Die erste Frage, die jeder stellen wird, ist die: wie kann die Luft bei solchen Arten in die Luftsäcke einströmen, die
hierfür keine günstig gebauten Nasenlöcher haben? Die Nasenlöcher der Krähen sind vollständig von Borsten bedeckt; die
Kormorane und Tölpel haben überhaupt keine Nasenlöcher! Die Beobachtung zeigt ferner, daß z. B. der fliegende Raubvogel
nicht mit starr nach vorn gerichtetem Hals fliegt, sondern ausschauend den Kopf beliebig hin und her wendet g p ^
Beerens (1932) weist nach, daß die Taube nicht, wie Baer meint, den Kopf während des Fluges gerade vorstreckt, sondern
daß der Hals zwar in der Körperverlängerung liegt, aber die Achse des Kopfes nicht in eine derartige Richtung gehalten
wird, daß die Luft direkt in die Nasenlöcher und in d ie Luftsäcke strömen könnte. Er meint, daß d ie se Annahme nur gemacht
worden wäre, um die Respiration während des Fluges zu erklären. Er teilt dann mit, daß, wenn man von der Seite
her einen fliegenden Vogel betrachtet, die Achse des Schnabels nicht die Richtung des Fluges hat, sondern schräg nach
unten gerichtet ist. Von unten gesehen, scheint allerdings der Schnabel in Flugrichtung zu stehen. Er hat nun folgenden
Versuch angestellt: wenn man eine Taube in den Luftstrom eines Ventilators so bringt, daß der Kopf frei beweglich ist,
dann richtet das Tier den Kopf immer so, daß der Schnabel wie beim Fluge schräg nach unten zeigt. Fixiert man dagegen
den Schnabel der Taube in eine zur Luftströmung parallele Lage, dann zeigt das Tier die Phänomene der Erstickung genau
so, wie das zum Vergleich gebrauchte Kaninchen. Die Luftströmung — so gibt Beerens an — ist dann so groß, daß die
Taube nicht mehr in der Lage ist, zu exspirieren. Werden die Nasenlöcher aber so gehalten, daß die Luft daran vorbeistreicht,
so tritt gerade der gegenteilige Effekt ein: d ie Ausatmung ist jetzt leicht, dagegen d ie Einatmung muß durch
Schluckbewegungen unterstützt werden, da sie schwerer auszuführen ist. Ob diese Schluckbewegung beim Fluge eintritt,
kann allerdings nicht als bewiesen gelten.
Mit einfacheren Mitteln bei alleiniger visueller Beobachtung fand ich gewisse Bestätigungen dieser Angaben. Die Versuche
wurden an einem Windkanal gemacht, dessen Luftbewegung aber leider nicht über 40 Stundenkilometer gebracht
werden konnte. Die Taube wurde am Sternum unterstützt in den Luftzug gehängt. Das Tier legte dann seine Füße fest
an den Körper wie beim Fluge und stellte im allgemeinen den Kopf gegen den Wind so, daß der Schnabel etwas nach
unten gerichtet war. Eine Atemfrequenzänderung konnte nicht festgestellt werden. Brachte man den Kopf zwangsweise in
eine andere Lage, aber immer noch in Richtung gegen den Wind, so machte die Taube einige Schluckbewegungen, um
dann wieder ruhig weiter zu atmen. Dasselbe trat auch dann ein, wenn man d ie Nasenlöcher zuhielt; dann wurde aber der
Schnabel geöffnet, ohne daß eine bemerkbare Atemfrequenzänderung eintrat. — Also auch hier sprechen Experiment und
Beobachtung gegen die BAERSche Theorie, der Vogel bohre sich in die Luft ein.
Am Ende seiner Arbeit faßt Baer seine Hypothese über die Atmung der Vögel während des Fliegens zusammen: „Es
hat somit folgende Annahme v ie l Berechtigung: die Luftsäoke sind Luftbehälter für den Flug. Sie setzen den fliegenden
VogeJ in den Stand, sein Atembedürfnis in reichlichem Maße zu befriedigen, ohne besondere Atembewegungen auszuführen:
er atmet aus Luftvorrat, befindet sich also dauernd im Zustand der Apnoe.“ H Es ist im Vorliegenden der Versuch
gemacht worden, aufzuzeigen, daß Baer tatsächlich nur und ausschließlich eine Annahme gemacht hat, die einer kritischen
Betrachtung kaum standhalten kann.
