
Letzterer Zustand genügt wohl für ein Gebiß, das beim Kauen keinen allzugroßen Druck ausübt.
Das Kaugebiß von Säugetieren stellt aber höhere Ansprüche an die Festigkeit der Kiefer, besonders
wenn diese, wie bei den ältesten Säugetieren, s tark verlängert sind. Diesen Ansprüchen wird genügt,
wenn das die Zähne tragende Dentale, einer der verschiedenen den Unterkiefer bildenden Knochen,
sich auf Kosten der übrigen so s tark ausdehnt und schließlich mit deren Resten so vollständig verwächst,
daß es allein den ganzen Unterkiefer darstellt. Auf diese Weise dürfte tatsächlich bei den
Säugetieren der einheitliche Unterkiefer entstanden sein, während die ihnen am nächsten stehenden
Reptilien, die Cynodonta, noch die Nähte zwischen dem schon sehr groß gewordenen Dentale und
den Resten anderer Knochen deutlich zeigen. Es liegt nahe, einen ursächlichen Zusammenhang
zwischen den mehrwurzeligen Backzähnen und dem einheitlichen Unterkiefer der Säugetiere anzunehmen.
Is t die obige Annahme beim Unterkiefer richtig, dann müßten auch am Oberkiefer der Säugetiere
eigentümliche Einrichtungen zu erwarten sein, die geeignet sind, seine Festigkeit zu erhöhen.
In der Tat finden wir an den die Backzähne tragenden Maxillaria der Säugetiere charakteristische
Gaumenplatten entwickelt, die beiderseits in der Mittellinie zusammenstoßen und, ergänzt durch
ähnliche Fortsätze der Praemaxillaria und der Palatina, eine knöcherne, quer durch die Mundhöhle
ziehende horizontale Wand darstellen, den sekundären harten Gaumen. Durch ihn wird eine Versteifung
der Maxillaria erzielt, die dem ganzen Oberkiefer eine beträchtlich erhöhte Festigkeit verleiht.
Von den Reptilien haben nur die modernen Krokodile einen in ähnlicher Weise gebauten
ha rten Gaumen. Einen Beginn dieser Gaumenbildung zeigen aber gewisse Cynodonta, die ihre Backzähne
ohne Zweifel schon zum Kauen benutzten. Als die Säugetiere entstanden, b rau ch ten sie
den für sie so wichtigen Apparat nur noch weiter auszubilden.
In diesem Zusammenhang erscheint auch der durchgehends so feste und solide Bau des ganzen
Säugetierschädels in einem neuen Lichte, wenn man ihn mit dem oft so lockeren und hinfälligen
Aufbau vergleicht, der den Schädel bei vielen Reptilien auszeichnet.
Dem harten Gaumen der Säugetiere kommt bekanntlich auch Bedeutung zu als Widerlager
für die Bewegungen der Zunge, deren Aufgabe es ist, beim Kauen die Bissen zwischen die Zähne
zu schieben. Eine ähnliche Aufgabe wie die Zunge erfüllen bei den Säugetieren auf der labialen
Seite der Zähne die muskulösen Wangen und Lippen. Sie fehlen den Reptilien noch vollständig, sind
ein charakteristisches Merkmal der Säugetiere, und ih r Vorhandensein bei diesen ist nur im
Zusammenhang mit der wichtigen Kautätigkeit der Backzähne verständlich.
Die mehrwurzeligen Backzähne sind dazu b estimmt, die im R achen auf genommenen Nahrungsbissen
längere Zeit hindurch kräftig zu zerkauen und sie dadurch zu einer breiartigen, mit Speichel
durchsetzten Masse zu verarbeiten, ehe sie an den Magen weitergegeben werden. Dem Magen und
Darm wird damit seine Arbeitsleistung erleichtert, und er ist dadurch befähigt, in kürzerer Zeit die
ihm noch verbleibenden Leistungen in der Verarbeitung der Nahrungsbissen auszuführen. Eine
gründliche mechanische Zerkleinerung, wie sie zwischen den Kauzähnen im Munde erfolgt, muß
die chemischen Vorgänge, welche im Magen und Darm die Verdauung bewirken, ganz beträchtlich
abkürzen. Daher werden Heuschrecken, die von einer Eidechse unzerstückelt und höchstens etwas
gequetscht hinuntergeschluckt werden, sehr viel langsamer verdaut werden als bei einer Spitzmaus,
die sie vorher zu Brei zerkaut, ehe sie sie schluckt. Eine gesättigte Spitzmaus wird daher sehr viel
früher wieder hungrig, d. h. zu einer neuen Mahlzeit bereit sein können, als eine mit einer gleich
großen Portion s a tt gewordene Eidechse gleicher Größe.- Die Folge muß sein, daß die Spitzmaus,
das Säugetier mit mehrwurzeligen Kauzähnen, im gleichen Zeitraum eine sehr viel größere Quantität
von Nahrung zu sich nehmen und v erdauen kann und wird als die Eidechse, das Reptil mit einfachen
Fang- und Quetschzähnen.
