Es ist nun auch leicht verständlich, daß den Insectivora die unterirdische, grabende Lebensweise
ganz besonders zusagt, was sich schon darin kundtut, daß wir in zwei durchaus verschiedenen
Familien von Insektenfressern diese Lebensweise antreffen, bei den ChrysocJüoridae und Tcdpidae.
Ebenso gut nun, wie die Insectivora ihre großen Vorderzähne zum Anbeißen von tierischen
Körpern benutzen können, werden sie imstande sein, damit auch weichere Pflanzenstoffe wie Früchte
u. dergl. zu benagen. Unter Umbildung der trigonalen Backzähne mit scharfzackigen Höckern in
tetragonale mit stumpfen Höckern wird auch im myodonten Stamme das Gebiß für Pflanzennahrung
sehr geeignet, und es ist sehr wahrscheinlich, daß zu wiederholten Malen sich aus myodonten Tierfressern
myodonte Pflanzenfresser zunächst von omnivorem Gepräge entwickelt haben. Schon innerhalb
der Insectivora selbst treffen wir omnivore Formen an wie die Erinaceidae (Gymnura, Fig. 23,
S. 39). Es ist aber als sicher anzunehmen, daß auch einige der großen Gruppen von Pflanzenfressern,
die zu den Placentalsäugetieren gehören, unter den Insectivora ihre Vorfahren gehabt haben.
Überhaupt ist es sehr wahrscheinlich, daß die sämtlichen Gruppen von Placentalsäugetieren
sowohl von tierfressenden wie von pflanzenfressenden, auf einen dieser beiden Stämme, den myodonten
oder den lykodonten zurückgeführt werden müssen, welche sich wohl im Verlaufe der Kreidezeit
voneinander getrennt hatten.
Zu dem myodonten Stamm werden vor allem die Nagetiere gehören. Gerade sie verstehen es,
unter der Erde zu graben und im Boden zu wühlen, eine T ätigkeit, die auch schon den Insektenfressern
besonders zusagte. Damit hängt auch die geringe Körpergröße zusammen, die im allgemeinen die
Nagetiere auszeichnet. Sie sind diejenigen Pflanzenfresser, die es verstehen, mit ihren meißelförmig
gewordenen Vorderzähnen sich Zugang zu verschaffen zu solchen nährenden Pflanzenstoffen, die
durch härtere Schalen vor den Angriffen anderer Pflanzenfresser geschützt sind. Es ist von Bedeutung,
daß die ältesten Insectivoren, die bisher aus dem Tertiär bekannt sind, Mixodectes und
Olbodotes aus dem oberen Paleocän, von Osborn als ,,Proglires£i bezeichnet wurden wegen ihrer vermuteten
Verwandtschaftsbeziehungen zu den Rodentia. Die ersten echten Nagetiere kennt man
jedoch erst aus dem unteren Eocän.
Zu den Pflanzenfressern, die dem m yodonten S tamm angehören, scheinen m ir auch eine Anzahl
von Huftiergruppen zu zählen zu sein, nämlich diejenigen, deren Eckzähne schon bei den p rimitivsten
Vertretern unbedeutend sind, während ihre Schneidezähne sich von vornherein s tark entwickelt
zeigen. Es is t das eines der auffallendsten Merkmale der sämtlichen dem älteren Tertiär von Südamerika
eigentümlichen Huftiere, also der Notungulata im weitesten Sinn mit den Homalodotheria,
Astrapotherici, Toxodontia, Typotheria, Litopterna und Pyrotheria. Dasselbe ist auch sehr bezeichnend
für die dem älteren Tertiär von Afrika eigentümlichen Huftiere, die Subungulata mit den Hyracoidea,
Embrithopoda, Proboscidea und Sirenia. Die lange, schmale, an die der altertümlichsten Insectivora
erinnernde Schnauze mit den hintereinander in eine Längsreihe angeordneten vorderen Zähnen ist
bei den altertümlichsten Vertretern dieser Huftiere oft sehr auffallend {Interatherium, Mixohyrax,
Protosiren).
