D ie At emmu s k e l n : Da die Atembewegungen beim Fluge grundsätzlich nicht anders
verlaufen als in der Ruhe, so müssen auch alle eigentlichen Atemmuskeln dieselbe
Funktion haben. Aber dazu kommen noch die Hilfsatemmuskeln: der M. pectoralis (Nr. 1),
der bei seiner Kontraktion die Coracoide auseinanderzieht, muß deshalb als Hilfsatemmuskel
bezeichnet werden. Da bei der Bewegung der Coracoide die Scapula nach vorne gezogen
wird, müssen auch die an ihr sitzenden Muskeln in verschiedene Spannung kommen. Der
M. serratus superficialis pars posterior (Nr. 8) und pars anterior (Nr. 21) erfahren einen Zug
und sind dadurch beim Tiefschlag des Flügels zur Mithilfe bei der Einatmung befähigt.
Wenn man sich die Längenänderung der Pars metapatagialis (Nr. 3) klar macht, so zieht
sich auch dieser Muskel beim Tiefschlag zusammen. Da nach Ga d ow dieser Muskel als
Spanner des Metapatagiums anzusehen ist, so kann er, da er an den hinteren beweglichen
Rippen entspringt, auch bei der Einatmungsbewegung beteiligt sein.
Das Heben des Flügels, das durch den M. supracoracoideus (Nr. 4) bewirkt wird, und
das mit der Ausatmung verbunden ist, füh rt zur Rückbewegung der Scapula, gleichzeitig
tritt der starke M. scapulo-humeralis posterior (Nr. 7) in Funktion (Ga d ow ) und bewirkt ein
Herabziehen der Scapula. Damit tritt nun die umgekehrte Wirkung für die Muskeln ein, die
an der Scapula inserieren und entspringen. Der M. serratus profundus (Nr. 22) und die Mm.
rhomboidei (Nr. 5 u. 20) können bei ihrer nunmehrigen Kontraktion den Thorax verkleinern.
Aus Ursprung und Insertion möchte ich auch auf eine Mitwirkung des M. latissimus
dorsi (Nr. 2) beim Aufschlag des Flügels schließen im Gegensatz zu H ea d l ey , der gerade
Heben des Rückens und damit Einatmungsbewegung beim Niederschlag des Flügels diesem
Muskel zuschreibt. Ein experimenteller Nachweis dieser Wirkungsweise der Atmungsmuskulatur
begegnet deshalb so großen Schwierigkeiten, weil die Atembewegung so vielfach
gesichert ist. So ist es z. B. einer Taube bei Außer funktionsetzen der Bauchmuskulatur
noch ohne sichtbare Störungen möglich zu fliegen.
Die Auseinandersetzung über die Funktion der Hilfsatemmuskeln fundiert die Anschauung
von der Koppelungsfähigkeit von Flügelschlag und Atembewegung. Man sieht,
wie günstig es für den Vogel ist, im Rhythmus des Flügelschlages zu atmen, und die Experimente
haben gezeigt, wie schnell dieser Synchronismus eingeschlagen wird. Aber trotzdem
muß daran festgehalten werden, daß eine solche Koppelung nicht an den Flügelschlag
zwangsläufig und unter allen Umständen gebunden ist; man sieht es zu Beginn des Fluges
und während des Fluges ohne Flügelschlag aus den Versuchen, sowie aus der Physiologie
der eigentlichen Atmungsmuskeln.
Wenn man sich ein Bild machen will von dem Arbeitsmaß der beiden Muskelgruppen,
so würde auch in diesem Fall der Vergleich m it dem auf dem Sternum ruhenden Vogel heranzuziehen
sein. Es würde demnach die Hauptarbeit bei der Einatmung geleistet werden
müssen, da ja der Rücken gegen die Schwerkraft dabei gehoben werden muß; dagegen
kommt bei der Ausatmung die Schwerkraft den Muskeln zu Hilfe. Nach B e er en s (1932)
spielen dabei noch die Luftdichte-Verhältnisse an der Nasenöffnung eine Rolle, die die E inatmung
weiter erschweren. Man findet deshalb auch bei den Vögeln, die viel fliegen, eine
Betonung der Einatmungsmuskulatur und die Entwicklung verhältnismäßig großer Processus
uncinati. Jedoch treten diese Verhältnisse nicht überall so sehr klar hervor, da
andere Lebenseinflüsse diese überlagert haben. Das prozentuale Verhältnis der Atmungsmuskulatur
zum Gewicht der beiden großen Flugmuskeln, das in Tabelle IV wiedergegeben
ist, das zwar kein endgültiges Resultat darstellen kann, wirft aber doch ein gewisses Licht
auf die Atmungsarbeit beim Fluge.
