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Die Villa de Jundiahy (*), ein kleines Oertchen auf einem niedrigen
Hügel, ist nur durch ihre für den Binnenhandel günstige Lage von Wichtigkeit.
Alle Trupps, welche aus der Capitanie von S. Paul nach Minas
Geraes, Goyaz, Matto-Grosso und Cujaba abgehen, werden hier für diese
lange Reise organisirt. Die Einwohner besitzen grosse Heerden von Maul-
thieren, welche jährlich diese Reisen einigemal machen. Die Verfertigung
von Tragsätteln (Cangalhas) , Sätteln, Hufeisen und allem, was
zur Einrichtung der Tropas nöthig ist, und das unaufhörliche Ah- und Zugehen
.grosser Karavanen verleihen dem Ort einen Charakter von Betriebsamkeit
und Wohlstand, und erwerben ihm mit Recht den Namen eines
Landhafens (Porto seco). Es gehen von hier gebahnte Strassen m die
obengenannten Provinzen. Die Reise nach Villa Boa de Goyaz wird in
einem Monate, die nach Cujaba in zweien zurückgelegt. Nach S. Paul,
das zehn Legoas entfernt ist, und nach Santos werden von hier besonders
Mandioccawurzeln und Mehl, Mais und Zucker ausgeführt, dagegen Salz,
Eisen- und europäische Fabrikwaaren aller Art (Fazenda seca) zum Handel
für das Innere mit zurückgenommen. In den Umgebungen des Ortes wechseln
Hügel mit feuchten Thälern, Mittelwaldungen mit freien Campos ab,
welche mehrere kräftige Arzneipflanzen ernähren. Unter anderen zeigte
man uns hier die Poaya (Polygala Poaya nob.)> deren Wurzel im Lande
allgemein statt der ächten Ipecacuanha und fast in denselben Dosen gebraucht
wird. Auch eine Chinasorte kommt hier vor, die von einem mittelmässig
starken Baume mit grossen Blättern gewonnen wird, beträchtlich viele
Bitterkeit, aber sehr wenig Aroma besitzt und nicht selten nach Rio de
Janeiro versendet wird.
Der Thätigkeit des Capitäo mdr von Jundiahy verdankten wir die
Auffindung eines neuen Arieiro, der die Tragsättel sogleich ausbesserte,
und uns noch am Abende des folgenden Tages auf der Strasse nach Minas
zwei Legoas vorwärts führte. Der Weg erhebt sich aus einer sumpfigen,
mit dichtem Gebüsche besetzten Gegend allmälig aufwärts. Weiter gegen
(*) Der Name gehört der Lingua gerat an: Jundia ein kleiner Fisch, Hy das Wasser,
■der Fluss.
Norden gelangt man auf eine ausgedehnte Gebirgsebene (Campo largo) ,
die mit einem reichen Flor schöner Gebirgspflanzen prangte. (*) Zwei höhere
Bergreihen, welche parallel von Nord nach Süd laufen, von malerischen,
unseren Yoralpen etwas ähnlichen Umrissen, zum Theile mit Wald oder
mit jungen Holzschlägen (Capoeira) bedeckt, umgrenzen die Ebene. Der
höchste Punct, über den die Strasse führt, ist der Morro de Caletuva;
von ihm aus steigt man in ein breiteres, mit jungem Waldanflug bewachsenes
Thal herab , das östlich von dem Parapixinga, einem ziemlich
hohen waldigen Gebirge von schroffen Umrissen, begrenzt wird. Nahe
an dem ärmlichen Flecken 5. Joäo de Atibaya erweitert sich die Gegend.
Wir trafen hier einen Zögling der chirurgischen Schule von Rio de Janeiro,
der uns die naive Bemerkung machte, dass die Bewohner dieser Gegenden
es gar nicht verdienten, einen Arzt in ihrer Mitte zu besitzen, weil sie
viel zu selten krank wären. Allerdings werden diese gesunden Gegenden
von einem kräftigen Menschenschläge bewohnt, und nur die Siphilis ist
es, welche vorzüglich wegen mangelhafter Behandlung grosse Fortschritte
macht. Nördlich von S. Joäo de Atibaya ziehen mehrere Gebirgsreihen
fast parallel neben einander hin. Das Gestein ist granitisch und die weite
Verbreitung des der Cultur ungünstigen Saumfarns (Pteris caudata) verkündigt
den Mangel thätiger Landhauer. Der höchste Theil des Gebirgs,
den wir überstiegen, B oa-vista, mag zweitausend und fünfhundert Fuss
hoch seyn. Von ihm aus eröffnet sich eine reizende Fernsicht auf ein
Nebenthal, in dessen Grunde eine einsame Capelle steht. Der Morro de
Lopo, fast überall mit dunkler Waldung bedeckt, und wenigstens dreitausend
Fuss hoch", beherrscht den ganzen Gebirgszug. Er war früher der
Aufenthalt vieler americanischer Wölfe (Lupus mexicanus) ; diese Thiere
scheinen sich aber jetzt mehr in Minas Geraes aufzuhalten, wo wir sie auch
zum ersten Male antrafen. Der Weg krümmt sich in mancherlei Win.
düngen durch das Gebirge, dessen Thäler um so enger werden, je höher
man steigt. Die Hauptformation ist noch immer Granit, in welchem
(*) Hier erscheinen zwischen den Gebüschen des die Campos charaktcrisirenden Paspaius
chrysostachyos Schrad. viele Wedelien , Gaudichaudien, Büttnerien, Cnemidostachys, Palicurecn >
Declieuxien, Escobedia scabrifolia , Eryngium lingua Tucani nob. u. s. w.