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Behandlung des Schlangenbisses, und überlassen sie vielmehr den sogenannten
Curadores, die eine geheimnissvolle Curmethode anwenden, und deshalb
das Vertrauen des gemeinen Volkes in höherem Grade besitzen als alle
Aerzte, obgleich sie nicht stets einen glücklichen Erfolg aufzuweisen haben.
Reissen und Ziehen in den Gliedern, unwiderstehliche Müdigkeit, Schwindel,
Erbrechen, Schmerzen in den Augen und Stirnhöhlen, Brennen im
Rücken, Blindheit, Bluten aus den Augen, dem Munde, der Nase und
den Ohren, bisweilen, jedoch nicht immer heftiger Speichelfluss, Aufgedunsenheit
des Gesichtes, Bewustlosigkeit, tödtliche Schwäche, Angst,
Todesfurcht, Zittern und Convulsionen folgen sich, wenn die Vergiftung
vollkommen war, in Zeit von wenigen Stunden, und der Kranke wird
binnen vier und zwanzig Stunden nach dem Bisse der Klapperschlange,
und in noch kürzerer Zeit nach jenem der Jararaca-mirim unter den furchtbarsten
Zuckungen, bisweilen auch mit Erscheinungen der Wasserscheu,
ein Opfer des Todes, so dass oft der entfernt wohnende Curador, wenn auch mit
Schnelligkeit herbeigerufen, doch schon zu spät kommt. Ist die Vergiftung
minder stark gewesen, und findet daher der Curador noch die Möglichkeit
einzugreifen, so beginnt er meistens damit, dass er die Wunde aussaugt,
den Kranken in ein dunkles, vor jedem Luftzuge sorgfältig geschütztes
Zimmer legen lässt, und ihn mit grossen Quantitäten von Abkochungen
gewisser Kräuter und Wurzeln innerlich, so wie mit Breiaufschlägen von
denselben Mitteln auf die Wunde selbst behandelt. Eines der wirksamsten
und am meisten gebrauchten Mittel ist das Kraut und die Wurzel einer
Rubiacea (Chiococca angmfuga Mart.*)> welche im Lande unter dem
Namen Raiz preta oder de Cobra bekannt ist und in ihren physischen
Eigenschaften, besonders aber in dem scharfen und durchdringend widerlichen
Gerüche viele Aehnlichkeit mit der Senega und Valeriana hat. Der Kranke
muss grosse Quantitäten des Absudes trinken, und die Umschläge der frisch
zerquetschten Blätter und Wurzeln werden abwechselnd mit den von mehreren
anderen Pflanzen z. B. der Loco ( Plumbago scandens L i) , die
Blasen zieht, demPicäo (Bidens graveolens nob. und leucantha fV .), der
(*) C. foliis avatii acuminatis glahrls, racemii paniculalis axillarihus foliosis. Man sehe
auch v. Eschwege’s Journ. von Brasilien. Heft 1. S. 225.
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Erva de S. Anna (Huhnia arguta H.) und dem Spilanthes brasiliensis häufig
erneuert. Wenn der Gebrauch der Raiz preta starke Ausleerungen auf allen
Wegen zu Folge hat, so schöpft man Hoffnung für die Genesung; besonders
sollen heftige Schweisse und Stuhlausleerungen günstige Zeichen seyn. Man
fährt dann mit demselben Mittel ohne Unterlass mehrere Tage fort, bis der
Kranke, obgleich äusserst schwach, allmälig- seine alten Gesichtszüge, die
anfänglich fast immer leichenartig entstellt sind, wieder erhält. In den ersten
Tagen der Vergiftung verlässt der Curador das Bett des Kranken keinen Augenblick.
Bei überfallender Angst oder Schwäche reibt er geistigeFlüssigkeiten
ein oder sucht durch Anhauchen und Räucherung von aromatischen Kräutern
zu wirken. Die Curadores geben vor, dass vollkommene Heilung erst
sechzig Tage nach dem Bisse ausgesprochen werden könne, denn bis dahin
schwebe der Kranke immernoch in Gefahr, wenn auch nicht eines schnellen
Todes unter den oben erwähnten grausenhaften Zufällen, doch an einem
langsamen nervösen Fieber zu sterben. Sie verbieten, während dieser
Zeit in der Nähe eben menstruirter Frauenspersonen zu seyn, länger, als die
Sonne am Himmel steht, ausser Bette zu bleiben und andere als sehr zarte
animalische Nahrung zu sich zu nehmen. Die Procedur des Curador ist
immer mit einer gewissen Charletanerie verbunden und beurkundet durch
Mehreres, dass sie eigentlich von den Negern und Indiern herstamme.
Auch sind es vorzüglich alte freigelassene Neger und Mammelucken, welche
diese Kunst ausüben. Weiber dagegen, die doch sonst in der Arzneikunde
der Brasilianer die erste Stimme haben, übernehmen die Heilung des Schlangenbisses
nur äusserst selten, und zwar sollen sie, wie ein Mulatte uns
versicherte, erst in einem Alter von fünfzig Jahren dazu geeignet seyn, weil
sie früher, wie er sich ausdrückte, selbst giftig wären. Manche haben wir
getroffen, welche nach dem Bisse einer giftigen Schlange dem nahen Tode
entrissen wurden; sie blieben jedoch immerhin sieche Personen, und hatten
mit ihrem hoch aufgeschwollenen, vielfach durchlöcherten Beine das ganze
Leben hindurch zu schaffen.
Mwin
I fim I
Der Rio do Peixe, welcher kleiner als sein Nachbar der Rio Verde ist,
ebenfalls in den Rio Grande fallt , und unweit der Fazenda S. Fe fliesst,
kommt aus den Verzweigungen des Mantiqueira-Gebirges herab, und
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