Uebrigens sind eine hohe und dabei breite Statur, stark ausgesprochene Gesichtszüge,
die Freiheitssinn und Unbefangenheit ankündigen, braune, selten blaue
Augen voll Feuer und Unternehmungsgeist, volles, schwarzes und schlichtes
Haar, kräftige Musculatur, Raschheit und Bestimmtheit in der Bewegung
die Hauptzüge in der Physiognomie der Paulisten. Mit Récht hält man
sie für die stärksten, gesundesten und rüstigsten Einwohner Brasiliens.
Die Muskelkraft, mit welcher sie ungezähmte Pferde bändigen und wild
umherlaufendes Hornvieh mittelst Schlingen fangen, ist eben so bewunderungswürdig
, als die Leichtigkeit, mit welcher sie fortgesetzte Arbeiten
und Strapazen, Hunger und Durst, Kälte und Hitze, Nässe und
Entbehrungen jeder Art ertragen. Bei ihren Reisen auf den Binnenströmen
nach Cujabä und Matto-Grosso entwickeln sie jetzt noch, wie ehemals, die
grösste Kühnheit und Ausdauer in Gefahren und Mühseligkeiten aller Art,
und eine unbesiegbare Reiselust treibt sie noch immer fort aus dem Vaterlande.
Aus keiner Provinz findet man daher so viele einzelne Ansiedler durch ganz
Brasilien zerstreut als aus S. Paul. Diese wandernde Lebensart ist Vielen
als Erbtheil der Väter zum Bedürfniss geblieben. Im Allgemeinen darf man
den Paulisten ein melancholisches Temperament mit einiger cholerischen
Mischung zuschreiben. Sie bezeichnen dadurch gewissermassen moralischer
Beziehung die Zone, welche sie bewohnen; denn je näher dem
Aequator, desto reiner findet man den cholerisch reizbaren Charakter ausgesprochen.
Die weiblichen Bewohner von S. Paul haben mit den männlichen
Naivität und Gutmüthigkeit gemein. Der Ton der Gesellschaft ist jovial und
natürlich, belebt durch Gewandtheit und heiteren Scherz. Mit Unrecht sind sie
der Leichtfertigkeit beschuldigt worden. Wenn auch der Geist der Unterhaltung
sehr von der verfeinerten Sitte ihrer europäischen Stammverwandten
absticht, denen eine eifersüchtige Etikette die unbefangene Aeusserung des Gefühls
versagt, so befremdet doch ihre ungekünstelte Munterkeit in einer Provinz
nicht, wo sich mehr als in irgend einem Theile Brasiliens ein freier, natürlicher
Sinn erhalten hat. Die Paulistinnen sind von schlanker, aber doch starker
Körperbildung, in ihren Bewegungen anmuthig, und haben in den Zügen
ihres schön zugerundeten Gesichtes eine angenehme Mischung von Heiterkeit
und Offenheit. Auch ihr Colorit ist weniger blass, als das der meisten Brasilianerinnen,
und man hält sie deshalb für die schönsten Frauenzimmer
Brasiliens. Nachdenken und Neigung zu subtilen Untersuchungen wird
den Paulisten vorzugsweise zugeschrieben; auch haben sie und die Per-
nambucaner unter den Brasilianern die meisten erfinderischen Köpfe und
Gelehrten aufzuweisen. Das Studium der Theologie ward hier früherhin
durch die Jesuiten sehr befördert, aus deren Collegium mehrere ausgezeichnete
Männer hervorginge'h. Die römischen Classiker werden auf dem hiesigen
Gymnasium, wenn man das für den Unterricht junger Leute bestehende
Institut so nennen darf, mit Eifer gelesen. Auch das Studium der Philosophie,
welche früher hier wie in den meisten Schulen Brasiliens nach einem veralte-
ten Lehrbuche mit Beziehung auf B rucker’s Institutiones vorgetragen wurde, hat
neuerlich eine eigene Wendung genommen, seitdem dieKantische Philosophie
durch V il l e r s ’ Uebersetzung auch den Denkern Brasiliens zugänglich gemacht
worden ist. Der zweite Professor (Leute Substituto) der Philosophie,
A n to n io Ild b fo n so F e r r e ir a , den wir nach unserer Abreise von 5. Paulo
bei seinem Vater zu Ypanema kennen lernten, hatte sich das System des
nordischen Philosophen ziemlich eigen gemacht, und es überraschte uns
sehr angenehm, Worte und Begriffe der deutschen Schule auf den Boden
America’s verpflanzt zu finden. So nimmt also der kältere Süden des neuen
Continentes im .Gefolge der schnell umgreifenden Civilisätion nicht bloss
sogenannte practische Studien und Kenntnisse, sondern auch die abstracteren
reinwissenschaftlichen Bestrebungen auf. Die Verbreitung reinmenschlicher
Weisheit geht in den letzten Jahrhunderten rascheren Schrittes von einem
Welttheile zum andern, als sonst von Aegypten nach Griechenland, oder
von dort nach Rom. Die einzige Bibliothek der Stadt nebst der der Car-
meliten ist die des ehrwürdigen Bischofs, der, obgleich hochbejahrt, noch
viele Lebhaftigkeit für wissenschaftliche Gegenstände erhalten hat, und
uns mit dem Ausdrucke inniger Freude selbst in dieselbe führte. Sie enthält
eine gute Anzahl historischer, canonischer Werke, alter Classiker.
und ist ein wichtiges Bildungsmittel für die jungen Geistlichen, welche in
dem hiesigen theologischen Seminarium einige Jahre lang ihre Studien
(*) E in Volkssprichwort, das den Charakter einzelner Provinzen bezeichnet, erhebt vor
allen die Paulistinnen. Es heisst nämlich: zu loben seyen in Bahia Elles näo E lla s, in Per-
nambuco Ellas näo E lle s, in S. Paul Ellas e Ellas!