blicken. In dieser Rücksicht wäre es gewiss eine sehr folgenreiche Unternehmung,
hier unter den Begünstigungen des tropischen Himmels die Experimente
eines Hales, D uhamel, Gr e w , K night u.s. w. in ausgedehnteren
Verhältnissen zu wiederholen um aus ihnen allgemeine Gesetze des Wachsthums
abzuleiten*
Bei Piedade, einem aus mehreren zerstreuten Häusern bestehenden
Oertchen mit einer Capelle, das kaum eine Meile von Porto de Estrella
entfernt ist, traten wir aus den dichten Hecken längs der Strasse in eine
grünende, von Gärten, Pflanzungen und Wiesen begränzte Ebene, über
welche sich eben jetzt die glänzenden Strahlen der Morgensonne ausbreiteten,
während der Hintergrund, die massigen Kuppen des Orgelgebirges, noch
in die Dunkelheit des unbeleuchteten Waldes gehüllt war. Eine feierliche,
milde Ruhe herrschte über diese anmuthige Gegend, die für die Genüsse zurückgezogener,
heiterer Naturbetrachtung geschaffen zu seyn scheint. Die
Mannichfaltigkeit der Beleuchtung und des Baumschlages, welchen die Wälder
an dem Abhange der Gebirge darbieten, der Schmelz der verschiedensten
Farben und die dunkle Bläue und Klarheit des Himmels verleihen den
Landschaften der Tropenländer einen eigenen Reiz, welchen selbst die
Schöpfungen eines S alvador R osa und Claude L orrain entbehren. Der
Weg erhebt sich allmälig; als wir über waldige, niedrige Hügel gegen Abend
am Fusse des Gebirges angekommen waren, begrüsste uns der gastfreundliche
Führer auf seinem eigenen Grund und Boden. Herr v. L angsdorff hatte
erst angefangen diese Fazenda, welche die beträchtliche Ausdehnung von
mehr als einer Quadratmeile hat, aber ganz vernachlässigt worden war,
urbar zu machen. An der Strasse waren hier eine geräumige Remise
( Rancho) zur Aufnahme der häufig einkehrenden Karavanen von Mi-
nas, eine Branntweinschenke, eine Mühle zur Bereitung des Mehles aus
türkischem Korn und ein Häuschen für den Besitzer in der hier üblichen
Bauart errichtet. Diese kleinen Landsitze enthalten einige über dem kühlen
Boden erhabene schmucklose Zimmer mit Gitterfenstern oder Läden; das Dach
läuft gewöhnlich auf der einen Seite einige Fuss über die Wände hinaus
und bildet, auf Pfeilern und einer niedrigen Mauer ruhend, das Vorhaus
arandä). Meistens errichtet man solche Gebäude von Latten, welche
durch zähe Schlingpflanzen {Sipo) verbunden, mit Letten beworfen und
mit Kalk bemalt werden. Der lehmige Boden lässt sich fast überall zu
guten Ziegeln verarbeiten, oder wenn man diese für zu kostbar hält,
gewähren die breiten Blätter mehrerer Palmen (*) ein zwar leichtes aber
ziemlich dichtes Dach. Die freigebige Natur bietet hiezu alles nöthige Material
im Ueberflusse dar und nur der Kalk wird von Cabo frio hergebracht.
Das Landgut Mandiocca, dessen Abbildung sich in unserm Atlas
befindet, wird wegen der trefflichen Mandioccawurzeln, die'es bauet, so
genannt. Nordwestlich begrenzt es ein Gebirgszug von mehreren Rinnthälern
durchschnitten und bedeckt mit Waldung, die sich vom Thale bis zu den erhabenen
Spitzen des Orgelgebirges ausbreitet. Mitten in dieser ausgedehnten
Urwaldung befinden sich die Schläge {liossados) , welche von den Pflanzern
nach Abbrennung der gefällten Stämme mit Mandiocca, Mais, Bohnen, Kaffe
u. s. w. bebauet werden. Diese Anbauungen (Rossas) werden gewöhnlich
nach einigen Erndten verlassen und bedecken sich sodann binnen wenigen
Jahren von neuem mit einem dichten Anflug {Capoeira) , der sich besonders
durch den Mangel grosser und langsam wachsender Baumarten auszeichnet.
Die Urwälder, welche als Zeugen der schöpferischen Kraft des neuen Conti-
nentes in ursprünglicher Wildheit und noch unentweiht durch menschliche
Einwirkung dästehen, nennt man in Brasilien jungfräuliche Wälder {Malai
i n gern). In ihnen weht den Wanderer europäische Kühle an, und zugleich
tritt ihm das Bild der üppigsten Fülle entgegen; eine ewig junge Vegetation
treibt die Bäume zu majestätischer Grösse empor, und noch nicht zufrieden
mit diesen riesenhaften uralten Denkmählern ruft die Natur auf jedem
Stamme eine neue Schöpfung von vielen grünenden' und blühenden Parasiten
hervor. Statt jener einförmigen Armuth an Arten in europäischen,
besonders in nördlichen Wäldern entfaltet sich hier eine unübersehbare
Mannichfaltigkeit der Bildungen in Stämmen, Blättern und Blüthen. Fast
ein jeder dieser Fürsten des Waldes, welche hier neben einander stehen,
unterscheidet sich in dem Gesammtausdrucke von seinem Nachbarn. Während
die W'ollbäume (**}, zum Theil mit mächtigen Stacheln bewaffnet nur
(*) Besonders in den südlichen Gegenden die der Gattung der Geonoma. (**) Bombax
pentrandrum, Ceiba L.