brachten wir die erste Nacht unter freiem Himmel zu. Der Ambosschläger
hatte seine zauberhaft klingenden Töne vollendet, das Heer der Cicaden schrillte
mit dunkelnder Nacht in stetiger Monotonie fort, dazwischen erschallten
die paukenartigen Töne eines grossen Frosches, die Klage der Capueira
und der düstere Ruf des Ziegenmelkers. Durch die stets wiederkehrenden
Eindrücke angeregt, fühlten wir uns in der einsamen Wildniss in eine
seltsam feierliche Stimmung versetzt, die sich noch steigerte, als das Firmament
in aller Pracht der südlichen Sternbilder auf die dunklen Wälder herabglänzte,
und Millionen leuchtender Käfer irre Lichtkreise durch die Hecken zogen,
bis endlich ein heftiger Platzregen ringsum Alles in dichte Finsterniss hüllte.
Das Waldgebirge, welches wir bisher durchreist hatten, ist der höchste
Theil jenes Astes der Serra do mar, der sich im Ganzen ungefähr dreitausend
Fuss hoch von dem gegen Norden laufenden Hauptstocke nach der
Meeresküste' hinwendet. Die darauf folgenden, von uns überstiegenen
Berge sind niedriger, und erheben sich in grösseren Zwischenräumen.
Der Weg ist bisweilen tief in den aus rothem Lehm bestehenden Boden
eingehauen, sehr enge und wenn sich, wie dieses hier häufig geschieht,
mehrere Maulthiertruppen begegnen, gefährlich. Diese Art von
Strassen ist übrigens in den üppigen Urwaldungen willkommen, weil durch
Beschränkung aller Reisenden auf einen schmalen Pfad die sonst schnell
eintretende Verwilderung desselben verhindert wird. Für gepflasterte Wege
und Brücken ist natürlich in diesen Einöden nirgends gesorgt, obgleich
der Boden in der Nähe der häufigen Bäche besonders zur Regenzeit beinahe
grundlos wird. In diesen Wäldern fiel uns zum ersten Male der Ton
eines graulich braunen Vogels, wahrscheinlich einer Drossel, auf, der sich
in den Gebüschen und auf dem Boden feuchter Waldgründe auf hält und
in häufigen Wiederholungen die Tonleiter von H 1 bis A2 so regelmässig
durchsingt, dass auch kein einziger Ton darin fehlt. Gewöhnlich singt
er jeden Ton vier- bis fünfmal, und schreitet dann unmerklich zu dem
folgenden Viertelstone fort. Man ist gewöhnt, den Sängern der america-
nischen "Wälder allen harmonischen Ausdruck abzusprechen und ihnen nur
die Pracht der Farben als Vorzug zuzugestehen. Wenn aber auch im Allgemeinen
die zarten Bewohner der heissen Zone sich mehr durch Farbenpracht als
durch Fülle und Kraft der Töne auszeichnen, und an klarem und melodischem
Gesänge unserer Nachtigall nachzustehen scheinen, so beweist doch
ausser anderen auch dieser kleine Vogel, dass ihnen die Fundamente der Melodie
wenigstens ebenfalls eigen sind. In wiefern die musikalische Bildung des
Menschen überhaupt auf die Tonkunst der Thiere schon gewirkt habe, bleibt
eine nicht uninteressante physiologische Untersuchung. Denkbar ist es wenigstens
, dass, wenn einst die fast unartikulirten Töne entarteter Menschen durch
die Wälder Brasiliens nicht mehr erschallen, auch viele der gefiederten Sänger
verfeinerte Melodien hervorbringen werden. Neben den Vögeln des Waldes
nehmen hier auch häufige Schlangen, besonders die schöngefarbte Ahaetalla.
die quer über den Weg sich schlängelnd oder von den vorüberziehenden Ka-
ravanen getödtet Vorkommen, die Aufmerksamkeit des Zoologen in Anspruch.
Auf Bäumen, vorzüglich an feuchten Orten wächst hier eine Flechte 0 ,
die durch ihre prächtige Rosenfarbe ein wahrer Schmuck der Stämme wird.
Die Schönheit und der eigenthümliche Glanz dieses Gewächses haben Herrn
T onay veranlasst, solches auf Farbestoff zu benützen und V auquelin(*:’:) ,
der es unter dem Namen der Cochenille végétale untersuchte, bemerkt,
dass das in ihm enthaltene rothe Pigment viele Aehnlichkeit mit der Orseille
habe, zwar weniger lebhaft und glänzend, auch in geringerer Quantität
vorhanden sey, sich aber mit Nutzen zur Färbung der Seide, Wolle,
weniger hingegen der g Baumwolle anwenden lasse. In dem Hauptthale
zwischen den bis jetzt überstiegenen Gebirgsreihen und dem folgenden
fliesst der Pirahy (Fischfluss), dessen Wasser, des sandigen und sumpfigen
Bettes ungeachtet, ziemlich klar ist. Da er weder Brücke noch
Fähre hat, so mussten die Lasttbiere abgeladen werden und durchschwimmen
und die Bagage wurde von den Leuten auf den Schultern übergetragen.
An der tiefsten Stelle war früher ein schmaler Balken {Pinguéla) fur Fuss-
gänger angebracht gewesen, unglücklicher Weise aber jetzt vom Wasser
hinweggerissen worden, so dass Hr, E nder im Uebersetzen zu Pferde zu
unserem Schrecken plötzlich in ein tiefes Loch gerieth, aus dem er nur
mit Lebensgefahr wieder ans Ufer kam.
Bei" der Fazenda dos Ne g ro s , vier Legoas von Retiro, wo w ir übernachteten
, begegnete uns der unangenehme Zufall, dass einer von unseren
(*) Spiloma roseum Raddi (Mem. di Fis. Soc. Ital. Vol. 18. p. 34Q. t. 2.) (**) Mémoires
da Muséum. Année 3me' p. 145.