N. O. streichen und insgesammt fast in rechten Winkeln, als Aeste^yon der
Serra de Mantiqueira, diesem Hauptstocke des Gebirgssystems in Minas,
Auslaufen. Diese Gebirgszüge, grösstentheils bis an den Gipfel mit an-
muthigen Grascampos bedeckt, zeigen einen ebenen, weit gestreckten Rücken,
von welchem Nebenzweige in die Thäler ausgehen, und die einzelnen
Ketten mit einander verbinden. Schauervolle Klüfte oder gigantische,
in drohend# Formen zerrissene Felskuppen erscheinen hier nicht; vielmehr
wird das Auge durch die Aussicht in freundliche, nicht sehr tiefe Thäler und
in schön zugerundete, mit Wiesen geschmückte Hügelkuppen, über deren
sanfte Abhänge hie und da klare Bäche herabkömmen, beruhigt. Es sind
nicht die Eindrücke jener erhabenen, zackigen Hochalpen Europa’s , jedoch
auch nicht die einer kleineren Natur, welche dem Reisenden hier entgegenkommend
vielmehr ist in dem Charakter dieser Landschaften Grossartigkeit
mit Einfachheit und Milde gepaart, und sie gehören zu den reizendsten, die
wir innerhalb der Tropen gesehen haben. Da sich die breiten Gipfel der
sarkophagartig gestalteten Berge fast in gleicher Höhe (zwischen drei- und
viertausend Fuss) erheben und die muldenförmig gebildeten Thäler nicht
sehr tief sind, so könnte man diesen ganzen Theil des Gebirges ein wellenförmiges
Plateau nennen, in das sich die Serra Mantiqueira auf ihrer westlichen
Seite allmälig verliert. Die Serra das Lettras, welche durch wunderbare
dendritenartige Figuren des häufig ausgefressenen weissen, biegsamen
Quarzschiefers (oder sogenannten Gelenkquarzes) das Interesse des
gemeinen Volkes erregt hat, liegt nur wenige Meilen von hier4 entfernt und
gehört ganz in dieselbe Formation. Stellenweise, wie z. B. bei den Hütten
Gapivary genannt, am Fusse der Serra gleichen Namens fanden wir auf
diesem quarzigen Glimmerschiefer einen stark verwitterten Thonschiefer von
fleischrother oder grünlicher Farbe, der Granaten enthält, aufgelagert, und
zwar war das Streichen dieses Thonschiefers mehr südlich (d. h. südwestlich
und südsüdwestlich) als das des Glimmerschiefers. Der Glimmer- oder Quarzschiefer
ist weiss, oder gelblich, von feinem, körnigem Gefüge und scheint
bald auf Granit, bald auf einem lilafarbigen Granit-Gneiss, in dem Granaten
und schwarzer Schörl Vorkommen, aufzuliegen. Solchen Gneiss hatten wir
bei Villa de Campanha und am Rio Verde häufig zu Tage ausgehend gefunden.
An Gold ist dieser ganze Theil des Gebirges minder reich als
die nördlichen Gegenden. Um so freigebiger hat ihn dagegen Flora mit
mannichfaltigem Blumenschmucke ausgestattet. Besonders macht die Gattung
der Rhexien eine Zierde derselben aus. Man findet eine unzählige 'Menge
von Arten, sämmtlich niedrige Gesträuche, deren zahlreiche, dünne, dichtbeblätterte
Stengel mit Blumen von lieblichem Roth und Violett überschüttet
sind. Stattliche Stämme von blauen Vellosien und bunten Barhace-
nien (•'), den Repräsentanten der Lilienfamilie, schmücken vorzüglich die
steinigen Höhen. Aus der Familie der Gentianen erblickt man häufige
Arten von Lisianthus, die an die Gleichheit der Verbreitung gewisser Familien
durch sehr entfernte Länder erinnern.
In der Tiefe des Thaies passirten wir den kleinen Fluss Ingahy ,
welcher, so wie der sich mit ihm vereinigende Capivary, zu den Tributären
des Rio Grande gehört. Die einsame Gegend war so eben durch zahlreiche
Karavanen belebt, welche aus dem Innern von Minas Speck nach
Rio de Janeiro führten und ihre Lager im Thale aufgeschlagen hatten.
Dieser Handelszweig geht besonders aus der Gegend von Pitangui in grosser
Menge nach der Hauptstadt, die er zum Theile für den Mangel inländischer
Butter entschädigt. Wir hatten kaum einen Rancho neben jenen Fremden
erreicht und den Train um uns her aufschichten lassen, als wir von dem
Bewohner der einzigen Hütte, welche im Thale steht, aufgefordert wurden,
seine Wohnung mit ihm zu theilen. Sein triftiger Grund, dass das Obdach
eines portugiesischen Soldaten jedem Lager unter freiem Himmel, und wäre
es selbst auch im Paradiese, vorzuziehensey , musste uns allerdings bestimmen,
die Einladung anzunehmen. Der Alte, welcher vor vierzig Jahren in der
Linie gedient und manchen Einfall {JEntradcfy gegen die Cajapös-Indianer in
Goyaz und die Puris in Minas begleitet hatte, war ein Muster von Lojalität,
und pries sich glücklich in der einsamen Gegend die Polizei aus reinem Gefühle
für König und Vaterland ausüben zu können. Mehrere der Anführer der
hier liegenden Tropas litten an chronischer Diarrhöe von rheumatischen
Ursachen, gegen welche sie das Guarana umsonst versucht hatten. Dieses ist
eine Paste aus den Früchten einer noch nicht beschriebenen Pflanze (**), und
(*) Vellosia aloaefoUa (M art. nov. gen. Tat. 7.), Barbacenia tomentosa (ibid. Tab. ll.)u.and.
(**) Paullinia sorbilis Mart.