Der Anblick zweier Welttheile und des sie trennenden Meeres führt der
Seele des Reisenden eine Fülle von Gedanken zu. Längs der Nord-Ostseite
läuft ein schmaler Weg am Meere hin, auf welchem man aber den
ganzen Felsen nicht umgehen kann, indem sich bald die fürchterlichsten
Klippen vom Meere aus steil bis zu einer solchen schwindelnden Höhe erheben,
dass jeder Pfad unmöglich wird. Hier in dem äussersten, noch zugänglichen
Winkel dieser Seite steht ein einsames Landhäuschen des Gouverneurs,
welches durch die reizende Aussicht auf das, vor ihm weitausgebreitete,
Mittelmeer und durch seine Abgelegenheit und Stille ganz besonders einladend
ist. Man zeigte uns hier mit patriotischem Stolze die Meubles,
welche Lord E lliot aus den, durch seine glühenden Kugeln vernichteten,
schwimmenden Batterien der vereinigten Belagerer hatte verfertigen lassen.
Von diesem Puncte an bis an das nördliche Ende des Felsens, gegen den
neutralen Grund hin, welcher Gibraltar von den spanischen Linien trennt,
kann das Vorgebirg nur zur See umgangen werden. Die kühne, gigantische
Form des kahlen Felsens bereichert die Phantasie des Malers mit einer,
in ihrer Art einzigen Anschauung. Das Meer bricht sich in gewaltiger
Brandung an den steilen Ufern, die hie und da zu tiefen Grotten, wilden
Tauben zum Aufenthalte dienend, ausgehöhlt sind. Ausserdem beleben Tausende
von kleinen Seekrabben, Seesternen, Seeigeln, Actinien und essbarem
Mythus diese öden Klippen , welche kein anderes lebendes Wesen zu
beherbergen vermögen. Den einzigen Ort, der eine Landung zulässt, und
von den Einwohnern Gibraltars zur Belustigung häufig besucht wird, hat
eine Ansiedlung von Fischern, la Galetta genannt, besetzt. Ein schmaler
Fusssteig'führt von hier um den übrigen Theil des Berges herum, bis zu dem
nördlichen Thore der Stadt. Auf diesem Wege wird der Wanderer durch
den fast senkrechten Abfall des Felsens, gerade da, wo er seine grösste
Höhe hat, beinahe erschreckt. Von dem gefährlichen Steige am Abhange
gelangt man endlich auf einem gepflasterten, künstlichen Damm über eine
Meeresbucht zum Stadtthore.
General Donn , der Gouverneur des Platzes, hatte uns die Erlaubniss
gegeben, alle Gegenden des Felsens, selbst die Befestigungen zu besuchen,
.und war überhaupt bemüht, der Gesandtschaft alle Unterhaltungen zu
verschaffen, welche die isolirte Seestadt nur irgend bieten kann. Auf einem
Balle sahen wir den zärtlichen Fandango und Bolero der Andalusier mit
den Tänzen des Nordens wechseln, und in den festlich erleuchteten Laubengängen
am Pallaste ertönte bald die sanfte Klage spanischer Madrigale,
bald ein melancholisches Lied nordischer Barden. Dieser Contrast zwischen
dem Süden und Norden tritt hier dem Reisenden auf eine überraschende
Art überall entgegen. In dem Gemische spanischer und englischer Bewohner,
bemerkt man auch sehr viele Genueser und Calabresen, die besonders dem
Gewerbe der Fischer und Schiffer obliegen. Die Anzahl der Juden,
welche grösstentheils spanisch sprechen, ist beträchtlich. Noch hat dei*
Besitz der Engländerspanische Sitten und Sprache nicht verdrängen können;
vielmehr gibt der grosse ♦Handelsverkehr und die Gegenwart sehr vieler
Fremden diesem Stapelplatze für den Commerz des Mittelmeeres einen,
allgemeinen und grossartigen Charakter- Was aber das bunte Gemälde,,
welches die Bewohner Gibraltars darbieten, vollendet, ist die Gegenwart
der Asiaten und Nordafricaner. Von letztem befinden sich besonders sehr
viele Marokkaner hier, welche Südfrüchte und feine Lederarbeiten auf der
Strasse verkaufen. Der blonde Nord - so wie der gelbliche Süd-Europäer
unterscheiden sich durch auffallend verschiedene Züge in Gesichtsbildung
und Körperbau von diesen Fremdlingen orientalischer Abkunft. Die Physio-,
gnomie der hier erscheinenden Marokkaner und anderer Africaner spricht
Festigkeit und Klugheit aus, doch ohne jenen Zug von Verschmitztheit, dessen
man die semitischen Abkömmlinge zu beschuldigen pflegt, vielmehr gepaart
mit einer angenehmen Offenheit, Behaglichkeit und Seelenruhe. Eine hohe
Stirne,, ein ovales Gesicht, grosse, feurige, schwarze Augen von gewölbten,
starken Augenbraunen beschattet, eine feine, längliche, doch nicht zu spitzige
Nase, ziemlich breite, in einen engen Winkel zusammenlaufende Lippen,
dichte, schwarze, schlichte Haupthaare, ein ähnlicher Bart, bräunlichgelbes
Colorit, kräftiger Hals und fester Knochen- und Muskelbau bei mehr als mittlerer
Grösse, charakterisiren den Bewohner Nordafrica’s , wie man ihn häufig
in den Strassen von Gibraltar erblickt. Unter die gefährlichsten Krankheiten,
welche sich in dieser, durch ihre Lage sehr heissen und besonders dem
Südwind ausgesetzten, Bucht des Mittelmeeres einstellen, gehört auch das
gelbe Fieber. Kurz, ehe wir hier ankamen, wurde eine Menge Menschen
I. Theil. 6