war, entflammt von dem Gefühle für portugiesische Unabhängigkeit und
Freiheit., in keckem Untemehmungsgeiste den Krieg in entfernte spanische
Provinzen; bald durchforschen sie, von Golddurst getrieben, in allen Richtungen
die Wüsten des Innern, und üben durch ihre glücklichen Entdeckungen
einen entschiedenen Einfluss auf das gesammte Land, selbst auch auf den europäischen
Mutterstaat. In Folge dieser Begebenheiten sieht man einerseits
eine freiere Entwickelung der bürgerlichen Verhältnisse, andererseits aber
daraus hervorgehende innere Familienzwiste von fast ähnlichem Charakter als
jene in den kleineren Freistaaten Italiens im Mittelalter waren, einen mit Erbitterung
geführten Kampf nach aussen, besonders gegen die nebenbuhlerisch
sich erhebende Colonie von Taubaté, und so geht innerhalb eines Zeitraumes
von hundert und fünfzig Jahren gewissermassen eine nach allen Elementen
von innen heraus sich gestaltende Geschichte vor dem betrachtenden
Auge vorüber. In dieser Rücksicht ist 5. Paulo vor allen anderen Städten
Brasiliens ausgezeichnet, und mehr als an jedem andern Orte findet man
hier die Gegenwart an die Vergangenheit geknüpft. Dies fühlt auch
der Pauliste, und er sagt es sich nicht ohne Stolz, dass seine Vaterstadt
eine innere, in die seiner Nachbarn mächtig eingreifende, wenn gleich
nur wenige Jahrhunderte hinaufreichende Geschichte habe. Dieser Umstand
ist es vorzüglich, welcher das Urtheil mildern und berichtigen
muss, das man über den Charakter des Paulisten zu dessen Nachtheile
zu fallen gewohnt ist. Die Berichte früherer Schriftsteller schildern die
Paulisten als ein gesetzloses, jeder geregelten Beschränkung durch Sitte
und Gefühl widerstrebendes Völkchen, das sich eben darum von der Herrschaft
Portugals losgesagt und eine eigene Republik gebildet habe. Diese
Ansicht wurde auch durch die Berichte der Jesuiten veranlasst, die allerdings
Ursache hatten, mit dem damaligen Betragen der Paulistas unzufrieden
zu seyn. Vom Jahre 1629 an (*) fielen nämlich letztere in die
indianischen Reductionen der Jesuiten am Paraguay mehrere Male ein und
führten mit unerhörter Grausamkeit alle Eingebornen als Sclaven hinweg.
Diese freibeuterischen Ausflüge, so wie die golddurstigen Unternehmungen
nach Minas, Goyaz und Cujabä verliehen dem Charakter der Paulisten jener
Zeit eine selbstsüchtige Härte und Gefühllosigkeit, und pflanzten ihnen
(*) Sotjthey' Hist, of Braz. II. p. 30 0 etc.
eine Nichtachtung aller durch Gesetz und Humanität geheiligten Verhältnisse
ein, welche ihnen die lauteste Missbilligung der für das Heil der Menschheit
begeisterten Väter zuziehen musste. Gegenwärtig aber hat sich jene rohe
Natur gemildert, und der Paulista geniesst in ganz Brasilien des Rufes
grosser Freimüthigkeit, unerschütterlichen Muthes und einer romanesken
Lust an Abentheuern und Gefahren. Zwar hat sich mit jenen günstigen
Zügen zugleich auch eine zum Zorn und zur Rachsucht regbare Leidenschaftlichkeit,
Stolz und Unbeugsamkcit in seinem Charakter erhalten, und er
ist deshalb von den Nachbarn gefürchtet; der Fremde jedoch sieht in seinem
trotzigen Wesen nur kälteren Ernst und Charakter; er findet in seiner gutmü-
thigen Offenheit und Gastfreundschaft einen liebenswürdigen Zug, in seiner
Betriebsamkeit die Regsamkeit einer gemässigten Zone, und wird weniger
als die Nachbarn mit seinen Fehlern bekannt. Sein Stolz, kann nur damit
entschuldigt werden, dass er sich rühmen kann, durch die Thaten seiner
Vorfahren Ansprüche auf den neuen Welttheil zu haben, welche die Ansiedler
aus Europa nicht besitzen. Dass die ersten Ankömmlinge sehr häufig
Verbindungen mit den benachbarten Indianern eingingen, ist keinem Zweifel
unterworfen, und man wird durch Farbe und Gesichtsbildung des Volkes
hier mehr als in anderen Städten Brasiliens, z. B. Bahia und Maranhäo, an
jene Vermischung erinnert. Uebrigens haben sich hier immer auch viele
weisse Menschen niedergelassen. In früherer Zeit wurde die Capitanie
von 5. Paulo, damals «S. Vicente genannt, von vielen Spaniern besucht,
die unter andern nach dem unglücklichen Ausgange der Expedition des
Adelantado D . P ed ro d e M en d o za in Paraguay (1538 i—154Ö), wie später,
zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, hieher kamen, und deren
Spuren man noch in mehreren spanischen Familiennamen erkennt. Viele
Paulisten haben sich ohne Vermischung mit Indiern erhalten, und diese
sind eben so weiss, ja weisser als reine Abkömmlinge der Europäer in
den nördlichen Provinzen Brasiliens. Die mit Indiern erzeugten Mestizen,
Mamelucos, haben nach den verschiedenen Graden ihrer Mischung eine fast
kaffebraune, hellgelbe oder beinahe weisse Hautfarbe. Vor allem aber bleibt
in dem breiten gerundeten Gesichte mit hervorstechenden Backenknochen,
in den schwarzen, nicht grossen Augen und in einer gewissen. Unsicherheit
des Blickes mehr oder weniger ein Verräther der indianischen Mischung zurück.