Muskeln bedingt, eine enge Koppelung zwischen diesen beiden Vorgängen anzunehmen
scheint, möchte ich aber auf die Unabhängigkeit des Atmungsvorganges und Flügelsehla-
ges hinweisen, dessen Zusammenfallen nu r als Vorteil und Erleichterung für die Lungenventilation
beim Fluge erkannt und, wenn notwendig, ohne bedeutende Störungen durchbro-
chen werden kann.
S e g e l f l u g u n d At m u n g .
Es wäre danach die Vorstellung der Atembewegung beim Fluge ohne Flügelschlag zu
entwickeln, d. h. vor allem beim Segel- und Gleitflug. Der große Brustmuskel hat in diesem
Falle im besonderen die Aufgabe, die Gegenkraft gegen das durch die Schwerkraft erzeugte
Drehmoment aufzubringen. Durch seine Kontraktion wird wieder wie beim Niederschlag
des Flügels heim Buderflug eine feste ventrale Fläche von Coracoid und Sternum geschaffen,
auf der eine freie Bewegung der Bippen möglich ist. Diese ungehinderte Atembewegung
wurde auch bei der Taube im Experimente festgestellt. Die Kurven (Abb. 82—85)
zeigen deutlich, daß die Taube (und Krähe) ihre Atembewegungen nicht einstellte, als sie
bei mehr oder weniger deutlichem Gleitflug zur Erde niederging. Als sie aber dann kurz
vor dem Auf setzen einen starken Bremsrüttelflug einsetzte, stellte sich die Gleichheit von
Flügelschlag und Atmung nach ein bis zwei Schlägen wieder ein.
Ähnlich wie bei diesem Gleitflug der Taube (und Krähe) ist auch die Atmung beim Segelflug
vorstellbar. Dabei ist nach S t r a s s e r die Beanspruchung der Flugmuskeln nicht viel
geringer als beim horizontalen Buderflug. Deshalb werden auch die Atemfrequenzen nicht
sehr hinter denen des Euderfluges zurückstehen. Aber beim Segel- und Gleitflug fällt die
Bewegung der Coracoide weg und damit auch die bessere Durchlüftung der claviculären
Säcke. Der Ablauf der Atembewegung wird demnach etwa so stattfinden, wie wir ihn hei
dem ruhenden Vogel (Abh. 65) gefunden haben, nur daß die Coracoide in der E inatmungsstellung
stehen: auf dem festgestellten Sternum bewegen sich die Bippen und heben den
Bücken im Atemrhythmus.
Damit ist die für den Buderflug sicherlich nicht ganz unwichtige Hilfsatemmuskulatu
r mehr oder weniger völlig ausgeschaltet, so daß die Atmungsarbeit, besonders die
schwere Einatmung ausschließlich von der eigentlichen Atmungsmuskulatur ausgeführt
werden muß. Die hohen Gewichte der Einatmungsmuskeln bei Fülmarus glacialis und seine
verhältnismäßig langen Processus uncinati scheinen mir darauf hin zu deuten.
Als funktionelle Anpassung an die Flugart und die dazugehörige Atmungsweise ist
auch die geringe Beweglichkeit der Coracoide bei Segelfliegern zu verstehen. Man findet
nämlich bei immer größer werdender Segelfähigkeit immer geringere Coraco-Sternal-Bewe-
gung, wie sich aus der Gelenkung hei Fulmarus glacialis und Fregata ergibt. Bei Buder-
fliegern dagegen haben diejenigen mit hoher Schlagfrequenz durchweg eine größere Beweglichkeit
aufzuweisen als die mit geringerer Schlagfrequenz fliegenden und die wenig flugfähigen.
Die beiden Extreme dürften durch Trochilus und Opisthocomus gekennzeichnet
sein. Es scheint also, als ob Flugart und Atmungsphysiologie in der Bewegungsfähigkeit
der Coracoide eine parallele Entwicklung zeigen.
Eine geringere Bewegungsfähigkeit im Coraco-Sternal-Gelenk ist im allgemeinen auf
das Stärkerwerden der Furcula zurückzuführen. Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein
der Furcula ist aber nicht an das Flugvermögen gebunden. Es war oben schon auf
die geringe Entwicklung oder das Fehlen der Furcula bei Psittaciden hingewiesen worden.
T iedemann s Aussage (1810), ein Vogel könne nicht mehr fliegen, wenn er seine Schlüsselbeine
gebrochen hat, kann nicht als ganz allgemein geltend betrachtet werden. Jedenfalls
kann eine Taube, soweit eine Beobachtung möglich ist, auch mit gebrochener Furcula gut
fliegen. Es ist nur eine stärkere Beanspruchung des Schultergürtels anzunehmen, wenn die
federnde Wirkung der Furcula in Fortfall gekommen ist.
S i n g e n b ei m F l uge .
Als letzte Frage soll der Zusammenhang zwischen Singen und Atmen beim Fluge behandelt
werden. Da nach unserer bisherigen Vorstellung eine Tonbildung beim Vogel nur
bei der Ausatmung zustandekommt, so müßte es also für den Vogel während des Buder-
fluges am günstigsten sein, immer beim Flügelaufschlag die Tonerzeugung vorzunehmen,
da er ja dann ausatmet. Nach meiner Beobachtung trifft dies für einen einzigen oder den
ersten einer Beihe von Buf en bei der Krähe fast ausnahmslos zu. Das Trillern der auf steigenden
Lerche könnte auch mit diesem Bhythmus übereinstimmen; wenn wir annehmen,
daß die Lerche etwa 10 bis 12 Flügelschläge dabei ausführt, so würden ebenso viele Ausatmungen
stattfinden, die bei der Tongebung für unser Ohr sicherlich als Triller wirken.
Es war noch besonderer Nachdruck darauf gelegt worden, daß Flügelschlag und Atmung
nicht zwangsmäßig gekoppelt sind, und daß der Atemrhythmus nicht umgestürzt
wird, wenn die claviculären Luftsäcke nicht in das gleichmäßige Spiel der anderen eingegliedert
sind. Das würde dann der Fall sein, wenn ein Vogel zu anderer Zeit als im
Augenblick des Flügelaufschlages ruft. Daß das häufig eintritt, ist nicht zu leugnen.
Sind die Flügelbewegungen eingestellt, also etwa beim Gleit- und Segelflug, so liegt
nicht die geringste Veranlassung vor, eine größere Schwierigkeit der Tonerzeugung anzunehmen
als bei dem stehenden oder ruhenden Vogel, wie sich ohne weiteres aus der
Atmungsmechanik ergibt.
Die Betrachtungen über den Zusammenhang von Singen und Fliegen sei mit der Feststellung
abgeschlossen: Prinzipiell kann die Tonerzeugung ganz unabhängig vom Bhyth-
mus des Flügelschlages vonstatten gehen. Auf Grund der Atmungsmechanik scheint es für
den Vogel aber am günstigsten zu sein, beim Flügelaufschlag, mit dem die Ausatmung
meist übereinstimmt, zu rufen. Während des Segel- oder Gleitfluges sind aber von der
atemtechnischen Seite her keinerlei Beschränkungen für jede beliebige Tonerzeugung
gegeben.