D r i t t e s Bu c h .
Erstes Kapitel.
Aufenthalt in der Stadt S. Paula.
D ie Provinz von S. Paulo wurde zur Zeit unserer Ankunft durch ein Trium-
virat regiert, weil die Stelle des C o n d e d a P alma , welcher das Gouvernement
von Bahia eben angetreten hatte, durch den Baron von O e in h a u s e n , vormaligen
Gouverneur von Matto-Grosso, den Sohn eines Deutschen, zur Zeit
noch nicht besetzt worden war. Nach einem alten Herkommen verwalten
in solchen Fällen die oberste geistliche, militärische und Civil - Behörde die
Capitanie. In diesem Conseil präsidirte der Bischof D on M a t t h e u s , ein
ehrwürdiger Gt*eis von achtzig Jahren, welcher in Madeira geboren war und
seine Bildung in Frankreich erhalten hatte. Ihm standen der Brigadier von
Santos und der Ouvidor von S. Paulo zur Seite. Wir wurden von diesen Vorständen
sehr artig empfangen, und hatten zugleich die Freude, unsere Landsleute
, die Hrn. Fürst T a x i s , Graf W r b n a und Graf P a l fv anzutreffen, welche
sich schon seit acht Tagen hier befanden. Diese Herren hatten, ohne Veranlassung,
sich irgend wo aufzuhalten, den Weg von Rio hieher in kürzerer
Zeit zurückgelegt, und waren bei unserer Ankunft schon im Begriffe,
wieder dorthin zurückzukehren. Wir konnten daher nur wenige Zeit das
Vergnügen haben, gemeinschaftlich mit ihnen, welche eine edle Wissbegierde
in das Innere des Landes führte, die Merkwürdigkeiten der ältesten Stadt
Brasiliens in Augenschein zu nehmen, und der Abschied von ihnen fiel uns
um so schwerer, als auch unser Freund, der Landschaftsmaler Hr. T h . E n d e r ,
mit welchem wir in Rio zusammen gelebt hatten, in ihrer Gesellschaft
nach der Hauptstadt zurückreiste.
Die Stadt S. Paulo liegt auf einer Erhöhung in der ausgedehnten
Ebene von Piratininga. Ihre Bauart weist durch die häufigen vergitterten
Balkons, welche hier noch nicht wie in Rio de Janeiro verschwunden
sind, auf ein Alter von mehr als einem Jahrhundert zurück; jedoch
sind die Strassen sehr breit, helle und reinlich, und die Häuser meistens
zwei Stockwerke hoch. Man pflegt hier selten von Backsteinen, noch
weniger von Quadern zu bauen, sondern errichtet meistens die Mauern
aus zwei Reihen starker Pfosten oder Flechtwerke, zwischen denen Thon
eingestampft wird (Casas de taipa), eine mit der Pisearbeit in Frankreich
sehr verwandte Methode. Die Residenz des Gouverneurs, sonst das Jesuitencollegium,
ist in gutem Styl erbaut, jetzt aber sehr baufällig; auch der
bischöfliche Pallast und das Carmelitenklöster sind grosse stattliche Gebäude;
die Cathedrale und einige andere Kirchen sind gross, wenn auch nicht
geschmackvoll verziert; ausserdem aber ist der Charakter der Bauart unansehnlich
und bürgerlich. Die Stadt besitzt drei Mönchs- (Franciscaner-,
Carmeliten-, Benedictiner-), zwei Nonnenklöster und zwei Spitäler. Herr
Obristlieutenant M ü l l e r hat einen hölzernen Circus zu Stiergefechten vor
der Stadt, wie es scheint, in recht guten Verhältnissen erbaut, und sich durch
Anlegung drei steinerner Brücken über die beiden, unterhalb der Stadt zusam-
menfliessenden Bäche, Tamandatdhry und Inhag ab a h y , verdient gemacht.
In den Annalen Brasiliens ist 5. Paulo vor allen anderen Städten von
hohem historischen Interesse. Hier waren einst (1552) die frommen Jesuitenväter
N o breg a und A n ch ie t a bemüht, eine friedliche Horde der Goyanäzes,
unter Anführung ihres Kaziken T e b ir e $a , zum Christenthume zu bekehren,
und nach mancher harten Prüfung, die ihnen den Titel wohlthätiger Wunderwirker
erwarb, gründeten sie mit Beiziehung portugiesischer Colonisten von
«S. yicente, wo sich schon seit 1527 eine Factorei befand, die erste Niederlassung
von Geistlichemim Innern von Brasilien. Mancherlei Verhältnisse,
vor allem aber das gemässigte Klima und der gutmüthige, phlegmatische
Charakter der Indianer, welche sich mit den Europäern vermischten, begünstigten
in kurzer Zeit diese Colonie; noch ist kein Jahrhundert verflossen,
und man findet die Paulisten schon in kühnen Unternehmungen
begriffen. Bald tragen sie, nachdem das Mutterland an Spanien verfallen
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