Katarrhe gerechnet werden. Die, in der ganzen heissen Zone so herrschende
, Syphilis ist ebenfalls in Rio de Janeiro nicht ungewöhnlich. Zwar
sind die Verheerungen dieses, wie wir uns später überzeugten, den Ureinwohnern
America’s fremden Uebels hier nicht -so schrecklich und
gewaltthätig, als sie sich in kälteren Ländern, namentlich auf den Inseln
der Südsee, gezeigt haben, desto allgemeiner aber und stärker ist die
Verbreitung desselben über die gesammte Bevölkerung. Das Klima, das
Temperament der Colonisten und vor allem die Einführung der aethiopi-
schen Rage als Sclaven haben auf eine fürchterliche Art zusammengewirkt,
um die Seuche nicht bloss an der Küste, sondern sogar in den innersten
Theilen des Continentes allgemein zu machen. Wenn auch die Intensität
dieses Giftes bei der Verpflanzung in die heisse Zone abgenommen hat, so
ist doch dagegen, wie es scheint, die Verbreitbarkeit desselben sehr erhöht
worden; auf der andern Seite ist ohnehin die Receptivität des Organismus
hier, theils wegen des geschwinderen Lebensverlaufes überhaupt, theils
wegen der durch Ausschweifung hervorgebrachten und durch anhaltende
Erhitzung vermehrten Schwäche, stärker als in den kälteren Ländern.
Eben so greifen die Blattern,, die seit zehn Jahren fast nur sporadisch erscheinen
, nicht sehr feindlich in die Organisation der Bewohner von Rio
de Janeiro ein, weil das heisse Klima und die Schlaffheit des Körpers die
Entwickelung der Krankheit begünstigen. Indessen lässt sich nicht verkennen,
dass Menschen von der caucasischen Rage dieses Uebel viel leichter ausbilden,
als die Neger und vorzüglich die Americaner. Fast scheint es, als wäre
das Blatterngift während der so langen Zeit seiner Verheerungen von den
Europäern mehr assimilirt worden, als von den übrigen Stämmen, deren
Organism an diese so verbreitete und so durchgreifend einwirkende Seuche
noch nicht in gleichem Maase gewöhnt ist. Die Indianer verarbeiten den
Blatternstoff, welchen sie sehr leicht in sich aufnehmen, nur mit der grössten
Schwierigkeit und unterliegen dem Uebel sehr oft, welches man vorzüglich
der Dicke und Härte ihrer Haut zuschreibt. Dér Arzt, welcher manche
Krankheiten in Brasilien, wie die Blattern, die Syphilisu.a.m., mit jenen
in anderen Welttheilen vergleicht, wird hiebei auf die Bemerkung geführt,
dass, gleichwie jedes Individuum in jedem Alter besonderen Entwickelungskrankheiten
unterworfen ist, auch ganze Nationen und Zeitalter, dem jedesmaligen
Stand der Bildung und Civilisation gemäss, gewisse Krankheiten
leichter aufnehmen und entwickeln.
Aus dieser Schilderung mag hervorgehen, dass in Rio de Janeiro
zwar gefährliche , aber doch eigentlich keine wahre endemische Krankheiten
Vorkommen. Vielleicht ist selbst die Hydrocele nur bedingungsweise für
endemisch anzusehen. Dass die Sterblichkeit bei einem Zusammenflüsse so
vieler Fremden aus verschiedenartigen Klimaten in der Stadt grösser als auf
dem Lande seyn muss, ist leicht begreiflich, jedoch kein sicherer Beweis
von der Gegenwart eines bösartigen Krankheitscharakters. Wir bemühten
uns vergeblich Geburts - und Sterbelisten von hier zu erhalten, welche
uns Aufschlüsse über das allgemeine Verhältniss der Sterblichkeit gewährt
hätten. 'Fast schien es, als ob dieser Theil der medicinischen Polizei
hier noch nicht regelmässig beachtet würde. Ueberhaupt bleibt für öffentliche
Einrichtungen und Gesetze, welche hierauf Bezug haben, noch Vieles
der Thätigkeit künftiger Jahre Vorbehalten, gleichwie auch die Reinigung
der Strassen, welche zur Zeit nur von den deswegen geschützten Aasgeiern
ultur Aura) besorgt wird, und die polizeiliche Aufsicht auf Apotheken
, Ausübung der Arzneikunst u. s. w. in Zukunft die Aufmerksamkeit
der Regierung erheischen. Die beiden Hauptrücksichten, welche man jedoch
bis jetzt für das allgemeine Gesundheitswohl genommen hat, sind die strenge
Prüfung der Gesundheitspässe bei einlaufenden Schiffen und die Einführung
der Kuhpockenimpfung unter der Leitung eines Arztes. Kinder und Erwachsene
werden nämlich an bestimmten Tagen des Jahres in einem öffentlichen
Gebäude geimpft; allein die Controlle über die Disposition zur Vaccination,
über die Entwickelung und die Folgen bei den Geimpften, ist bisher noch
sehr unvollkommen, oder fehlt wohl ganz. Für solche Einrichtungen
muss, noch mehr als in dem geregelteren Europa, hier in einem jungen,
wenig bevölkerten Staate, die Beihülfe des Clerus gebraucht werden; so
lange daher die Vaccination nicht auf ähnliche Weise durch polizeiliche
Maasregeln, wie die Taufe durch kirchliche, strenge vollzogen w ird, bleibt
das Land den Gefahren plötzlicher und fast unaufhaltbar fortschreitender
Blatternepidemien und der Entvölkerung ausgesetzt.