In Anbetracht dessen erscheint es seltsam, daß seine Annahmen als mehr oder weniger sichere Tatsache in der Literatur
Eingang gefunden haben. Auf Kritiken dieser Theorie ist schon an manchen Stellen dieser Arbeit hingewiesen, doch
haben Baers Anschauungen weiten Boden gewonnen. Wiedersheim (1909) übernimmt Baers Vorstellungen, wenn er
schreibt: „Während des Fluges stellt der Vogel seine Atembewegungen ein, d. h. die Luftversorgung geschieht ohne sein
Zutun, und so wird es auch erklärlich, daß sich Vögel anhaltend pfeilschnell durch die Luft bewegen können, ohne außer
Atem zu kommen.“ Auch Buddenbrook (1924) kommt zur Ansicht, daß die Atembewegungen der Vögel während des Fluges
offenbar andere sein müßten als in der Ruhe. Zwar stellt er fest, daß bei der außerordentlichen Schwierigkeit einer
experimentellen Untersuchung alle Ansichten über die Frage ein wenig hypothetisch blieben, und daß sich das Singen
der Lerchen und das Rufen der Krähen beim Fliegen nicht unter die Theorie einordnen ließen, trotzdem vertritt er die
BAERSchen Ansichten. Schließlich sei noch auf Victorow (1909) hingewiesen, der seine Anschauung über die kühlend!
Wirkung der Luftsäcke dadurch zu stützen sucht, daß er sagt: „das spricht aber so lange nicht gegen meine Auffassung, so
lange nicht klar gestellt ist, woher der stundenlang fliegende Vogel, der keine oder nur minimale Atembewegungen macht,
seinen Sauerstoff nimmt.“
Nach der anderen Vorstellung, die das Problem Flug und Atmung zu klären sucht, wird angenommen, der Thorax
bleibe während des Fluges beweglich. Diese Anschauung, die in vollständigem Gegensatz zu der BAERSchen Annahme steht,
und die den Anforderungen des Energieumsatzes bei weitem mehr gerecht wird, ist von der weitaus größten Anzahl von
Forschern vertreten worden, die sich mit der Frage beschäftigten. Zwei Möglichkeiten für den Atemmechanismus können
beim Fluge bestehen: entweder kann die Thoraxbewegung ganz unabhängig von der Flügelbewegung erfolgen, oder aber
es besteht ein Zusammenhang zwischen Atmung und Flügelschlag.
Da im Gegensatz zu den Säugern die Brustmuskeln der Vögel nicht an den Rippen ansetzen, ist es auf Grund der
Myologie nicht denkbar, daß Flügelschlag und Atmung zwangsläufig verbunden sind. Als Verfechter dieser Anschauung
führe ich Sappey (1847) und Magnus (1869) an. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß während des Fluges eine normale
Atmung stattfindet. Droisier (1866), der den Ablauf der Atembewegungen beim Fluge eingehender beschreibt, denkt sogar
an eine Bewegung des Sternums, weshalb man seine sonst sehr aufschlußreichen Darlegungen nicht voll gutheißen kann.
Auch Strasser (1886) tritt für die Unabhängigkeit von Flügelbewegung und Atmung ein, aber er hält es für möglich, daß
wegen der extrathorakalen Divertikel die Ventilation in den Luftsäcken durch die Flügelbewegung beeinflußt sein könnte.
Diese letzte Anschauung ist ein Zugeständnis an die Versuche von Bert (1870), der beim Heben des Flügels eine Inspiration
festgestellt hatte. Nach Berts Meinung kann eine eigentliche Atembewegung nur durch Bewegungen des Sternums ausgeführt
werden. „Le sternum, comme vous le savez, est extrêmement développé et donne exclusivement insertion aux
muscles moteurs de l ’aile, dont les contractions ne peuvent avoir qu’une influence médiocre sur le jeu de la respiration.“
Da also demnach das Sternum keine Atembewegungen ausführen kann, müssen die Flügelbewegungen passiv eine Ventilation
herbeiführen. Campana (1875) nimmt eine ähnliche und zwangsläufige Koppelung von Atmung und Flügelschlag an;
automatisch wächst mit der größeren Beanspruchung durch den Flügelschlag auch die Atemfrequenz und damit die Ventilationsgröße.
