Z w e i t e s Kapi tel .
Wanderungen in der Umgegend von Rio de Janeiro.
D e n Lockungen jener schönen Natur, welche sich unmittelbar vor unseren
Fenstern in allem Glanze des Südens entfaltete, widerstanden wir nur so
lange, bis wir die dringendsten Bedürfnisse unserer häuslichen Einrichtung
befriedigt hatten. Vorzüglich war es das benachbarte, in dichtes Grün
gehüllte Gebirge, was uns mächtig anzog, und dorthin unternahmen wir
auch unsere erste Wanderung. Der Weg führte uns, noch innerhalb der
Vorstadt, über jene sumpfige Ebene, welche sich besonders im Neu-und
Vollmond mit der Fluth des Binnenwassers bedeckt, nebst dem Morast
des Meeres auch allen Unrath der Stadt, gefallene Thiere u.s. w. beherbergt
und daher von Tausenden der Aasgeier oder Urubiis {Vultur Aura L.)
belebt wird. So scheuslich auch der Anblick, und so ungesund die Ausdünstungen
dieser Ebene sind, welche statt hoher Wälle und Schleussen nur
mit seichten Abzugsgräben versehen ist, so verweilten wir doch einige Zeit
auf ihr, von manchen interessanten Gegenständen gefesselt. Ueberall, wo das
Seewasser über dem Boden gestanden war, sah man diesen jetzt von un-
zählichen Löchern durchbohrt, welche der essbaren Landkrabbe (Cancer
Uca X/.) zum Aufenhalte dienen. An dem sandigen Ufer bemerkten
wir nicht bloss mehrere den Tropenländern beider Continente angehörige
Strandpflanzen, wie Avicerjnia tomentosa und Hhizophora Mangle L . ,
sondern auch zwei andere, in höheren Breiten vorkommende, Portulaca
pilosa, welche an den Küsten Kleinasiens, und Pharnaceum Cerviana,
welche an der Ostsee gefunden wird. W ir durchschnitten hierauf die
Hauptstrasse, die durch das Viertel von Mato - Porcos nach den königlichen
Landsitzen 5. Cristoväo und S. Cruz führt, und stiegen, an einem
schönen, dem Bischöfe gehörenden Landhause vorbei, die Vorhügel des
Corcovado hinan. Kaum hatten wir die Gassen und das Geräusch der
Menschen hinter uns, so standen wir wie bezaubert mitten in einer fremden,
üppigen Natur. Bald waren es buntfarbige Vögel, baldJüendende Schmetterlinge
, bald die wunderbaren Formen der Insecten und der von den
Bäumen herabhängenden Nester von Wespen und Termiten, bald die lieblichsten
, durch das enge Thal und an dem sanft ansteigenden Hügel zerstreuten
Gestalten der Pflanzen, welche unsere Blicke auf sich zogen. Umgeben
von hohen, luftigen Cassien, breitblättrigen, weissstämmigen Cecropien,
dichtbelaubten Myrten, grossblüthigen Bignonienbäumen, schlingenden Büschen
der honigduftenden Paullinien, weitverbreiteten Ranken der Passifloren
und des blumenreichen Beilstrauchs, zwischen denen die wallenden Wipfel
der Macaübapalme hervorragen, glaubten wir uns in die hesperidischen
Gärten versetzt zu sehen. Ueber mehrere sorgfältig benützte Bäche und
mit jungem Waldanflug bedeckte Hügel gelangten wir endlich auf die
Terrasse der Anhöhe, längs welcher das Quellwasser für die Stadt herabgeleitet
wird. Eine entzückende Aussicht auf die Bai, die in ihr schwimmenden
grünen Inseln, auf den Hafen mit seinen zahlreichen Masten und
Flaggen, und auf die am Fusse der anmuthigsten Hügel ausgebreitete Stadt,
deren Häuser und Thürme im Sonnenglanze schimmerten, entfaltete sich vor
unsern Augen. Lange fesselte uns der magische Anblick einer grossen europäischen
Stadt, welche sich hier mitten in dem Reichthum einer tropischen
Natur erhebt. Wir verfolgten hierauf den Weg längs den Krümmungen
der Wasserleitung. Der Canal ist grösstentheils aus Granitquadern, die
gewölbte Decke aber, innerhalb welcher der Naturforscher eine Menge
der sonderbarsten Phalangien findet, aus Backsteinen gebaut. Zwischen den
.waldigen Hügeln eröffnen sich bunt abwechselnd romantische Aussichten
in die Thäler hinab. Manchmal wandelt man über freie Plätze, wo ein
grelleres Sonnenlicht von dem blumenreichen Boden, oder dem glänzenden
Laube der benachbarten hohen Bäume zurückstrahlt; manchmal tritt
.man in ein kühles, schattenreiches Laubgewölbe. Hier rankt ein dichtes
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