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mit der Absicht, die Staatsvortheile beherzigt zu haben, brüstet!
§. 36. Hat man aber im Allgemeinen den Zug einer Haupt-
strafse nach den obigen wahren Absichten bestimmt, so muß er
zwischen zwo gewählten Städten, durch die derselbe gehen soll,
dergestalt geführt werden, dafs er, wo nicht die kürzeste, doch
diejenige Richtung erhält, welche für das Fuhrwesen und für
die Anlage der Strafsen die bequemste ist, ohne sich von den
Besitzern einzelner Höfe, Landgüter oder den Einwohnern der
Dörfer, worin die Strafsen stets schlecht unterhalten werden,
und gröfsere Summen kosten , als in freiem Felde, irre machen
zu lassen. Standhaftigkeit bey der Wahl zweckmäßiger Stras-
senzüge ist allerdings eine schwierige und mit vielen Verdruß
verbundene Sache, zumahl, wenn die Regierung die Ingenieurs
nicht mit Nachdruck unterstützt. Soll eine neue Landstrafse angelegt
werden, so sucht jede Gemeinde und reicher Landbesitzer
sie zu erhalten; es wandern Deputationen zur Residenz; es werden
an der Tafel des Fürsten, der eigentlich so etwas nicht hören
sollte, Anspielungen auf das Straßenbau - Departement gemacht;
man erbietet sich zu Beyträgen und zu Concurrenzen ,. die,
wenn es zur Sache kömmt nicht geleistet werden. Kurz es wird
alles aufgeboten, und selten ohne Erfolg, um dem redlichen nur
auf das allgemeine Wohl sehenden und das Local genau kennenden
Ingenieur sein Projekt zu vereiteln, wenn es gegen den Vortheil
bedeutender Gemeinden und Landbesitzer angeht!
Anders ist aber der Fall in solchen Ländern, wo auf fünf
und mehrere Meilen kein Dorf oder Trinkwasser und Herbergen
angetroffen werden. ILer wird man über Dörfer, des Futters und
des Trinkwassers wegen Umwege machen müssen, oder es mufs
die Regierung Wirthshäuser anlegen lassen. Die Sicherheit und
Bequemlichkeit des Reisenden vorzüglich zu ihrem Geschäfte machen
und die zu diesen Zwecken erfoderlichen Summen gerne
hergeben, oder lieber den Bau und die Verbesserungen gar nicht
unternehmen. In unsern Zeiten kann nämlich eine Regierung
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nichts halb thun, ohne sich bey Zeitgenossen und Nachkommen
zu compromittiren. Möchte man diese Wahrheit stets vor Augen
haben!
37. Die Wahl eines Strafsenzuges — von einer fehlerfreien
Kunststrafse — setzt demnach eine genaue Aufnahme der
Gegend, und im Gebirgslande ein richtiges Nivellement vom
Strafsenzuge voraus. Wiewohl nun die Ausübung der im §. 35.
gegebenen Regel ganz einfach ist, so hat man sie doch bey wenigen
Chausseen befolgt, denn die mehresten Straßenzüge sind
dergestalt gewählt, dafs man es sich nicht erklären kann, warum
sie so, und nicht besser angelegt sind. Ja man sollte glauben ,
dafs sie nur um der Landsitze willen, welche bey der Anlage einigen
vielbedeutenden Herren gehörten und nicht zum Besten
des Handels und des Verkehres gebaut worden! Nothwendig ist
daher die genaue Aufnahmeder Gegend, um die besten Straßenzüge
zu wählen, und eine große Unparteilichkeit, welche allen dem
Staatsdienste ergebenen Beamten so. viele Feinde macht; nichtselten
verkannt, oder doch zum wenigsten übersehen und nur von
wahrhaft großen an der Spitze der Geschäfte stehenden Männern
gewürdigt wird.
Billigerweise sollten daher keine Straßenbau-Ingenieure ,
vielweniger Inspectoren angestellt werden, die nicht topographisch
aufnehmen und nivelliren können und schon Praxis im Bau der
Straßen haben. Freilich sollten sie auch gut bezahlt seyn und gegen
ungerechte Angriffe mit Nachdruck geschützt werden. Für
geringe Bezahlung werden weder geschickte noch fleißige Subjecte ,
die Hundertfach dasjenige ersparen , was sie an Gehalt bekommen,
dienen wollen ! Man kann daher leider nur wenige solche vorzügliche
Subjecte finden, und wollte man sie gleich hoch bezahlen,
denn es fehlte bis jetzt in vielen Ländern an Gelegenheit zur
Ausbildung und die schwache Hoffnung eines glücklichen Fortkommens
in diesem Fache schreckte vermögende und manche
talentvolle Jünglinge ab, sich darauf zu legen und deswegen
zu reisen.
V. Sand 38.