Wiederherstellung der erkrankten Organe notwendigen Baustoffe sowie die zur Aufrechterhaltung
des normalen Stoffwechsels benötigten Stoffe nunmehr bei Abwesenheit von Nahrungszufuhr ausschließlich
den im Körper aufgespeicherten Reservestoffen entnommen, und wo diese nicht ausreichen,
aus anderen O rganen herausgeholt werden müssen; deren Abbau macht die starke Abmagerung
und Schwächung des fieberkranken Organismus verständlich.
Die das Fieber oft begleitenden nervösen un d psychischen Erscheinungen wie Fieberfrost,
Apathie, Fieberphantasien, Kopfschmerzen dürften sich hauptsächlich aus dem Vorhandensein der
schädlichen und giftigen Stoffe im Blute erklären lassen. Manche von ihnen mögen aber direkt durch
die Temperatursteigerung verursacht sein.
Während des ganzen Fieberverlaufs findet im Organismus ein Wettkampf s ta t t zwischen den
Regulatoren, welche die schleunigste Unschädlichmachung und Entfernung der im Körper sich
anhäufenden schädlichen Stoffe erstreben, und denjenigen, welche die Homöothermie aufrecht zu
halten bestrebt sind,
10. Brutpflege.
Auf eine weitere Reihe von Erscheinungen, die mit dem Entstehen der Säugetiere Zusammenhängen,
und die sich auf die Fortpflanzung und die Brutpflege beziehen, soll hier n ur kurz hingewiesen
werden. Es is t meine Überzeugung, daß das Auftreten von Milchdrüsen mit dem ganzen Komplex
der dadurch bedingten Anpassungserscheinungen erst als eine Folge der von den Säugetieren
erworbenen Warmblütigkeit angesehen werden kann.
Bei den kaltblütigen R eptilien ist eine Brutpflege n icht nötig. Die Jungen kommen in so hoch-
entwickeltem Zustande zur Welt, daß sie von der Stunde ihrer Geburt an imstande sind, ganz selbständig
zu handeln und nach Aufzehrung der mitgebrachten Nahrungsreserve selbst weitere Nahrung
zu erwerben. Sie erblicken nur dann das Licht der Welt, wenn eine günstige, warme Witterung
herrscht, so daß sie reichlich Nahrung finden und rasch wachsen können. Wird aber die Außentemperatur
für sie ungünstiger, so wird damit auch ihre Lebensenergie geringer und ihre Ernährung
wird dadurch kärglicher; die Folgen äußern sich aber lediglich in langsamerem Wachstum. Eine
Fürsorge der Eltern, die in gleicher Weise von der Witterung beeinflußt werden, würde ihre Lage
keineswegs bessern können.
Von dem neugeborenen Ursäugetier können wir annehmen, daß es zunächst noch ebenfalls
imstande war, unabhängig von den Eltern Nahrung zu finden. Trat aber der Fall ein, daß die Nahrung
kärglicher wurde, so mußte bald der Augenblick kommen, daß sie dem jungen Ursäugetier
n icht mehr genügte, um aus eigenen Kräften seine Körpertemperatur dauernd auf der nötigen Höhe
zu halten. Wenn auch Säugetiere in ihrer ersten Lebenszeit weniger empfindlich gegen vorübergehendes
Sinken ihrer K örpertemperatur sind als später, so ist es doch auch für sie eine Notwendigkeit,
ihre Temperatur dauernd auf gleicher Höhe zu halten.
Es is t kaum anzunehmen, daß dem jungen Ursäugetiere schon in seiner ersten Lebenszeit ein
verhältnismäßig ebenso leistungsfähiges Kaugebiß zur Verfügung stand wie einem erwachsenen.
Aber selbst diesen unwahrscheinlichen Fall angenommen, ist es zweifellos, daß es, auf sich allein
angewiesen, leicht auf die größten Schwierigkeiten stoßen mußte, die ihm etwa fehlenden Wärmemengen
durch genügende Nahrungsaufnahme selbst zu erzeugen.
