiedenen Fällen in weitgehendem Maße gelungen; sie führten zur Entstehung der Omnivoren
Ursidae, Procyonidae und Melincie. Unter den Creodonta entstand die omnivore Familie, der Arcto-
cyonidae, und die großen, wenigstens ursprünglich omnivoren -Säugetiergruppen der Primates, der
Ungulata, der Rodentia und der pflanzenfressenden Ed en ta ta -sind mit größter Wahrscheinlichkeit
auf verschiedene Gruppen primitiver Tierfresser zurückzuführen. Unter den Insectivoren sind neben
anderen die omnivoren Erinaceidae, unter den Chiroptera die frugivoren Pteropidae von tierfressenden
Formen abzuleiten. Die gleiche Beobachtung lä ß t sich auch innerhalb der Marsupialia machen,
wo es sehr wahrscheinlich ist, daß die ursprünglich omnivoren Diprotodontia von tierfressenden
Polyprotodontia herzuleiten sind. So wird auch für die ältesten der pflanzenfressenden Säuger,
die mesozoischen Multituberculata, zu erwarten sein, daß ihre Herkunft von tierfressenden Formen
sich noch erweisen wird.
Bei weiterer Entwicklung von omnivoren Formen, die ja meist neben vorwiegender Pflanzenkost
zur Aufnahme von animalischer K ost noch befähigt bleiben, wird die letztere bald ganz auf gegeben,
und es entstehen reine Pflanzenfresser, vor allem unter den Ungulata, Rodentia, E d en ta ta und
Diprotodontia. Gewöhnlich zeigt sich im Gebisse das darin, daß auf den bisher bunodonten hinteren
Backzähnen die Höcker sich zu Quer jochen oder zu halbmondförmig gebogenen Längsjochen um-
ändern und die Zähne damit lophodont oder selenodont werden.
Eine der auffallendsten Erscheinungen bei den rein herbivoren Säugetieren ist die seit dem
Oligocän beginnende Neigung zur H ypsodontie, die sic* durch ein mehr oder weniger lange andauerndes
Höhenwachstum der Backzahnkronen kundgibt. B. Kowalewsky erklärt bekanntlich diese
Erscheinung durch den mächtigen Antrieb, den das Überhahdnehmen von steppenbildenden Gramineen
auf die Entwicklungsrichtung der Pflanzenfresser a u siib® Durch das langandauernde Nachwachsen
der Zahnkronen wird der Substanzverlust, den die Zähne beim Kauen der harten, kieselhaltigen
Gräser erleiden, wieder ausgeglichen. Der Antrieb, diese neu auftretende Nahrungsquelle
sich nutzbar zu machen, fand einen günstigen Boden in den bereits sehr leistungsfähig gewordenen
Kauzähnen der oligocänen Pflanzenfresser, und auf zahlreichen Linien zeigen sie von da an d a s „
Bestreben hypsodont zu werden.
Während wir nun in zahlreichen Bällen die Umbildung von ursprünglich reinen Tierfressern
zu omnivoren und schließlich rein herbivoren Formen annehmen dürfen, dürfte bisher noch kein
Fall vorliegen, der die Entstehung von tierfressenden aus rein herbivoren Formen wahrscheinlich
erscheinen ließe. Auch die Rückbildung omnivorer Formen zu reinen Tierfressern wie beim Eisbären
ist jedenfalls äußerst selten. Den interessantesten dieser Fälle stellt der zu den Diprotodontia gehörige
Thylacoleo camifex dar, der wohl aus der omnivoren Familie der Phalangendae herzuleiten ist.
Seinem Gebiß nach muß er als ausschließlicher Fleischfresser und zwar Aasfresser gelten, der seinfi,
mächtigen sekodonten Backzähne nach Art der Hyänen zum Abbeißen von Knochen benutzte und
abnutzte. Zum richtigen Kauen war sein Gebiß nicht mehr geeignet.
Ohne Zweifel ist es die bequeme Art der Ernährung, die dem Pflanzenfresser unter den Land-
.Säugetieren einen außerordentlichen Vorteil vor dem Tierfresser gibt, so daß der Trieb zur Pflanzennahrung
ito S s der mächtigsten Motive für die Bestimmung der Entwicklungsrichtungen u n te r den
Säugetieren werden konnte. Der Tierfresser ist in der Hegel gezwungen, jedes Beutetier einzeln
mit Anstrengung aller seiner Sinne aufzusucheu und es dann mit List oder Gewalt unter oft großer
Kraftanstrengung zu erjagen und zu erlegen, bis er sich daran sättigen kann. Der Pflanzenfresser
hingegen b raucht im allgemeinen von seinem R uheplatz aus nur eine Ortsveranderpng v.orzunehmen,
um die meist in überreicher Fülle gedeihende Nahrung zu finden und in beliebiger Menge sich emzu-
verleiben, d. h. sie. „abzuweiden“ . Wie gut ihnen diese bequeme Ernährung, bekommt, sich
in dem oft massenhaften Vorkommen der kleineren u nd dem.meist hcrdnnweisen Vorkommen
der größeren Pflanzenfresser, und zweitens in der bemerkenswerten Körpergröße, die die Pflanzenfresser
vielfach besitzen. Die Größe, welche Pflanzenfresser aus den verschiedensten Gruppen der
Ungulata, der E dentata und der M arsupialia erreicht haben, läß t die der. gewaltigsten Raubsaugetiere,
welche es je auf dem festen Lande gegeben hat, weit hinter, sich. Auch bleibt naturgemäß die In d ividuenzahl
der Raubtiere stets weit h inter der der Pflanzenfresser zurück, von welchen sie sich h au p tsächlich
nähren; was für die letzteren die Regel ist, ist für die ändern die Ausnahme.
16. Entwicklung der Säugetierfresser.
Die ersten Wirbeltierfresser im Mesozoikum waren jedenfalls ganz beträchtlich großer und
kräftiger als ihre Opfer, welche sie sonst nicht h ä tten bewältigen können. Ihre Beute bestand wohl
hauptsächlich aus kleinen Sauriern, daneben vielleicht auch Vögeln u nd Säugetieren. Größere. Saurier