Auch die Primaten dürften dem myodonten Stamm entsprossen sein, da, wie besonders
Gregory betont, ihre primitiven Formen viele Beziehungen zu Insectivora (Tupa/ja) erkennen lassen.
Ihre Abgrenzung von Insectivora ist vielfach noch unsicher. Die Primaten sind Baumtiere, die es
allmählich verlernt haben, ihre Nahrung, sei sie tierischer oder pflanzlicher Natur, direkt mit den
Zähnen zu packen. Sie ergreifen sie zuerst mit den Händen und führen sie damit erst zum Munde.
Das mag die kurze abgerundete Schnauze erklären, die sie meistens zeigen. Stehlin schreibt den
primitivsten Affen nur schwache Eckzähne zu. Dagegen konnte er gerade bei primitiven Formen
große Schneidezähne wie bei Chiromys in vielen Fällen nachweisen. Die Chiroptera nebst den
Dermoptera sind wohl ebenfalls auf Insectivora oder ältere Primaten zurückzuführen.
Dem myodonten Stamme sind schließlich noch die Getacea zuzuweisen. Der auffallenden Übereinstimmung
des Vordergebisses von Zeuglodon mit dem von primitiven Insectivoren (Centetidae) habe
ich schon früher gedacht, ebenso des Umstandes, daß von allen lebenden Säugetieren Potamogale am
meisten dem Bild entspricht, das man sich von den landbewohnenden Ahnen der Cetaceen machen muß.
Auf den lykodonten Stamm möchte ich dagegen diejenigen Ordnungen von Huftieren zurückführen,
deren primitivste Formen die kräftig entwickelten Eckzähne der Creodonta aufweisen neben
verhältnismäßig kleinen in einem Querbogen angeordneten Schneidezähnen. Dazu zähle ich die dem
älteren Tertiär der nördlichen Kontinente (Holarktische Region) eigentümlichen Ordnungen der
Condylarthra, Amblypoda, Perissodactyla und wohl auch die Artiodactyla. Ferner müssen hi eher
die Taeniodonta gestellt werden, welche als die ältesten Vertreter der Edentata angesehen werden,
und deren älteste, paleocäne Formen wie Onychodectes, Conoryctes, Hemigmus tatsächlich nahe
Beziehungen zu den Creodonta zeigen. Auf die lykodonten Creodonta sind natürlich auch die
Fissipedia und Pinnipedia zurückzuführen.
Derselbe Vorgang, der sich bei den Placentalia ereignete, die Trennung eines lykodonten von
einem m yodonten Stamm, läßt sich auch bei den M arsupialia feststellen. Hier ist allerdings ein großer
Teil der Polyprotodonta noch ziemlich indifferent, den Insectivora vergleichbar, und verharrt auf
einem primitiven Zustand. Formen wie Myrmecobiüs und Notoryctes erinnern noch an Pantotheria.
Auch die Didelphidae und Dasyuridae sind noch nicht entschieden lykodont. Ausgesprochen lyko-
donte Formen sind erst die Thylacinidae, sowohl die australischen wie südamerikanischen (Sparasso-
donta). Pflanzenfresser haben sich im lykodonten Stamm bei den Beuteltieren überhaupt nicht
entwickelt.
Dagegen ist von ausgesprochen myodonten Tierfressern (außer Thylacoleo) nur wenig bekannt,
wenn nicht einige der ältesten Caenolestidae dazu gehören. Dem myodonten Stamm gehören jedoch
bei den Beuteltieren die sämtlichen omnivoren und herbivoren Pflanzenfresser an, die den Namen
Diprotodontia ihren vergrößerten unteren Schneidezähnen verdanken, und zwar die australischen
Formen sowohl wie die südamerikanischen Caenolestidae.