Die Annahme ist unabweisbar, daß wenigstens von dem Augenblick an, da die Ursäugetiere
eine dauernd erhöhte Körpertemperatur erworben hatten, ihre Jungen auf die Fürsorge der Mutter
angewiesen waren, um von ihrem Körper die ihnen fehlende Wärme zu erhalten. Homöothermie
wäre ohne Brutpflege gar nicht denkbar. Von Anfang an ist das warmblütige Säugetier gezwungen,
durch innige Berührung mit seinem Körper seinen Jungen die ihnen nötige Wärme mitzuteilen,
selbst wenn diese Jungen die zum Wachstum und zur Aufrechterhaltung des Stoffwechsels nötige
Nahrung sich selbst verschaffen konnten wie die jungen Reptilien.
Wenn nun die Jungen der werdenden Säugetiere der Wärme wegen auf die Pflege der Mutter
angewiesen waren, dann liegt es nahe, daß sie sich von ihr auch Nahrung geben ließen, sobald die
Mutter auch zu einer solchen Leistung imstande war. So ist es recht wohl denkbar, daß die hungernden
Jungen, die sich zunächst nur Wärme heischend an die schwächer b ehaarten Stellen des mütterlichen
Körpers drängten, d o rt in dem Sekret von Talgdrüsen, das ursprünglich ganz anderen Zwecken
diente, eine neue und ganz originelle Nahrungsquelle entdeckten. So mag man sich den Ursprung
der Milchdrüsen bei den Säugetieren vorstellen.
Aus diesen Betrachtungen geht hervor, daß bei den Ursäugetieren die Jungen verhältnismäßig
selbständig waren und in hochentwickeltem Zustande zur Welt kamen. E rst infolge der frühzeitig
einsetzenden Brutpflege konnten sie hilfloser zur Welt kommen und waren immer mehr auf die Fürsorge
der Mutter angewiesen. Daraus folgt, daß der Zustand der Brutpflege und der Entwicklungshöhe
der neugeborenen Jungen, wie er bei den primitiveren Placentalia vorliegt, dem bei den Ursäugetieren
anzunehmenden Zustande viel näher s teht als der, den die Marsupialia zeigen. 'Nach
dieser Anschauung müßte die sehr niedrige Entwicklungshöhe der neugeborenen Jungen bei den
Beuteltieren und die damit zusammenhängende eigentümliche Einrichtung der Brutpflege in einem
Beutel eine erst sekundär erworbene Eigenschaft der Marsupialia sein.
11. Zusammenfassung.
Auf den vorhergehenden Seiten ist eine Reihe von eigentümlich ausgebildeten Eigenschaften
besprochen, durch die sich die Säugetiere vor den Reptilien, aus denen sie entsprossen sind, auszeichnen.
Wir finden alle diese Eigenschaften in einem ursprünglicheren Zustand bei den Reptilien.
Ich glaubte nachweisen zu können, daß ihre Entwicklung zu dem Zustande, in welchem wir sie bei
den Säugetieren antreffen, in letzter Linie bei allen auf eine und dieselbe Ursache zurückzuführen ist.
Als diejenige äußere Erscheinung, die meines Erachtens den Anstoß gab zu der ganzen langen
Reihe von tiefgreifenden Veränderungen, muß ich das Auftreten von leistungsfähigen Kauzähnen
in Gestalt von mehrwurzeligen Backzähnen ansehen, welche an Stelle von den ursprünglicheren
einwurzeligen erschienen, wie sie den Reptilien eigentümlich sind. Diese anscheinend unbedeutende
Veränderung brachte die ganze Bewegung in Fluß, die sich lawinenartig ausdehnte und zu einem
der folgenreichsten Ereignisse in der Tierwelt wurde. Eine Veränderung v eranlaßte m it Notwendigkeit
die andere, bis schließlich der ganze Organismus gründlich umgebildet und das Gleichgewicht wieder-
hergestellt war. Aus dem Reptil war ein Säugetier geworden.
Das Auftreten von getrennten Zahnwurzeln war die Voraussetzung und der Anlaß, daß Backzähne,
die schon bei Reptilien Neigung hatten, sich zu vergrößern und mehrspitzig zu werden, nu n mehr
zu ausgiebigem und wirksamem Kauen befähigt wurden. Damit mag die Ausbildung jeder
Unterkieferhälfte zu einem einheitlichen Knochen sowie die Ausbildung des harten Gaumens und
muskulöser Wangen der Säuger in Zusammenhang stehen. Vorhandensein leistungsfähiger Kau-
zähne war die Voraussetzung, daß die einzelnen Nahrungsbissen noch im Munde zerkleinert und für