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an die Ufer des Amazonenstroms in fremdes Klima, fremden Boden, fremde
Lebensart und Nahrung versetzt und im Verkehr mit Portugiesen, deren
Sprache er weder versteht noch leicht erlernt, wie soll er sich in diesem
Lande gefallen und erhalten? Und was müssen vorzüglich Leute aus den
niedrigeren Ständen, ohne allgemeinere Bildung und Habilitât für neue
Sprache, Lebensart und Klima fühlen, wenn selbst Ankömmlinge von feinerer
Bildung und Constitution, zurückgeschreckt von den Unannehmlichkeiten
des heissen Klima, über die Hülfslosigkeit, Armutl> und Plagen
des Landes klagen , wie man es neuerlich so oft vernimmt ? Findet
der gemeine Mann, welcher aus nördlichen Gegenden einwandert, hier
keinen Landsmann zum Führer, der vertraut mit der Lebensart und der
Bearbeitung des Bodens, in den ersten Jahren väterlich mit Rath undThat
für ihn sorgt, so wird er selbst in diesem reichen Lande beinahe dem
Hungertode preisgegeben , und bei den zunächst entstehenden Gefühlen
der Reue und des Heimwehs ein Opfer seiner Unternehmung. Wer
jedoch die ersten Prüfungen glücklich überstanden, seinen Heerd in dem
schönen Brasilien gesichert und sich an das tropische Klima gewöhnt hat,
der wird solches gerne als sein zweites Vaterland erkennen ; ja hat er erst
Europa noch einmal besucht, so wird er sich mit gesteigerter Neigung
dorthin zurücksehnen, und Brasilien, wie sehr man auch an der Bewohnbarkeit
der heissen Zone zu zweifeln pflegt, als das schönste und herrlichste
Land der Erde preisen.
Nach einem mehrtägigen Aufenthalte kehrten w ir von der Mandiocca
auf demselben Wege nach der Stadt zurück, wo wir uns in der Hoffnung
getäuscht sahen, das portugiesische Geschwader, welches Ihre K. K. Hoheit
die Frau Kronprinzessin überführen sollte, anzutreffen. Diese Verzögerung
hatte bedeutenden Einfluss auf unseren Reiseplan. In Wien hatte man vermuth-
lich geglaubt, dass die ganze Gesellschaft der Naturforscher vereinigt ihre Expedition
in das Innere antreten werde; da aber bis jetzt nur die Hrn.MiKAN und
Ender gegenwärtig waren und die übrigen Naturforscher erwarten wollten,
so konnte fürs Erste über einen gemeinschaftlichen Reiseplan noch nicht
verfügt werden. Wir dagegen hatten durch Herrn Grafen v. W rbna,
welcher im zweiten Monate nach unserer Ankunft die Nachricht überbrachte,
dass die Vermählung der K. K. Prinzessin mit Sr.K.Hoheit dem
Kronprinzen D on P edro per procuram vollzogen worden sey, die Bestimmung
erhalten, unsere Reise nicht über die Dauer von zwei Jahren zu verlängern.
Durchdrungen von dem Wunsche, die Bereisung eines so unbekannten.
und doch so höchst merkwürdigen Landes so weit, als nur immer in diesem
Zeiträume möglich seyn würde, auszudehnen, fassten wiraden Entschluss,
noch in diesem Jahre die Reise ins Innere anzutreten und glaubten uns durch
die verzögerte Ankunft der übrigen Naturforscher nicht bestimmen lassen
zu dürfen, die kostbare Zeit in der Hauptstadt zu zubringen, deren Umgebungen
ohnehin schon häufig durchsucht sind. Hr. Prof. M ikan entschloss sich
dagegen, die Bai von Rio in ihrem ganzen Umfange zu bereisen und sich
gegen die Fluren bei Cabo fr io und im District von Goytacazes zu wenden.
Seit unserer Ankunft hatten wir das herrlichste Wetter genossen.
Allmälig schien sich aber die Regenzeit vorzubereiten; die Witterung wurde
abwechselnd; Nebel, dichte Wolkengruppen und plötzliche Windstösse
wurden häufiger und am 3. October begann ein heftiger Platzregen, welcher
drei Tage unausgesetzt anhielt. Von nun an regnete es mehr oder weniger
Nachts oder Nachmittags, im November endlich gestaltete sich die nasse
Jahreszeit ganz regelmässig. Man pflegt sie in diesem Theile Südamerica’s
vom October an bis zum März zu rechnen; der frühere oder spätere Eintritt
in den einzelnen Orten aber wird durch die Breite derselben und durch
die physische Lage, näher oder entfernter von der Küste, höher oder
niedriger, modificirt. Zu Rio selbst, in 22°, 54» 10 s.Br. und45°, 5,0'
w. L. v. Paris (östl. Var. von 4°, 55') regnet es am meisten im Monate
Februar. Während unserer Anwesenheit war die Veränderlichkeit der
Luft nicht geringe; der Barometer zeigte in den Monaten September,
October und November als höchsten Stand 28,2", 28,30 und 28,20' ; als
niedrigsten 27,70", 27,85" und 27,77"; als mittleren 27,995", 28,031" und
2 8,0 34"; der Thermometer stand in den beiden ersten Monaten am höchsten
auf 22°, im dritten auf 23,49° R*» am'tiefsten auf 15,49°» l6° und 18°;
sein mittlerer Stand war 19,198°, 18.,3 92° und 2 0,49° 5 der Hygrometer
stieg von 490 auf 70° und 85°, während die Regenzeit allmälig zunahm.
Letztere in Rio de Janeiro abzuwarten schien bei der Kürze des uns ge