Vocalmusik jedoch, welche sich der Kronprinz aus eingebornen Mestizen und
Schwarzen errichtet hat, spricht sehr für den musikalischen Sinn der Brasilianer.
D on P edro, der von seinem Ahnherrn D. J ohann IV. ein ausgezeichnetes
Talent für Musik ererbt zu haben scheint, leitet bisweilen selbst
dieses Orchester, welches dadurch belebt die Aufgaben mit grossem Fleisse
ausfuhrt. Der Lieblingsschüler J . H aydn’s , Ritter N eukomm, befand sich
damals als Compositeur an der Hofcapelle in Rio. Für seihe, ganz im Style
der berühmtesten deutschen Musiker geschriebenen, Messen war freilich die
musikalische Bildung der Einwohner noch nicht reif. Der Aufschwung,
welchen David P erez’s Genius der portugiesischen Kirchenmusik gegeben
hat (1752— 1779) 5 ist vorüber, und gegenwärtig stellt man die erste Anforderung
an eine Messe, dass sie in fröhlichen Melodien dahinschreite, und dass
auf ein langes und pomphaft gehaltenes Gloria ein kurzes Credo folge. In
diesem Geiste schreibt M arcus P ortugal, jetzt der gefeierste Compositeur
unter den Portugiesen. Der Standpunct der Entwickelung, auf welchem
sich die Musik in den höheren Ständen von Rio und den übrigen Küstenstädten
Brasiliens befindet, entspricht ganz dem Geiste, in welchem man
hier Poesie und schöne Wissenschaften pflegt. Es ist nämlich vorzugsweise
die französische Literatur, welche sich auch in diesem Lande der feiner
gebildeten Stände bemächtigt hat. Die Verbreitung der französischen Sprache
und die Einführung einer unzähligen Menge ihrer Schriften übersteigt alle
Erwartung, um so mehr da es in Rio de Janeiro nur zwei mangelhafte
Buchläden giebt. Besonders werden, neben den Erscheinungen des Tages,
mit welchen die französischen Galanterieläden Brasilien vertraut machen,
V oltaires und R ousseau’s Werke mit so vielem Eifer gelesen, dass mehrere
patriotische Schriftsteller (*) gegen die Gallomanie aufzutreten sich
veranlasst finden. Diese Erscheinung ist um so merkwürdiger, da poli-,
tische und merkantilische Verhältnisse das lusitanische Volk an England
binden, und in so fern eine grössere Annäherung an die brittische Literatur
voraussetzen Hessen. Selbst an Uebersetzungen aus der englischen Sprache
ist die portugiesische Literatur nicht so reich, als an solchen aus der
(*) So z.B. der kräftige und gelehrte Joze' Agostinho Macedo, Sänger des Epos 0 Oriente,
in seinem Jomal enciclopedico, einer der gehaltvollsten Lissaboner Zeitschriften.
französischen. Deutsche Sprache und Dichtkunst aber ist den Brasilianern
gänzlich unbekannt; nur selten findet man allenfalls einen Verehrer der
Muse Gessner’s oder K lopstock’s , die er bloss durch gallische Verdollmet-
schung kennen gelernt hat. Die erwähnten Verhältnisse der französischen
Bildung haben jedoch in der höheren Gesellschaft die Muttersprache noch nicht
verdrängt; den Hof und dessen Cirkel ausgenommen, sind die französische und
englische Sprache nur Eigenthum der Männer, und werden daher in der Gesellschaft
sehr wenig gesprochen. Das schöne Geschlecht, obgleich in der
allgemeinen Metamorphose, welche die Versetzung des Hofes hieher verursachte
, mitbegriffen, und jetzt auch schon melir im Theater und im Freien
sichtbar, hat doch ziemlich noch dieselbe Stellung beibehalten, welche B ar-
row in seiner apologisirenden Beschreibung im Jahre 1792 schilderte.
Das gastfreie Haus des Hrn. v. L angsdorff war für viele in Rio de
Janeiro anwesende Europäer am Abend ein sehr angenehmer Vereinigungs-
punct. Es herrschte hier stets der Geist froher und belebter Unterhaltung,
die durch das musikalische Talent der Hausfrau und die Mitwirkung N eu-
komm’s noch mehr erhöht wurde. Eine so grosse Merige von Naturforschern
oder Naturfreunden, wie gerade zur Zeit unseres Aufenthaltes, war hier
noch niemals vereinigt gewesen. Die gegenseitige Mittheilung der Beobachtungen
und Gefühle, welche uns Allen der Reichthum und die Eigenthüm-
lichkeit der Natur einflösste, gewann doppelten Reiz durch die Anmuth
der Umgebung. Herr v. L angsdorff bewohnte nämlich ein kleines Landhaus
am Abhange der Hügelreihe, welche sich südwestlich von der Stadt
hinzieht, und genoss von da aus, mitten zwischen den duftenden Gebüschen
Brasiliens, einer entzückenden Aussicht auf die Stadt und einen Theil der
Bai. Nichts lässt sich mit der Schönheit dieses Ortes vergleichen, wenn
die heissesten Stunden des Tages vorüber sind und leichte Zephyre, geschwängert
mit den Balsamdüften des nahen Waldgebirges , die Luft
abkühlen. Dieser Genuss steigt immer höher, sobald die Nacht sich über
das Land und die aus der Ferne glänzende See ausbreitet, und die ruhig
gewordene Stadt sich allmälig erleuchtet. Wer den Zauber stiller Mondnächte
hier in diesen glücklichen Breiten nicht selbst erlebt hat , den
vermag wohl auch die gelungenste Schilderung nicht zu denselben Ge-
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