Eck- und vorderen Backzähne von Potamogale lebhaft an die betreffenden Verhältnisse bei den ältesten
Waltieren. Die h interen Backzähne von Protocetus aber sind rückgebildete trigonale Zähne, noch m it
3 Wurzeln, die vor ihrer Rückbildung denen von Potamogale sehr wohl geglichen haben können.
Natürlich lassen sich Gründe in reichlichster Auswahl au führen, daß Potamogale selbst nicht
der Walfischahne sein kann. Unter anderem fehlt ihr der erste Prämolar, den die ältesten Wale
noch besitzen. Ich möchte sie auch n u r als die Form unter den lebenden Säugern bezeichnen, die
uns die beste Vorstellung von dem vermutlichen Aussehen der wirklichen Stammform geben dürfte,
muß aber hinzufügen, daß es doch sehr wahrscheinlich die Ordnung der Insectivora ist, u n te r der
die lang- und spitzschnauzigen Landraubtiere zu suchen sind, die als Ahnen der Cetaceen gelten
können. Unter den lebenden und fossilen Insectivora ist aber bisher keine Form bekannt, die eine
so weitgehende Anpassung an das Wasserleben zeigt wie gerade Potamogale.
Bei der Stammesentwicklung der Pinnipedier und der Cetaceen is t das treibende Motiv in
dem Bestreben zu sehen, die bequemste Art des Nahrungserwerbs zu erreichen, welche im Meere,
ihrem neuen Medium möglich ist. Zuerst mögen sie auf große Wassertiere, die sie eben noch gut
bewältigen konnten, gejagt haben. Die Beute wurde an Land geschleppt, d o rt stückweise mit
trigonalen Zähnen gekaut und verzehrt. Dann gewöhnten sie sich daran, die Beute gleich im Wasser
zu verzehren. Sie jagten zunächst aber immer noch auf kräftige große Fische, die sie einzeln verfolgten.
Sehr früh müssen sie aber dieser Nahrung entsprechend das Zerkauen der Beute aufgegeben
haben. Ihre Backzähne verloren die trigonale Form und damit die Kaufähigkeit, blieben aber noch
sekodont, zum Zerlegen der Beute geeignet. Da es im Wasser aber Schwierigkeit machte, diese zu
zerstückeln, so beschränkten sie sich allmählich auf solche Beute, die auf einmal zu verschlucken war.
Dadurch wurden auch sekodonte Zähne unnötig, und sie behielten n u r noch einwurzelige Fangzähne.
Allmählich wurden die Beutetiere noch kleiner und schwächer, sie wurden nicht mehr einzeln gejagt
und verfolgt, sondern nur noch aus einem Schwarm heraus einzeln gepflückt. Dabei wurden die
Zähne unbedeutender und spärlicher. Zuletzt entstanden die ganz zahnlosen Planktonfresser,
welche ganze Schwärme kleiner Beutetiere auf einmal in den Mund aufnehmen und schlucken.
Das dürfte in großen Zügen der u n te r der Einwirkung des gleichen Leitmotivs bei allen
Stämmen der tierfressenden Meeressäuger unabhängig voneinander eingehaltene Entwicklungsgang
gewesen sein, welcher bei den einzelnen Stämmen mehr oder weniger weit durchgeführt wurde.
F ü r das tatsächliche Vorkommen einer Reversibilität oder Umkehrung der phylogenetischen
Entwicklung, d. h. für die Erscheinung, daß bei retrogressiver Entwicklung alle einzelnen Stadien
wieder auftreten, die bei progressiver Entwicklung zurückgelegt w urden, is t kaum ein überzeugenderes
Schulbeispiel zu finden, als es sowohl die Pinnipedier wie die Cetaceén übereinstimmend in ihrem
Gebiß zeigen:
1. Stufe (progressiv) mit „haplodontem“ Gebiß: Sämtliche Zähne mit einfacher Wurzel und einspitziger
Krone, alle fangzahnartig, z. B. Bauria (Fig. 10, S. 14).
2. Stufe (progressiv) mit „protodontem“ Gebiß: Backzähne mit einfacher Wurzel,, die eine Längsfurche
zeigt, und mit Krone, die neben der Hauptspitze einige Nebenspitzen zeigt, z. B.
Dromathenum (Fig. 12, S. 16) und Cynognaihus (Fig. 11, S. 14).
3. Stufe (progressiv) mit „trikonodontem“ Gebiß: Backzähne mit zwei Wurzeln und mit komprimierter
Krone, die neben der Hauptspitze einige Nebenspitzen zeigt; alle Backzähne
gleichen den Prämolaren der Raubtiere, z. B. Phascolotherium (Fig. 13, S. 16).
