Ob dieser Atemablauf für alle Vögel zutrifft, ist als Frage offen gelassen, da keine
experimentellen Versuche darüber angestellt worden sind. Auf Grund der anatomischen
Befunde aber scheinen jedenfalls keine Bedenken gegen diese Annahme vorzuliegen.
Beim Gleitflug wurde nachgewiesen (bei Krähe und Taube), daß die Atembewegung
nicht eingestellt ist, sondern mit etwas geringerer Frequenz wie beim Ruderflug weitergeht;
ähnlich wird sich auch die Atmung beim Segelflug abspielen. Dieser Atemmechanismus
wäre nicht möglich, wenn eine zwangsläufige Koppelung zwischen Flügelschlag und
Atmung bestünde.
Diese Unabhängigkeit von Atmung und Flügelschlag muß auch für das Singen während
des Fluges angenommen werden, wenn auch sicherlich häufig Flügelschlag mit Tonerzeugung
und Ausatmung zusammenfallen wird.
Nachtrag.
Nach Fertigstellung dieser Arbeit veröffentlichte G. F r a e n k e l im Biologischen Zentralblatt,
Bd. 54, Heft 1/2, p. 96, 1934, eine experimentelle Untersuchung: Der Atmungsmechanismus
des Vogels während des Fluges. E r kommt darin zu dem Schluß, daß Atmung
und Flug bei Kleinvögeln, wie Fringilla coelebs, nicht gekoppelt sind, und die Atemgröße
gar nicht oder nur ganz gering während des Fluges geändert ist. — Auf Grund des Experiments
scheint mir aber nur die Möglichkeit der Unabhängigkeit von Atmung und Flügelschlag
bewiesen zu sein. Bei den Versuchen lagen für den Vogel wenig natürliche Verhältnisse
vor: Fliegen auf der Stelle mit fixiertem Kopf und Auf setzen eines Schlauches auf
den abgeschnittenen Schnabel. Das ergibt sich wohl auch daraus, daß nach Ausweis der
Atemkurven der Vogel nur kurze Zeit Flugbewegungen ausgeführt hat (während der Zeit
von 2, 3, 4, 5 und 8 Atemzügen bei 3—4 Atemzügen pro Sekunde), und daß vielfach der Flug
spontan auf hörte ( F r a e n k e l ) . Das schnelle Ermatten des Vogels ist vielleicht auf schlechte
Sauerstoffversorgung zurückzuführen. (Wird etwa wegen des Vorgesetzten Schlauches
immer dieselbe Luft ein- und ausgeatmet?) Außerdem bestehen nach B e e r e n s (1932) beim
fliegenden Vogel besondere Druckverhältnisse an den Nasenöffnungen, die durch Vorsetzen
eines Vacuum-Schlauches geändert werden würden. Auffällig ist, daß nach F r a e n k e l die
Ventilation beim Fluge genau so groß (oder sogar noch kleiner?) als in der Ruhe sein soll.
Wie läßt sich das mit der großen Beanspruchung des Organismus bei der Flugarbeit in
Einklang bringen? Bei dem Kolibri, Chlorestes caeruleus, habe ich nach dem Fluge noch
eine fast verdoppelte Atemfrequenz beobachten und eine Steigerung um 70%' experimentell
nachweisen können. Wenig vorstellbar ist ferner, daß der Atmungsmechanismus bei
der Taube anders verlaufen soll als beim Buchfink, wo F r a e n k e l an eine so enge Koppelung
von Atmung und Flügelschlag, wie e s M a r e y annimmt, zu denken scheint.