Marey (1890) glaubt nun, durch seine Experimente nachgewiesen zu haben, daß tatsächlich beim Abschlag eine Ausatmung
stattfindet. Bei seinen Versuchen leg t er der Taube eine Art „corset“ an und stellt durch eine „capsule dynamométrique“
die Kontraktion und das Erschlaffen der Brustmuskeln fest. Die Flügelschlagfrequenz mißt er durch einen elektrischen
Kontakt, der am Flügel ansetzt und durch den Luftwiderstand beim Schlagen in Funktion tritt Auf diese Weise zeigt
er graphisch ein synchrones Übereinstimmen von Verkürzung des M. pectoralis und Abschlag des Flügels. Er setzt dabei
voraus, daß der M. pectoralis bei seiner Kontraktion den Thorax komprimiert und damit eine Ausatmung hervorruft. Von
einem Zusammendrücken des Brustkorbes kann aber keine Rede sein, da der Muskel auf Knochen oder Membranen aufliegt.
Eine Ausdehnung bei der Kontraktion kann nur nach außen stattfinden. Diese hat Marey allein festgestellt, nicht die
nach innen gehende! Es beweist also keinesfalls dieses Experiment daß die Kontraktion des Muskels der Ausatmung gleichzusetzen
ist. Die Kurve zeigt nur, daß bei Kontraktion des Muskels der Flügel abwärts bewegt wird, das aber wird niemand
bestreiten.
Soum (1896) glaubt dadurch die Anschauung Mareys von der Gleichzeitigkeit der Ausatmung und Kontraktion des
M. pectoralis unterstützt zu haben, daß er feststellt, die Taube stoße Luft aus, wenn man den M. pectoralis an der Insertionsstelle
am Humerus elektrisch reizt. An der. Richtigkeit dieser Beobachtung kann kaum gezweifelt werden. Aber ist dieser
Versuch ohne weiteres auf den Flugvorgang zu übertragen? Wenn man seine Kurve (Abb. 81) betrachtet, so ist die hohe
Einatmungsbewegung während
der durch die Reizung des M.
pectoralis hervorgerufenen starken
Ausatmungsstellung des
Brustkorbes (Zusatz des Verf.).
Abb. 81. Kurve von Ein- und Ausatmung einer Taube, die durch Reizung des
M. pectoralis gestört ist. (Aus Soum 1896.)
Ausatmungszacke, die durch die Bewegung hervorgerufen wird, derart auffällig, daß der Versuch nicht überzeugen kann. Es
ist hier wohl an eine Verkrampfung zu denken, die diese gewaltsame Bewegung hervorruft. Man sieht außerdem an der
Kurve, daß während dieser Ausatmungsstellung des Thorax doch die Einatmung weiter verläuft, wodurch der Anschein
erweckt wird, als ob die Atembewegungen nur aus einer anderen Nüll-Lage heraus durchgeführt würden. Es ist demnach
nicht möglich, diese Versuchsergebnisse auf die Verhältnisse während des Fluges einfach zu übertragen.
Im Gegensatz zu all diesen Annahmen steht die Theorie, die Alix (1874) von der Atemmechanik während des Fluges
entwickelt hat. Seine Beobachtung, daß ein Vogel, der auf dem Sternum ruht, durch die Rückenbewegung die Ventilation
der Lungen bestreitet, überträgt er auf die Verhältnisse des Fluges. Das Sternum ist der Träger des Vogels beim Fliegen.
Auf ihm bewegt sich auch gleichzeitig der Rippenkorb, wodurch d ie Rückenbewegung bedingt ist. Headley (1893) baut
d iese Vorstellung weiter aus. Er unterscheidet zwischen den Atembewegungen, die im Stehen und Gehen ausgeführt werden
von denen, die beim Liegen und Fliegen gemacht werden. Seiner Meinung nach findet eine Inspiration beim Abschlag des
Flügels statt. Er schließt dies aus der Funktion einer Reihe von Muskeln, worauf noch später an der betreffenden Stelle eingegangen
werden soll. — Daß die Atmung beim Fluge durch die Bewegung des Rückens ausgeführt wird und in Zusammenhang
mit der Flügelbewegung steht, glaubt auch Bethe (1925) und gibt eine Skizze der Thoraxbewegungen. — Die Entwicklung
dieser Vorstellung vom Ablauf der Atembewegungen während des Fluges, d ie durch Headley eine klare und
physiologisch unantastbare Form gefunden hat, wurde durch Baer jäh abgerissen. Die Wirkung der BAERSchen Arbeit ist so
groß, daß gegen seine grundsätzliche Annahme von der Unbeweglichkeit des Thorax während des Fluges kein schlagender
Gegenbeweis erbracht wurde bis 1932 durch die Arbeiten von Groebbels.
Die Kurven, die Groebbels mit seiner chronozyklographischen Methode aufstellt, besagen beide, daß der Abstand
zwischen Rücken und Sternum beim Niederschlag des Flügels größer wird. Sie stehen deshalb in voller Übereinstimmung