Es ist nun höchst bemerkenswert, daß bei sämtlichen Gruppen der m it sekodontem Gebiß
versehenen Carnivora, bei Creodonta wie Fissipedia, die Weiterentwicklung der rein carnivoren
Formen das gleiche Ziel verfolgt, nämlich das Zerkauen der einzelnen Nahrungsbissen völlig aufzugeben
und zu diesem Zwecke die das Kauen besorgenden, nich t sekodonten Teile der hinteren Backzähne
allmählich ganz abzubauen. Es war-ein mächtiger, auf alle Säugetierfresser wirkender Antrieb,
welcher jedenfalls mit der Beschaffenheit ihrer Nahrung zusammenhängt; er brachte überall
die gleiche Änderung in der Nahrungsaufnahme wie in der Form des Gebisses zustande. Das E n d re
sulta t is t in allen Fällen ein Gebiß, dessen hinterster n icht verkümmerter Backzahn oben u nd unten
fast nur noch aus den beiden sekodont gewordenen Außenhöckern besteht (Fig. 4 R, S. 6 u. Fig. 25). Auf
nicht weniger als 5 verschiedenen Entwicklungslinien is t bei den Carnivora das gleiche Endresultat
unabhängig voneinander ganz oder fa st ganz erreicht worden. Dabei is t die überraschende Ähnlichkeit
hervorzuheben, welche diese unabhängig voneinander zustande gekommenen, rein sekodonten
oberen wie unteren Zähne miteinander zeigen. Dieser extreme Zustand is t in der Familie der
Oxyaenidae von Patriofelis bereits im mittleren Eocän erreicht worden, unter den Hyaenodontidae
Fig. 24. Unterer Reißzahn von Genetta, von innen, Fig. 25. Unterer Reißzahn von Felis ohne Innenmit
großem Innenhöcker (i) und großem Talonid {ta).. höcker und mit ganz rudimentärem Talonid (ia).
von Hyaenodon im oberen Eocän, u n te r den Felidae von verschiedenen Gattungen im Oligocän,
un te r den Hyaenidae von Hyaena im Pliocän, unter den Viverridae von der rezenten Cryptoprocta
vielleicht schon seit langer Zeit. Die ursprünglich hinter diesen Reißzähnen stehenden, nicht sekod
ont gewordenen Molaren sind im Verlaufe dieser Entwicklung ganz verschwunden oder nur durch
ein funktionsloses Rudiment noch vertreten (Fig. 4, S. 6). Die Zahl der verlorenen Molaren ist bei
den verschiedenen Entwicklungslinien sehr verschieden. So h a t Hyaenodon einen einzigen, nur den
letzten oberen Molar eingebüßt und behielt*5<5*,diergleiche Gesamtzahl von Zähnen wie die Gattung
Canis; Patriofelis büßte oben 2, unten 1 Molar ein; Felis, Hyaena und Cryptoprocta haben oben 3
(1 rudimentär), unten 2 Molaren verloren. Bei allen diesen extrem sekodont gewordenen Formen
müssen die m it den Reißzähnen abgeschnittenen Bissen unzerkaut verschlungen werden. Vergl.
auch S. 6—8.
Während die eben besprochenen Säugetierfresser der alten und der neuen Welt Placentalia
sind, finden sich u n te r den Marsupialia von Äustralien Raubtiere, Thylacinus und Sarcophilus, deren
Gebiß eine verblüffende Ä hnlichkeit mit dem gewisser Hyaenodontidae h a t, und ganz ähnliche Formen
begegnen uns auch u n te r den Marsupialia aus dem mittleren Tertiär von Patagonien, den Sparasso-
donta. Auch hier sind die hinteren Backzähne zu sekodonten Reißzähnen umgebildet, auch hier
ging die Fähigkeit, die einzelnen Bissen zu zerkauen, schließlich vollständig verloren, und die Reißzähne
gewannen zuletzt die gleiche Gestalt wie bei den fortgeschrittensten placentalen Raubtieren.
Es liegt bei diesen Beuteltieren der gleiche Entwicklungsgang vor, wie wir ihn bei den placentalen
Hyaenodontidae kennen. Auch hier nimmt er von Formen m it rein trigonalem Gebiß und großen
Prämolaren seinen Ausgang, wie wir sie in der Familie der Didelphidae noch heute vor uns haben
(Fig. 21, S. 37), und wie sie schon aus der obersten Kreide (Eodelphis browni) bekannt sind. Sie
zeigen durchaus die gleiche Entwicklungsstufe der Backzähne wie die ältesten Creodonta, die
Oxyclaenidae, und sind wie diese als primitive Wirbeltierfresser anzusprechen.