4. Stufe (progressiv, Höhepunkt) mit „trigonalem“ Gebiß: Hintere Backzähne oben mit 3, unten mit
2 Wurzeln und mit trigonaler Krone, z. ß . Potamogale (Fig. 31) und Protocetus (Fig. 30).
5. Stufe (retrogressiv) mit „trikonodontem“ Gebiß, genau wie auf der 3. Stufe, z. B. Phoca (Fig. 26,
S. 51) und Zeuglodon (Fig. 29, S. 51).
6. Stufe (retrogressiv) mit „protodontem“ Gebiß, genau wie auf der 2. Stufe, z. B. Halichoerus, dessen
letzter Backzahn aber noch zweiwurzelig is t (Fig. 27, S. 51).
7. Stufe (retrogressiv) mit „haplodontem“ Gebiß, genau wie auf der 1. Stufe. Nähren sich wesentlich
von größeren Fischen, z. B. Otaria (Fig. 28, S. 51) und Delphinus. Es folgt noch:
8. Stufe (retrogressiv). Zähne an Zahl und Größe stark zurückgegangen. Nahrung aus einzelnen
kleineren und schwächeren Tieren bestehend, z. B. Macrorhinus und Beluga.
9. Stufe (retrogressiv). Völlig zahnlos. Nahrung aus Schwärmen von Planktontieren bestehend.
Mystacoceti.
18. Lykodonte und myodonte Stämme bei Säugetieren.
Die Urplacentalia, von denen wir die sämtlichen späteren Placental-Säugetiere abzuleiten
haben, waren ohne Zweifel reine Tierfresser mit noch primitivem trigonalem Gebiß. Aus der Kreidezeit,
zu der sie gelebt haben müssen, liegen uns aber keine Reste vor, die uns ein sicheres Urteil über
ihr Aussehen erlauben könnten. Wenn wir uns eine Vorstellung von ihnen machen wollen, haben wir
an diejenigen placentalen Tierfresser zu denken, deren Gebiß dem der jurassischen Pantotheria am
meisten ähnelt; denn von letzteren ist ja überhaupt nur das Gebiß bekannt.
Die Pantotheria selbst müssen eine schmale und spitze Schnauze besessen haben. Ih r Unterkiefer
war vor den Eckzähnen so verlängert, daß die Schneidezähne jederseits in einer Längsreihe
standen, und zwar in kurzen Abständen hintereinander, die der rechten Seite mehr oder minder
parallel zu denen der linken. Nicht nur der Eckzahn, sondern auch der erste oder zweite Schneidezahn
war meist etwas verlängert (Amhlotherium, Phascolestes, Fig. 14, S. 16). Beide waren als Fangzähne
zum Ergreifen einer Beute geeignet in ähnlicher Weise, wie das auch bei den verlängerten
vorderen Fangzähnen der Krokodile (im U nterkiefer der 1. und der 4. Zahn) der Fall ist. Der Eckzahn
war öfter zwei wurzelig. Im wesentlichen das gleiche Aussehen dürfte auch das Vordergebiß des
Oberkiefers gezeigt haben. Die mit den Fangzähnen ergriffene, wesentlich aus Wirbellosen bestehende
Beute konnte mit den oft großen Prämolaren zerlegt werden und wurde mit den prototrigonalen
hinteren Backzähnen zerkaut, an denen ein Talonid fehlte oder nur unbedeutend entwickelt war.
In der Tat finden wir unter den Zalambdodonta, der primitivsten Gruppe der lebenden
Insectivora, Formen, deren Gebiß dem der Pantotheria noch recht nahe kommt. Ich muß mich aus
voller Überzeugung den Autoren anschließen, welche in dieser Gruppe die altertümlichsten der uns
bekannten Placentalia sehen. Sie dürfen mit R echt als die noch lebenden V ertreter der Urplacentalia
gelten. Besonders charakteristisch für sie ist der verlängerte vorderste Teil der Kiefer mit den in
Abständen hintereinander stehenden Schneidezähnen, von denen meist einer der vordersten einen
verlängerten Fangzahn darstellt (vergl. Microgale, Fig. 32, S. 56).
Nun kennen wir aber aus dem älteren Paleocän, in dem uns zum ersten Male unverkennbare
Placentalia entgegentreten, alsVertreter reiner Tierfresser ausschließlich die Carnivora Creodonta.
Doch kann gar kein Zweifel sein, daß zu dieser Zeit auch bereits V ertreter der Insectivora gelebt haben
müssen, obw'ohl die ältesten Reste von solchen erst im oberen Paleocän bisher festgestellt wurden
( Palaeoryctes, Mixodectes). Sie werden in Gestalt von Zalambdodonta wohl auch schon während