Stadt zu erkennen, und die Sitten und Denkweise, welche nach der Ankunft
des Hofes als europäisch auffielen, anzunehmen.
Ueberhaupt ist der Einfluss des k. Hofes zu Rio auf Brasilien in
jeder Beziehung nicht zu berechnen. Die Gegenwart des höchsten Staatsoberhauptes
musste alle Brasilianer mit einem patriotischen Gefühle beleben,
das ihnen unbekannt gewesen war, so lange sie, unter den Verhältnissen
einer Colonie, von Delegaten des Königs regiert wurden. Brasilien gewann
in Aller Augen eine neue Würde; da es den König in seiner Mitte
hatte, und diplomatische Verhandlungen jenseits des Weltmeeres betrieb,
trat es gewissermassen in den Kreis der europäischen Mächte ein. Der König
selbst lernte sowohl die Vortheile des Landes als auch das Mangelhafte der
Regierung immer mehr kennen, benützte jene und sicherte dadurch den Bestand
aller bürgerlichen Verhältnisse und des Eigenthums; der Privatcredit ’vermehrte
sich; das Unsichere, Partheiisehe und Abhängige in der Verwaltung
machte einer selbstständigen Ordnung der Dinge Platz, und ein kräftiger
Umschwung erwachte in allen öffentlichen Geschäften. Hiedurch und vorzüglich
durch die Oeffnung der Häfen für die handelnden Nationen aller Welttheile
nahmen, mit dem wetteifernden Verkehr und dem stets wachsenden Handel
ins Ausland, Benützung des Bodens, Reichthum, Wohlstand und Civilisation
des Landes schnellen Schrittes zu. Doch scheint es, dass im Allgemeinen der
Uebergang von einer abhängigen Colonie zu einem selbstständigen Reiche in
Brasilien selbst bei weitem weniger für ein Glück geachtet wurde, als Portugal
die Rückwirkung dieses Ereignisses ungünstig empfand. Die Brasilianer werden
erst jetzt, wo Erfahrungen ihren Gesichtskreis erweitert haben, und wo die
Kräfte dieses Continentes, durch politische Veränderungen angeregt, sich
geschwinder entwickeln, erkennen, wie schnell sie durch mannichfaltige
Bildungsstufen in dem Zeiträume von zwölf Jahren, während welcher
J ohann VI. in Brasilien verweilte, hindurch geführt worden sind.
Der König bezeichnete seine Gegenwart in dem jungen Reiche alsbald
durch Errichtung derselben Obertribunale und Behörden, welche in Portugal
bestehen. Im Jahre 1808 organisirte er den Dezembargo do Pago
(Ministerialrath des Innern und .Staatsrath), Conselho da Jnstiga (Ministerialrath
der Justiz), Conselho da Fazenda (Ministerialrath der Finanzen),
Junta do Commercio (oberstes Handelsgericht), Meza da Consciencia
Ministerialrath des Cultus); die Relagäo (Appellationsgericht) von Rio de
Janeiro ward zur Supplicagäo (Oberappellationsgericht) erhoben; für das
ganz Königreich ward eine allgemeine Intendanz der Polizei, und für die
Hauptstadt eine selbstständige Polizeidirection angeordnet; auch ein königliches
Aerar, Münzhausund Archiv gegründet. Im Jahre 1805 wurde das
seit 1Ö7Ö bestehende Bisthum neu dotirt und mit einem zahlreichen Dom-
capitel ausgestattet; imJ. 1810 endlich eine k. Militär-Akademie gestiftet. Die
Capitanien wurden genauer begrenzt und mit den nöthigen Gerichten versehen.
Diese Organisationen, so wie die nähere Bestimmung der Geschäftskreise für
die General-Gouverneurs der Provinzen, die Regulirung der Gerichtsbarkeit,
die consequentere Erhebung des Zehnten und der übrigen Steuern sind mächtige
Schritte für die Bildung des neuen Landes gewesen, und die Geschichte wird
in der Regierung J ohanns VI. eine glückliche Fortsetzung der schöpferischen
Einwirkung J ohanns III. erkennen, jenes geistvollen und kräftigen Monarchen,
von dessen bildenden Händen die Colonie zuerst Gestalt und Leben empfing
Die Anwesenheit des Monarchen und die vereinigte Gegenwart der obersten
Staatsbehörden wurden in ihrem ordnenden und regelnden Einflüsse auf
das neue Land durch die bedeutende Menge von Ausländern, welche früher
oder später dem Hofe nach Rio de Janeiro folgten, wesentlich unterstützt.
Englische Maschinisten und Schiffsbauer, schwedische Eisenarbeiter, deutsche
Ingenieurs, französische Künstler und Fabricanten wurden von der
Regierung zur Verbreitung der Nationalindustrie und nützlicher Kenntnisse
gerufen. Diese Versuche der Regierung, schon jetzt auf den jugendlichen
Boden europäische Thätigkeit und Fertigkeiten zu verpflanzen, sind um so
achtungswürdiger, je grössere Schwierigkeiten sich beim Beginne entgegenstellten.
Ein wichtiger Anfang zur Bethätigung der Industrie ist mit dem Arsenale
gemacht worden, von welchem ein kleiner Entwurf zwar schon vor
der Ankunft des Königs vorlag, das jedoch erst im J. 1811 förmlich organisirt
und in volle Thätigkeit gesetzt wurde. In der langen Reihe vön Häusern
am Hafen, welche der Fabrication der Schiffsbedürfnisse gewidmet sind, sieht
man jetzt aus russischem Hanfe Taue drehen, aus schwedischem Eisen Geräthe
schmieden, aus nordischem Tuche Segel schneiden. Die wichtigsten Materia-
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