So verschieden untereinander alle diese mit sekodontem Gebiß versehenen placentalen und
marsupialen Raubtiergruppen auch sind, so zeigt sich bei ihnen allen doch derselbe Antrieb als
Leitmotiv ihrer Stammesentwicklung. Stets lief er d arauf hinaus, daß sie die von ihren fernen Ahnen
einst erworbene Fähigkeit, die in den Rachen aufgenommenen, von Knochen durchsetzten Bissen
zwischen ihren hinteren Backzähnen zu zermalmen, wieder aufgaben.
17. Die Robben und Waltiere.
Ein Gebiß nur aus Fangzähnen bestehend, wie es bei der großen Mehrzahl der Amphibien
und Reptilien zu finden ist, is t auch bei den Säugetieren nicht unbekannt, aber nur bei wasserbewohnenden
Formen. Die sämtlichen bezahnten Cetaceen der Jetz tz e it sowie die fortgeschrittensten
Pinnipedia (wie Otaria, Fig. 28) besitzen nur einwurzelige Fangzähne. Diese werden ausschließlich
zum Ergreifen der Beute benutzt, welche sofort lebend verschluckt wird, ohne zuvor getötet, zerlegt
oder zerkaut zu werden.
Es w ird je tz t wohl allgemein zugegeben, daß die Meeressäuger von Landsäugetieren abzuleiten
sind u nd ursprünglich auch ein diesen entsprechendes Gebiß mit mehrwurzeligen trigonalen Backzähnen
besessen haben müssen, das zum Töten und Zerkleinern der Beute sich eignete. Unter den
Pinnipedia zeigen noch viele d er lebenden Arten stark komprimierte, sekodonte, mit mehreren Nebenspitzen
versehene zweiwurzelige Backzähne (z. B. Phoca, Fig. 26), die große Ähnlichkeit mit den
vorderen Backzähnen der L andraubtiere (vergl. Fig. 8, S. 7) haben. Unter den Cetacea sind es nur
die ältesten, schon seit dem Miocän ausgestorbenen Formen, die wie z. B. Zeuglodon (Fig. 29)
ähnliche Backzähne aufwiesen. Es muß angenommen werden, daß die fangzahnartigen, einwurzeligen
Backzähne der Meeresraubtiere durch Rückbildung aus komplizierteren mehrwurzeligen
Zähnen von Landraubtieren entstanden sind, und daß die erwähnten zwei wurzeligen
hinteren Backzähne nur ein Ubergangsstadium in der Rückbildung darstellen. Anders wären sie
nicht zu erklären. '
Zur Nahrungsaufnahme für fischfressende Wassettiere is t ein n ur aus Fangzähnen bestehendes
Gebiß offenbar am besten geeignet, da es fast allgemein bei solchen au ftritt, mögen es Amphibien,
Reptilien, bezahnte Vögel oder Säugetiere sein. Es wird das verständlich, wenn man den Nahrungserwerb
eines Fischotters, also eines fischfressenden Landtieres mit dem eines Seehundes oder Delphins,
also eines fischfressenden Meerestieres vergleicht. • -
Der von Fischen (und Krebsen) lebende Fischotter ist ein Mustelide und trä g t ,in der Tat
noch ein ausgesprochenes Mardergebiß (vergl. Mustela, Fig. 3, S.. 6) mit wohlentwickelten Eckfcähnen,
Reißzähnen und Mahlzähnen. Fängt er, der ein vorzüglicher Schwimmer ist, einen größeren Fisch,
so ist er offenbar außer Stande, ihn im Wasser schwimmend gleich zu verzehren. E r b rin g t vielmehr
die mit den Eckzähnen gefaßte Beute ans Ufer, h ä lt sie dort mit den Vorderfüßen fest und v e rsucht
zunächst das zappelnde Opfer zu tö ten oder wenigstens, da es meist sehr zählebig ist, zu bewußten
Fluchtversuchen unfähig zu machen, indem er den Schädel oder die Wirbelsäule zerbeißt.
Dann wird nach Rau b tierart Stück für Stück mit den Vorderzähnen abgerissen oder mit den Reißzähnen
abgebissen, nach Bedarf auch gekaut und dann verschluckt.
Zoologien. Heft 71. '