Vi e r t e s Kapi t e l .
Fahrt von Gibraltar nach Madeira und durch den
atlantischen Ocean nach Rio de Janeiro.
A m 3. Junius verliessen wir Mittags die Rhede von Gibraltar, begleitet
von mehr als fünfzig grösseren und kleineren Fahrzeugen, die ebenfalls
auf den zur Ausfahrt günstigen Wind bisher gewartet hatten, und nun
mit uns, in einem majestätischen Zuge, durch die Meerenge dem Ocean
entgegensegelten. Der Ostwind wehte frisch, und unsere rasche Seglerin
gewann bald allen übrigen Schiffen den Vorrang ab. Schon nach einer
Stunde hatten wir die östlichste Spitze des Cabo Carnero umschifft, und
befanden uns mitten in der Strasse, wo beide Welttheile nur wenige Seemeilen
von einander entfernt liegen. Die Strömung von Westen ist hier sehr
bemerkbar, und jedes geübte Auge erkennt sie leicht an Schiffen, welche
vom Ocean herkommen. Der gewöhnlichen Annahme nach beträgt sie vier
bis fünf Seemeilen in einer Stunde, welche daher von'der Logrechnung
abgezogen werden, wenn man hinaussteuert. Wahrend wir auf der dunkelgrünen
Fluth der Meerenge dahinsegelten, lag die spanische Küste in
einer trüben Bläue vor uns; man konnte deutlich zwei Reihen von Bergen
unterscheiden, welche von O.N.O. nach W.S*.W. laufen. Die hintere ragt
beträchtlich über die Vorderen grünen Hügel hervor, welche, sanft emporsteigend,
an die schrofferen und kahlen Rücken jener sich anlegen, und von vielen
kleinen' Thälern durchschnitten, ohne steile Abhänge an das Meer herabziehen.
An zweien der äussersten Puncte dieser Vorgebirge stehen noch maurische
Wachthürme, und weiter gegen Westen erblickt man das sandige Vorgebirge
von Trafalgar, berühmt durch N elson’s Sieg. Ein blauer Streif höher
gegen N. W ., der in das schmale Cabo de S. Sebastian ausläuft;, war
der letzte Punct des europäischen Continentes, den wir begrüssen konnten.
Die Gebirge an der africanischen Seite der Strasse waren grösstentheils in
Nebel eingehüllt; doch schienen sie uns, wie jene an der spanischen Küste,
eine längliche, auf dem Rücken durch sattelförmige Ausschnitte bezeichnete
Bildung zu haben. Um vier Uhr fuhren wir an Tanger in einer Entfernung
von drei bis vier Seemeilen vorüber. Man unterschied deutlich die, terrassenförmig
aus kleinen platten Häusern erbaute, mit Mauern und niederen viereckigen
Thürmen umgebene Stadt, hinter welcher sich steile Kalkberge,
und hie und da herabgestürzte Felsenblöcke erheben. Um fünf Uhr war
uns Cabo Spartet in O. S. O. ungefähr sechs Seemeilen entfernt. Der
Gedanke, von zwei Welttheilen einem dritten zuzusteuern, bewegte uns
Alle. Die Nähe des alten Africa’s, das schon seit Jahrhunderten ohne
Fortbildung in starrer Einförmigkeit ru h t; die Erinnerungen an die
Grenzen, welche das kühne Alterthum in der Meerenge seiner Thätig-
keit gesetzt glaubte; die Sage von der glückseligen Atlantis, welche wir
in dem üppigen , an Naturwundern so reichen America wieder zu finden
hofften; der Gedanke, von dem gebildeten und geistig hohen Europa
Abschied nehmen zu müssen; Alles vereinigte sich, uns die Fahrt durch
die Säulen des Herkules hinaus in das grosse Weltmeer zu einem unvergesslichen
Momente des Lebens zu machen.
Um sechs Uhr Abends waren die letzten Puncte der europäischen und
africanischen Küste aus unseren Augen verschwunden, und wir befanden
uns auf dem hohen Ocean. Majestätisch thürmten sich die spiegelnden
Wellen empor, und schienen die, in ihre tiefen Furchen hinabgleitenden
Fahrzeuge zu verschlingen; das Weltmeer selbst zeigte, wie, das klare
Firmament über ihm, in dem dunklen Blau gleichsam ein Bild seiner
unergründlichen Tiefe. Jedes der mit uns ausgelaufenen Schiffe verfolgte
von nun a n , auf dem alle Continente trennenden und vereinigenden
Ocean, vom Compass geleitet, den Weg seiner Bestimmung; unsere treffliche
Seglerin, allen vorangeeilt, durchschnitt mit unglaublicher Schnel-
I. Theil. 8