Einige Beobachtungen, die ich in der L iteratur über das N ahrungsbedürfnis gefangen gehaltener
Reptilien und tierfressender Säuger fand, bestätigen diese Annahme.
Eine Eidechse, Lacerta viridis (vermutlich 24—30 g Gewicht), fraß nach E rber in neun Monaten
(Februar bis November) über 3000 Insekten, meist Mehlwürmer. Das Gewicht dieser Menge dürfte
auf etwa 500 g zu schätzen sein, so daß auf den Tag nicht mehr als durchschnittlich 2 g kommen. .
Eine Spitzmaus, Sorex vulgaris, von 12 g Gewicht fraß nach Rörig in 88 Tagen 3733 Mehlwürmer,
4 Engerlinge, 3 Frösche und 1 Maus, was einem Gesamtgewicht von etwa 700 g entsprechen
dürfte. Das würde auf den Tag durchschnittlich etwa 8 g betragen.
Demnach würde, auf gleiches Körpergewicht berechnet, die Spitzmaus etwa der 8—lOfachen
Nahrungsmenge bedürfen, die eine Eidechse braucht.
Eine Spitzmaus frißt täglich eine Maus auf, die größer is t als sie selbst. Ein Maulwurf verzehrt
täglich das lV2fache seines Gewichts an Regenwürmern.
Schlangen nehmen bekanntlich eine sehr große Menge von Nahrung auf einmal zu sich.. Es
dauert dann aber lange Zeit, bis sie wieder das Bedürfnis haben, eine neue Mahlzeit zu halten.
Eine A naconda (Eunectes murinus) von 6 m Länge und 75 kg Gewicht h ielt (nach V aillant 1892)
im Laufe von 5 Jahren durchschnittlich jährlich fünf Mahlzeiten, verschlang dabei aber jedesmal
ein ganzes Tier von durchschnittlich 7 kg, also jährlich etwa 35 kg. Das ergibt für einen Tag ein
Nahrungsbedürfnis von 100 g.
Nach Beobachtungen an 36 Krokodilen war (nach Gaudry 1896) der tägliche Nahrungsbedarf
durchschnittlich 300 g für jedes Tier. Dagegen erhielt eine Hyäne täglich 3 kg, ein Panther ebenfalls
3 kg, ein Löwe 5 kg.
Die Gewichtsmenge Fleisch, die also einer sehr großen Riesenschlange für 2 Monate, einem
Krokodil für fast 3 Wochen genügt, würde für eine Hyäne oder einen Panther nur für etwa 2 Tage
ausreichen. Diese Raubsäugetiere fressen also im gleichen Zeitraum etwa zehnmal so viel als ein
Krokodil und etwa dreißigmal so viel als eine Riesenschlange von mindestens gleicher Größe.
Mögen die angeführten Zahlen auch sehr veränderlich sein, die Tatsache s teht fest, daß die
warmblütigen Säugetiere eine außerordentlich viel größere Menge von Nahrung verlangen als die
kaltblütigen Reptilien.
Die nach der Verdauung in den Körper übergegangenen Nahrungsstofie werden durch den
Blutstrom in den Körpergeweben verteilt. Dort können sie als Baustoffe für neue Gewebe dienen
zum Zweck des Wachstums oder der Fortpflanzung. In der Menge der dazu benötigten Nahrungsstoffe
ist bei Säugetieren und Reptilien ein wesentlicher Unterschied n icht festgestellt und wahrscheinlich
auch nicht vorhanden. Was zu diesen Zwecken nicht verwendet wird, unterliegt früher oder
später der Oxydation und muß dann in Gestalt von Kohlensäure, Wasser und Harnstoffen aus dem
Körper wieder ausgeschieden werden.
Wenn Wachstum und Fortpflanzung nicht in Betracht kommt, muß angenommen werden,
daß der Körper durchschnittlich innerhalb des gleichen Zeitraums etwa dieselbe Menge, welche er
in Gestalt von Nahrungsstoffen in sein Blut aufgenommen ha t, in Gestalt der genannten Oxydations