H. Zusammenfassung und Schluß.
Fassen wir nun die wichtigsten Ergebnisse zusammen: Aus der mitteleocänen (ober-
lutetischen) Braunkohle des Geiseltales werden die zwei ältesten tertiären Urodelen beschrieben.
Eine sehr zahlreich überlieferte perennibranchiate Form Palaeoproteus klatti
nov. gen. nov. spec. und eine nur in 3 Resten überlieferte Form Tylototriton weigelti nov.
spec. Die ungleichmäßige zahlenmäßige Verteilung der Arten zeigt unter Berücksichtigung
der Ökologie auf das deutlichste, daß die Urodelenfauna des Geiseltales sicher reicher war
und uns aus einer Artenfülle nur Bruchstücke bekannt geworden sind. Dank der von
W e i g e l t betriebenen quantitativen Grabungsmethode wurde es möglich, die Anatomie
dieser Tiere weitgehend zu klären, wenngleich das Material noch immer nicht ausreichte,
restlose Klarheit in allen Punkten zu schaffen. Ein Vergleich der gewonnenen Ergebnisse
mit Formen der rezenten Fauna ergibt eine verblüffende Übereinstimmung der Tiere des
Geiseltales mit modernen Vertretern dieser Tierordnung, die sowreit geht, daß die eine der
Arten in eine rezente Gattung eingeordnet werden muß. Eine kritische Übersicht der bisher
bekannten Urodelenreste bestätigt die Ansicht, daß bereits zu Beginn des Tertiär die
Schwanzlurchfauna aus A rten bestand, die den heutigen nahe verwandt oder mit ihnen identisch
sind. Die ältesten, leider nur unvollständig bekannten Schwanzlurche entstammen
dem Carbon und beweisen das hohe Alter dieser Tierordnung. Bei einer Betrachtung der
rezenten Arten ergibt sich, daß die primitiven Arten äußere Befruchtung und keine Par-
occipitalecken auf weisen, während die hochentwickelten Formen innere Befruchtung nach
komplizierten Hochzeitsspielen und Paroccipitalecken oder hohe Anpassungen an terrestrisches
Leben zeigen. Durch die Betrachtung der anatomischen Befunde wird die Zugehörigkeit
der Gattungen bisher unsicherer systematischer Stellung, wie Necturus, Proteus und
Amphiuma zu den Salamandriden in hohem Grade wahrscheinlich. Weiter legen die anatomischen
Befunde dar, daß eine Abstammung der Urodelen von den Stegocephalen nicht angenommen
werden kann und diese aus Fischformen entstanden sein müssen. Da auch für
die Frösche auf ähnliche Gesichtspunkte hingewiesen wurde, ergibt sich, daß die Amphibien
als eine Tierklasse polyphyletischer Entstehung angesehen werden müssen. Auch aus
der heutigen Verbreitung vieler Urodelenarten, die besonders für einige Salamandriden
ausführlicher dargelegt wird, ist gleichfalls auf ein hohes Alter der rezenten Arten zu
schließen.
An den Eingang dieser Untersuchungen stellte ich ein Wort A b e l s , daß die fossilen
Urodelen für die Stammesgeschichte dieser Tierordnung ohne Bedeutung sind. Auch diese
Arbeit konnte keine Formen nachweisen, welche uns in Stand setzten, Entwicklungsreihen
anzunehmen. Aber wenn ich die Ergebnisse dieser Untersuchungen überblicke, so glaube
ich doch feststellen zu können, daß die fossilen Urodelen des Geiseltales wesentliche Gesichtspunkte
zur Erkenntnis der phylogenetischen Zusammenhänge der Schwanzlurche beigetragen
haben. So hat sich das Alter rezenter Gattungen mit plastischer Anschaulichkeit
vor Augen führen lassen, und auf Grund dieser Erkenntnisse konnten auch wichtige Befunde
gegen die Annahme einer Abstammung der Schwanzlurche von den Stegocephalen aufgedeckt
werden. Allerdings nicht nur anatomische, sondern auch ökologische Gesichtspunkte
mußten zu diesen Überlegungen herangezogen werden.
Bei der Fülle der Probleme der modernen Zoologie ist es leider nicht ausgeblieben,
daß die Palaeozoologie fast ganz den Geologen überlassen wurde, die ja mit den tierischen
Resten der Vorzeit am ehesten in Berührung kommen, da sie die Reste bergen. Vielen
Geologen dient aber die Palaeontologie in erster Linie als eine Hilfswissenschaft. Sie beschränken
sich dann auf eine Beschreibung der Funde, werten ihre Bedeutung für die E rkenntnis
geologischer Zusammenhänge aus, aber unterlassen es, diesen Tieren den systematischen
Wert beizumessen, der ihnen zukommt. Dies ist besonders dann der Fall, wenn
es sich um Tiergruppen handelt, die wenig „Leitfossilien“ abgegeben haben oder für stammesgeschichtliche
Spekulationen nur wenig herangezogen werden können, wie dies bei den
Urodelen der Fall ist, die als ein „unfruchtbarer Tierstamm“ angesehen werden müssen,
der höheren Gruppen keinen Ausgang gab. Diese Tatsache ist auf das Anwachsen des
Arbeitsfeldes auch der Geologie zurückzu führen. Ich bin mir der Fülle der für die Abstammungslehre
wertvollsten Arbeiten der Palaeontologie wohl bewußt, und denke nicht
daran, ihren hohen Wert anzuzweifeln. Aber die nicht abzuleugnende Auseinanderwick-
lung von Zoologie und Palaeozoologie muß überwunden werden. Vor allem darum, weil
die Zoologie auch die historische Seite ihrer Forschungsobjekte nicht vernachlässigen darf.
Denn die Frage nach dem Werden und dem Werdegang tierischen Lebens, die ja immer
eine der Hauptfragen zoologischer Forschung bleiben wird, wird an den Zeugnissen erdgeschichtlicher
Vergangenheit nie vorübergehen können. Daher ist es anzustreben, daß
auch der reine Zoologe mehr als bisher mit den fossilen Resten in Berührung kommt
und durch eine Bearbeitung der Stücke selbst auch die Arbeitsmethoden der Palaeontologie
kennen lernt. Dann wird eine Zusammenarbeit erstehen, die beitragen wird, die Schranken,
welche zwischen Zoologie und Palaeozoologie vielfach noch errichtet sind, niederzureißen
und die Einheitlichkeit des biologischen Weltbildes zu vervollständigen. So werden wir
die Zeit überwinden, in der schon zwischen zwei Arbeitsrichtungen der Gesamtzoologie die
Ansichten über die gleiche F rage so unüberbrückbar und gegensätzlich erscheinen, wie wir
es bei dem Problem der Artbildung z.B. zwischen Genetik und Palaeozoologie noch vor
wenigen Jahren erleben mußten. Gerade die Erforschung der Lebewelt des Geiseltales führt
so deutlich vor Augen, daß viele Fragenkreise nur bei einer Zusammenarbeit aller Fächer
der Naturwissenschaft gelöst werden können, und daß eine enge Zusammenarbeit erforderlich
ist. Aus solcher Zusammenarbeit ergibt sich eine Fülle der Anregungen fü r alle Zweigé
der biologischen Wissenschaft, und es ist dankbar zu begrüßen, daß bei der Bearbeitung der
Reste des Geiseltales auch die Mitarbeit der verwandten Disciplinen der Geologie in so
reichem Maße herangezogen wurde. Nur so kann der Weg zur Synthese unserer Wissenschaft
gefunden werden!