B. Vergleichender Teil.
1. Neurocranium.
a . R e g io e thm o id a lis .
Praecerebraler Teil der Nasenkapsel.
Betrachten wir unser Modell von vorn, so fällt sofort der sehr vollständige orale Abschluß der
Nasenkapsel auf. Dorsal, ventral und oral wird der vorderste Teil der Nasenhöhle von Knorpelmassen
umschlossen. Vergleichen wir diese Region mit den am weitesten oral gelegenen Partien der
Primordialcranien anderer Wirbeltiere, so sehen wir im allgemeinen, wie von den niederen zu den
höheren der Knorpel an Vollständigkeit verliert. Bei Lacerta, Echidna, den Marsupialiern und auch
bei Canis ist das knorpelige Schnauzengerüst recht vollständig, bei Sus, Lepus, den Cetaceen, Sirenen
und Primaten dagegen erheblich lückenhafter. Trotzdem wäre es falsch, wollten wir hieraus einfach
schließen, daß das Knorpelgerüst der Schnauze bei höheren Säugern die Tendenz zeigt, mehr und
mehr zu schwinden; denn es sind die verschiedensten Faktoren, die hierzu beitragen. In erster Linie
ist da die Beweglichkeit der Schnauze, die mit ihrer Beanspruchung als S p ü r o r g a n zusammenhängt,
anzuführen, die zum Schwunde des Knorpelskeletts beiträgt. Sie kann bewirken, daß Teile
des Knorpelseptums atrophieren, wodurch es dann zu der Bildung einer Fenestra septi kommt,
wie Echidna sie besitzt. Auch Teile des knorpeligen Nasendachs können membranös werden, wie
die Bildung der Fenestra superior nasi bei Lepus zeigt. Als weitere Ursache für den Schwund der
oralen Knorpelpartien müssen wir auch das Vorkommen sehr starker I n c i s i v a oder M a x i 1-
1 a r i a auffassen, wie etwa bei Lepus, wo die ersteren den Nagezähnen als Unterlage dienen. Meist
wird in solchen Fällen der zum Schwund gebrachte, basale Knorpel auch ontogenetisch nicht mehr
angelegt. In stärkerem Maße als bei Lepus trä g t bei C e t a c e e n und S i r e n e n das Auswachsen
der Maxillaria und Incisiva zur Rückbildung des knorpeligen Nasengerüstes bei; dort bleiben
von der Umwandung des respiratorischen Teils der Nase nur kleine Partien des Dachs und der Seitenwand
erhalten. Im allgemeinen kann man sagen, daß das vollständige Schnauzenskelett den u rsprünglicheren
Zustand darstellt, doch ist es natürlich kein Kriterium für die niedrige systematische
Stellung eines Säugers, da die Anpassung an eine bestimmte Lebensweise bei Vertretern aller Ordnungen
zum Schwunde des oralen Knorpels führen kann. Didelphys besitzt ein ganz besonders
vollständiges Schnauzenskelett, das auch nach vorn zu durch die sehr kräftige Cartilago cupularis
abgeschlossen ist. Der E inschnitt zwischen den vorderen K uppeln ist ganz besonders tief. Er erinnert
stark an den I n t e r n a s a l r a u m , wie ihn P e y e r am Primordialcranium von Vipera aspis
abgebildet hat, und entspricht der Stelle, an die sich bei Reptilien der praenasale Fortsatz des Prae-
maxillare legt, der den paarigen Knochen beider Seiten zu einem medialen, unpaaren vereinigt.
Über den Fortsatz selbst will ich in dem Abschnitt, der die Deckknochen behandelt, noch berichten.