Prozentuales Verhältnis der Atmungsmuskulatur zu den großen Brustmuskeln.
Spheniscus demersus 26,1% Phoenicoplerus roseus 5,8%
Oidemia fusca 13,4% Ibis aelhiopica 5,4%
Phalacrocorax carbo 13,2% Phaetornis prelrei 5,3%
Fulmarus glacialis 13,0% Columba domestica 3,7%
Colymbus arclicus 11,5% Acryllium vullurnum 3,5%
Chauna chavarla 10,3% Tetrao urogallus 2,5%
Dryobates major 6,8%
Die prozentual stärksten Atmungsmuskeln weist der Pinguin auf. Es folgen an zweiter,
dritter und fünfter Stelle in weitem Abstand die flugfähigen Wasservögel. Das hohe Gewicht
der Atmungsmuskeln beim Eissturmvogel ist auf die verhältnismäßig schwache Flugmuskulatur
und auf die Atmungsmechanik beim Segelflug zurückzuführen, auf die noch eingegangen
werden soll. Hirtenvogel und Specht stellen Sonderfälle in der Atemmechanik dar, auf
die oben hingewiesen worden ist. Daß Flamingo und Ibis nahe beieinander stehen, möchte
ich auf ähnliche Flugart zurückführen. Auf den Kolibri soll nachher noch eingegangen
werden. Taube, G eierperlhuhn und Auerhuhn haben außerordentlich stark entwickelte F lugmuskeln,
so daß die Atmungsmuskulatur dagegen schwach erscheint, womit die absolut gering
entwickelte Atmungsmuskulatur Hand in Hand geht (Tetrao urogallus).
V e r a l l g em e i n e r u n g d e r E r g e b n i s s e .
Wenn wir durch unsere Versuche als erwiesen erachten, daß bei Taube und Krähe normalerweise
während des Ruderfluges Atmung und Flügelschlag zusammenfallen, so ist zu
fragen, ob diese Verhältnisse für alle Vögel zutreffend sind. Ohne ii’gendwelche experimentellen
Beweise dafür anführen zu können, liegt auf Grund der anatomischen Verhältnisse
kein Bedenken gegen solche Annahme vor. Die Vorstellung wäre leicht verständlich für
Vögel, deren Flügelschlagfrequenz geringer oder wenigstens nicht wesentlich höher als bei
Krähe und Taube ist. Aber wie verhält es sich bei den Kleinvögeln, im besonderen bei
Kolibris?
Die größte Schlagfrequenz, die je bei Kolibris experimentell festgestellt wurde, ist für
Phaetornis rufus mit ungefähr 50 pro sek. angegeben ( S t r e s e m a n n , E. u. Z im m e r , K. 1932).
Danach wäre auch eine Atemfrequenz von 50 pro sek. anzunehmen. Die Bedenken, die gegen
eine solche Annahme aufkommen, werden etwas abgeschwächt, wenn man sich vorstellt,
daß die festen, bzw. flüssigen Bestandteile der Muskeln, die eine größere Viskosität besitzen
als die Luft, ebenso häufig bewiesenermaßen bewegt worden sind. Warum sollte nicht auch
die viel leichter bewegliche L uft diese häufigen Bewegungen ausführen? Eine Kompression
der Luft kann sicherlich nur eine unbedeutende Rolle spielen. — Die Muskelanatomie zeigt
keine Besonderheit, die auf einen anderen Atmungsablauf hindeutet. Sie ist (Tabelle III)
gut entwickelt, also auch in der Lage, Leistungen zu vollbringen, die das Atembedürfnis
beim Schwirrflug decken. -— Die Leistungssteigerung würde zudem gegenüber dem ruhenden
Tier übrigens nicht größer sein als bei anderen Vögeln, ca. 1200%, ähnlich wie auch bei
der Taube und Krähe. Wenn auch nach diesen Überlegungen keine unüberwindliche
Schranke für die Annahme einer Übereinstimmung von Flügelschlag und Atmung entsteht,
so kann aber diese Anschauung noch nicht als bewiesen angesehen werden (siehe Nachtrag).
Dem hier dargestellten Ablauf der Atembewegung beim Ruderflug der Vögel kommt die
Auffassung von H e a d l e y am nächsten. Auch er nimmt an, daß beim Abschlag des Flügels
die Erhebung des Rückens, d. h. die Einatmung stattfindet. H e a d l e y gegenüber, der, durch