In der Gestaltung der F e n e s t r a n a r i n a unseres Craniums finden sich gleichfalls die
primitiven und für Säuger noch typischen Verhältnisse vor. Es ist eine Lückenbildung im vordersten
Abschnitt der lateralen Nasenwand, die durch zwei von oben und hinten her einspringende Fortsätze
unvollständig in zwei Einzelöffnungen zerlegt wird. Die gleichen Verhältnisse finden wir bereits
bei Rana fusca, so daß also in der Wirbeltierreihe die Fenestra narina einen sehr konservativen Charakter
zeigt. Schon dieses Tier (siehe G a u p p s Modell) besitzt einen von dem vordersten Teile der
Nasenwand herabhängenden Knorpel, der die Fenestra narina unvollständig in zwei Teile teilt. In
dem vorderen liegt die Apertura nasalis externa, durch den hinteren tr i tt der Ductus nasolacrimalis
zur Nasenhöhle. Die beiden Öffnungen dienen also bei Rana dem D u rch tritt derselben Organe wie
bei Säugetieren, was ihre Gleichwertigkeit bekräftigt. Bei Sauriern ist diese Zweiteilung vollständiger
geworden. Ein vom vordersten Teil der Nasenwand nach unten verlaufender Knorpelfortsatz
(P r o c e s s u s a l a r i s s u p e r i ö r) umfaßt die Apertura nasalis externa von hinten. Diesem
steht ein vom vordersten Teil des Nasenbodens nach hinten verlaufender und etwas aufbiegendei
Fortsatz ( P r o c e s s u s a l a r i s i n f e r i o r ) entgegen, der die Apertura von unten her umfaßt.
So trennen diese, beiden Fortsätze die Nasenöffnung fast vollständig vom hinteren Teil der Fenestra
narina. Wir haben also hier bereits genau die gleichen Verhältnisse wie bei Säugetieren: die unvollständig
zweigeteilte Fenestra und die beiden Fortsätze. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden,
daß in der hinteren Öffnung bei Sauriern und Schlangen nicht die Ausmündung des Ductus nasolacrimalis
liegt. Bei Schlangen ist sie zum Ductus nasopalatinus hin verschoben, bei Sauriern dagegen
in kaudaler Richtung an eine andere Stelle verlegt. Sie erfolgt bei ihnen in gleicher Weise, wie dies
unter den Säugern auch bei einzelnen Formen der Fall ist, an der Stelle, wo sich bei ihnen ganz allgemein
eine starke Annäherung des Ductus nasolacrimalis an die Schleimhaut der Nasenhöhle zeigt,
d. h. kaudal von der Lamina transversalis anterior, ventral vom Maxilloturbinale. Wie bei Säugern
noch nachzuweisen ist, daß diese kaudal verschobene Ausmündungsstelle als eine sekundäre aufzufassen
ist, da im Laufe der ontogenetischen Entwicklung das oral von ihr liegende Stück des Ductus
nasolacrimalis zwar angelegt wird, aber wieder obliteriert, so ist nach B o r n s Untersuchungen
auch die Annahme berechtigt, daß es sich bei Sauriern um eine sekundäre Verschiebung handelt,
die die Einmündungsstelle des Tränennasenganges in die Nasenhöhle erleidet. Durch den hinteren
Teil der Fenestra narina tr i t t hier der Ausführgang der äußeren Nasendrüse. Bei Mammalien finden
wir im allgemeinen an der Fenestra narina dasselbe Verhalten wieder wie bei Rana, das man wohl
als das primitive den Reptilien gegenüber ansehen darf. Im vorderen Teil der Fenestra narina liegt
die Apertura nasalis externa, im hinteren bis auf einzelne abgeänderte Fälle der Z u tritt des Ductus
nasolacrimalis zur Nasenhöhle. Die Zweiteilung der Fenestra narina wird wie bei niederen Wirbeltieren
durch Knorpelfortsätze vorgenommen, die vom vorderen Teil der Nasenseitenwand und des
Nasenbodens her die Apertura nasalis externa umgreifen. Es sind nun in manchen Fällen beide
bei Sauriern vorhandenen Knorpelfortsätze ausgebildet, bisweilen ist aber der eine nicht mehr zur
Entwicklung gekommen. Ganz zu fehlen scheinen die Fortsatzbildungen nur an den Primordialcranien
von Homo, den S i r e n e n und den Wa l e n , d. h. dort, wo die Knorpelmassen des
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